Versicherungsbote: Sie veranstalten mit der InnoVario eine Messe, die sich dem Thema Startups in der Versicherungsbranche widmet. Warum haben Sie jetzt eine Startup-Messe im Programm?

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Wagner: Unser Eindruck ist, dass die Versicherungswirtschaft, die Versicherungsunternehmen und die Versicherungsvertriebe inzwischen sehr aufmerksam sind, was links und rechts an Innovationen aufkommt. Da entstehen neue Geschäftsmodelle, die FinTechs erscheinen mit neuen Ideen, es gibt inzwischen viele Neugründungen von Startups im Versicherungsumfeld.

Die Startups entwickeln Geschäftsmodelle, die sie zwischen den Versicherungsunternehmen und den Kunden oder zwischen den Vertrieben und den Kunden etablieren. Sie greifen sich Teile der Wertschöpfungskette heraus, digitalisieren und optimieren diese, organisieren sie neu und positionieren sich darin gleich selbst mit ihren eigenen Geschäftsmodellen. Die Frage, die sich für die Versicherer und Vertriebe stellt, ist: Was bedeutet das eigentlich? Entsteht da Substitutionskonkurrenz, nehmen sich die Startups etwas weg, sind sie Bedrohungspotential? Oder sind sie nicht sogar geniale Kooperationspartner, die der Branche helfen, ihre Geschäftsmodelle zu modernisieren und zu optimieren?

Wir haben uns gefragt, welchen Beitrag wir leisten können, um diese gesamte Gemengelage zu entmystifizieren und die Akteure auf einer neutralen Plattform zusammenzubringen, die nun das Spin-off unseres Instituts, die V.E.R.S. Leipzig GmbH, stellt. Wir organisieren eine Veranstaltung, auf der wir die handelnden Akteure zusammenbringen.

"Wir können nicht einfach unseren Rechtsrahmen über Bord schmeißen"

Versicherungsbote: Auch wir beobachten Startups in unserer Berichterstattung, nehmen dabei Konflikte mit „etablierten“ Akteuren auf dem Versicherungsmarkt wahr. Zum Beispiel will der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) das Vergleichsportal Check24 verklagen, weil der Verband der Meinung ist, dass Check24 nicht -wie vorgeschrieben- individuell berät und vor der Beratung keine Erstinformation gibt. Verfolgen Sie diese Konflikte und wie bewerten Sie diese?

Wagner: Wir verfolgen die Konflikte mit großem Interesse. Die Digitalisierung hat natürlich Grenzen, weil sich hier auch viele juristische Fragen stellen. Ich möchte jetzt nicht konkret auf den Rechtsstreit zwischen dem BVK und Check24 eingehen, den ich natürlich kenne. Grundsätzlich sind aber immer drei Aspekte zu bedenken. Erstens: Welche neuen Techniken stehen den Innovatoren zur Verfügung? Zweitens: Welche fachlichen Chancen und Risiken bieten diese neuen Konzepte? Und Drittens, dies ist bezüglich Ihrer Frage besonders wichtig: In welchem Rechtsrahmen findet das Ganze statt und kann es auch stattfinden?

Wir können jetzt nicht einfach unseren gesamten Rechtsrahmen über Bord schmeißen und „Trial and Error“ außerhalb der Gesetze und Ordnungen vornehmen. Die Entwicklungen bedürfen schlicht einer rechtlichen Begleitung, die momentan offenbar nicht ganz nachkommt. Dabei ist meine Vorstellung, nicht in erster Linie danach zu suchen: Wie können die Startups und Innovatoren gestoppt werden, und was muss vorgebracht werden, um sie auszubremsen? Sondern gerade umgekehrt: Es sollte darüber nachgedacht werden, wie neue Geschäftsmodelle gefördert werden können, aber rechtlich unbedenklich und sauber. Es würde sicher den Startups und Innovatoren hilfreich sein, wenn sie sich rechtlich absichern – auch im Dialog mit Juristen.

Versicherungsbote: Es gibt verschiedene Ansätze von Versicherern, auf die Digitalisierung zu reagieren. Die Axa plant laut Branchenberichten eine Kooperation mit Google. Die Debeka hingegen hält ein Stück weit an alten Vertriebsmodellen fest, setzt auf einen großen Außendienst und bildet viele Vertriebsmitarbeiter aus. Kann es nicht auch einen Vorteil bedeuten, sich „klassischer“ Modelle zu besinnen?

Wagner: Ich werde jetzt nicht die Konzepte und Ideen einzelner Versicherer kommentieren. Ich bin aber überzeugt, dass die gesamte Branche, jedes einzelne Unternehmen, sich mit den innovativen Ideen und digitalen Optimierungspotentialen auseinanderzusetzen hat, und dass dies auch geschieht. Das schließt gegenläufige Entwicklungen nicht aus. Ich glaube aber, dass wir hier im Wesentlichen auf evolutionäre Entwicklungen zusteuern, denen sich auch die Vertriebe zu stellen haben. Wir werden in Zukunft noch erfolgreiche persönlich beratende Vertriebe sehen, die sich aber ihrerseits ebenfalls aller digitalen Möglichkeiten bedienen müssen. Die nicht mehr jedes Gespräch persönlich beim Kunden führen, sondern zum Beispiel über Co-Browsing-Techniken, über digitale Bewegtbildkonzepte und Prozessoptimierung ebenfalls modernisieren müssen. Die Welt ist nicht schwarz-weiß.

Die Verfügbarkeit mehrerer Kanäle erwartet der Kunde bei all seinen Aktivitäten

Versicherungsbote: Ein Modewort der Branche ist der sogenannte ROPO-Kunde (Research Online, Purchase Offline), der auf allen Kanälen angesprochen werden will. Dahinter steckt die Idee, dass sich Kunden online über Versicherungen informieren, aber dann bei einem Vermittler persönlich abschließen…

Wagner: RoPo lässt sich hin- und herübersetzen. Als „Research Offline, Purchase Online“, so dass sich Kunden bei einem persönlichen Berater die erforderlichen Informationen holen, aber dann doch im Netz abschließen. Es ist aber auch umgekehrt zu verstehen: „Research Online, Purchase Offline“. Sie können das beliebig tauschen, entscheiden wird der Kunde!

Im Übrigen geht es nicht nur um die Frage, wo wird die Information gesucht und wo wird gekauft. Die Verfügbarkeit mehrerer Kanäle erwartet der Kunde bei all seinen Aktivitäten: Beratung, Abschluss, Vertragsänderung, Schadensmeldung oder Kündigung. Der Kunde wird zukünftig fallweise entscheiden, je nach Lebenssituation, Risikobereich, Produktumfeld oder Phase seiner „Customer Journey“, was er wie, über welche Wege und mit welchem Gesprächspartner kommunizieren möchte. Die beteiligten Akteure, Versicherer wie Vertriebe, sollten dafür alle Möglichkeiten schaffen. Dafür steht der inzwischen modern werdende Begriff „Omnikanal-Management“.

Versicherungsbote: Bedeutet das für die Versicherer nicht zunächst einen großen administrativen Aufwand, weil sie diese Kanäle eben alle zur Verfügung stellen müssen?

Wagner: Ja, das ist so. Ich glaube, dafür sind große Anstrengungen notwendig, technische und fachliche. Man wird auch über geteilte Informationen mit den beteiligten Partnern sprechen müssen, zum Beispiel hinsichtlich Verwertbarkeit und Datenschutz. Aber das sehe ich als eine evolutionäre Entwicklung und das wird nicht mit einem „Big Bang“ geschehen können.

Versicherungsbote: Beobachten Sie mit Blick auf die Digitalisierung bei den Versicherern einen Aktionismus? Dass die Anbieter nun glauben, möglichst keine Innovation verpassen zu dürfen und Angst haben, den Anschluss zu verlieren?

Wagner: Ich habe nicht den Eindruck, dass es blinde Hektik in der Assekuranz gibt. Es ist schon so, dass es Unternehmen gibt, die offensiver auf die Thematik zugehen, und andere verhalten sich defensiver. Ich habe viele Gespräche in der Versicherungsbranche geführt, gerade in den letzten Monaten. Dabei habe ich keinen Entscheider getroffen, der sich des Themas nicht bewusst wäre. Dass mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gegangen wird, ist zutreffend. Welche Geschwindigkeit die richtige ist, kann Ihnen aber keiner vorhersagen. Es ist nicht gesagt, dass der, der am schnellsten rennt und eine Pionierrolle einnimmt, die beste Entwicklung hat, es ist aber auch nicht gesagt, dass der, der am Längsten mit ruhiger Hand wartet, der Erfolgreichste sein wird. Ich bin überzeugt, dass es am Ende Versicherer und Vertriebe geben wird, die den Anschluss verlieren werden. Und ich bin ebenfalls fest davon überzeugt, dass auch die Digitalisierung -neben anderen Problemen, die die Branche hat- zu einer Konsolidierung beitragen wird. Wie in jeder dynamischen Entwicklung wird es aber auch Gewinner geben.

Einzelkämpfer werden sich organisieren müssen

Versicherungsbote: Auch vor den ungebundenen Vermittlern machen die Entwicklungen nicht Halt. Haben Sie Startups beobachten können, bei denen Sie sagen: Das könnte die Zukunft des Maklervertriebs sein? Wie weit ist hier die Entwicklung?

Wagner: Unterschiedlich. Ich weiß, dass das eine oder andere Startup mit Maklerpools in engeren Gesprächen ist, um neue Konzepte zu erörtern und eine Zusammenarbeit auszuloten. Das ist zum Teil in ersten Gesprächsphasen, zum Teil sind Pilotprojekte angedacht oder werden bereits umgesetzt. Inwieweit der Einzelmakler hier schon aktiv ist, wage ich nicht zu beurteilen. Ich glaube aber nicht, dass das auch auf breiter Basis schon geschieht.

Versicherungsbote: Also kann man Maklern auch keine konkrete Empfehlung geben, wie sie mit Risiken und Chancen der fortschreitenden Digitalisierung umgehen sollen?

Wagner: Soweit es allein um die Beziehung zum Kunden geht, um Online-Unterstützung bei der Beratung und im Verkauf, gibt es auch schon sehr erfolgreiche Einzelmakler, die zum Beispiel in den sozialen Medien unterwegs sind und dort agieren. Eine digital unterstützte Prozessoptimierung sehe ich hingegen noch nicht auf breiter Front. Es wird für Makler auch schwierig sein, das alleine zu bewerkstelligen. Ich kann es mir aber gut vorstellen, dass die Vermittler über Maklerverbünde, Maklerverbände, Maklerpools und großen Vertriebsgesellschaften ohnehin die Chancen der Digitalisierung angehen. Das erfordert natürlich ein gewisses Maß an Standardisierung. Und ich denke, da muss die Ebene des einzelnen Maklers verlassen werden.

Versicherungsbote: Das würde dann auch bedeuten, dass die Maklerpools und -verbände gegenüber „Einzelkämpfern“ an Bedeutung gewinnen.

Wagner: Ich will nicht sagen, dass Einzelmakler keine Zukunft haben. Aber sie werden sich organisieren müssen. Sie werden sich standardisierten Lösungen öffnen müssen, aber das müssen sie heute eigentlich auch schon. Da hilft natürlich eine -wie auch immer geartete- Anbindung an Partnernetzwerke. Das heißt nicht, dass der Makler mit seinem Unternehmen nicht mehr existieren kann. Aber er wird sich neue, digitale Kompetenzen aufbauen müssen – allein oder mit Hilfe Dritter.

Versicherungsbote: Ein Trend, der aktuell zu beobachten ist: Immer mehr Policen lassen sich im Internet abschließen. Das betrifft auch solche Verträge, die beratungsintensiv sind und nicht per Mausklick abgeschlossen werden sollten, ich denke an private Krankenvollversicherungen oder BU-Policen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung – auch aus Sicht des Kunden?

Wagner: Verträge, die aktuell als sehr komplex gelten, werden zukünftig auch im Internet mehr und mehr eine Rolle spielen werden. Ich sehe dafür zwei Möglichkeiten. Möglichkeit Numero Eins: Die Produkte sind nicht mehr so komplex, sondern sie werden deutlich vereinfacht, zum Beispiel mit modularen Ansätzen. Die Individualisierung entsteht dann durch die Kombination von Bausteinen, die aber einfach erklärt werden müssen. Und die zweite Möglichkeit: Die Digitalisierung schafft technische Möglichkeiten, online effizient zu beraten. Sei es durch spezialisierte Software, die mit Spracherkennung funktioniert, einen Avatar zur individualisierten Beratung hinzuzieht und als lernfähiges System immer besser aufgestellt wird. Sei es durch eine Technik wie Co-Browsing und Videokonzepte, bei denen am anderen Ende der Leitung der Berater steht, den es auch heute gibt, der nur dann eben mit modernen Methoden arbeitet und nicht mehr standardmäßig -fallweise aber durchaus noch- im Wohnzimmer des Kunden sitzt.

Versicherungsbote: Bedeutet das nicht eine Gefahr für Vertriebsmitarbeiter, weil viele Arbeitsplätze durch „intelligente Systeme“ ersetzt werden?

Wagner: Ich sehe das eher als eine Chance für den Vertrieb, aber nicht für alle. Wir brauchen uns überhaupt nicht darüber zu unterhalten, dass die Zahl der Vertriebspartner zurückgehen wird. Sie wird auch merklich zurückgehen. Ich glaube aber auch, dass es Gewinner unter den Vertriebspartnern geben wird, bei solchen, die es schaffen, sich die neuen Welten zu erschließen, sie als Chance zu begreifen und sich in ihnen weiterzuentwickeln.

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Versicherungsbote: Vielen Dank für das Interview! (Die Fragen stellte Mirko Wenig)