Berufsunfähigkeit - Krank und arm trotz BU-Versicherung?
Berufsunfähig, kaputt und arm? Seit der Abschaffung des gesetzlichen Berufsunfähigkeits-Anspruchs bekommen viele Versicherte auch im Ernstfall die Auszahlung ihrer Versicherungssumme verweigert, andere werden von Versicherern von vornherein abgelehnt, beispielsweise wegen Vorerkrankungen, Kniebeschwerden oder bei Therapien gegen Prüfungsangst. so mag es einem scheinen nach dem Report aus Mainz, der erneut gegen BU-Versicherer polemisiert.
In der Sendung wurde das Beispiel eines Mannes gezeigt, der seit dreizehn Jahren an der allmählichen Versteifung und Verkrümmung der Wirbelsäule leidet: Morbus Bechterov, keine Heilungsaussichten, stattdessen die Gewissheit einer Verschlimmerung Tag für Tag. Aus diesem Grund kümmerte sich der Mann, ein Landschaftsbauer namens Hendrik Tenhaven, früh genug um die private Absicherung für seine bevorstehende Berufsunfähigkeit. "Ich habe13 Jahre lang immer meine Beiträge bezahlt. Jetzt wo ich sie eigentlich bräuchte, lassen die mich hängen, und ich verstehe es nicht. Ich weiß nicht, ob ich da mit dem Rollstuhl vorfahren muss...", so der Erkrankte in der Sendung. Wenn Tenhaven arbeitet, dann unter starken Schmerzen.
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"Gerade wenn ich mich bücken muss, schwere Sachen heben muss, spüre ich eigentlich immer diese Steifigkeit und die Schmerzen im Rücken. Ich muss da eigentlich immer auch zwischendurch Schmerztabletten nehmen, damit ich halbwegs den Arbeitsalltag schaffe." Halb so schlimm, dann übernehmen Sie einfach ein paar leichtere Aufgaben, empfahl ihm seine Versicherung. Das bisschen Rücken, das macht noch keine Berufsunfähigkeit, so wohl der Subtext.
Tenhaven hat eine kleine Familie, ohne sein Einkommen und ohne die BU-Leistungen sieht es bald finster für sie aus. Seine Frau macht sich Sorgen, sie fühlt sich sehr verunsichert und weiß nicht, wie sie der Situation begegnen soll. Das kann doch nicht sein, das muss doch ein Versehen sein, oder?
"Das jetzige Modell der BU-Absicherung ist gescheitert"
Leider ist dieser Fall kein Einzelfall, wie die Reporter der Sendung aus Mainz recherchierten. Die Familie hat sich einen Anwalt genommen und dieser bilanziert durchaus polemisch, die Berufsunfähigkeitsversicherungen seien eine einzige menschliche und rechtliche Katastrophe. So sagte der Anwalt mit dem Namen Frank Vormbaum: "Was typisch an diesen Fällen ist, dass der Versicherer versucht im eigenen wirtschaftlichen Interesse die Leute um ihre Ansprüche zu bringen. Die bekommen dann nichts und haben genau das nicht, was sie eigentlich wollten und was sie brauchen, eine soziale Absicherung."
Die einstige Sozialleistung der Absicherung jedes Arbeitnehmers, die bis 2001 von der Rentenversicherung getragen wurde, ist abgeschafft. Darum müssen sich die Arbeitnehmer jetzt selbst kümmern, und das machen sie auch. Aber zu viele kommen einfach nicht an das Geld, dass sie dringend brauchen und für dessen Auszahlung sie mit einer entsprechenden Versicherung eigentlich vorgesorgt haben. "Das jetzt gewählte Modell, das diese Verantwortung komplett auf die Arbeitnehmerinnen und auf die private Versicherungswirtschaft überträgt, das ist gescheitert", sagt Wolfgang Schuldzinski, Chef der Verbraucherzentrale NRW. Für ihn stellt diese Privatisierung der Absicherung einen schlimmen Fehler dar, der unbedingt rückgängig gemacht werden muss.
Schuldzinski weiter: "Jeder vierte Arbeitnehmer wird im Laufe seines Lebens berufsunfähig und wenn diese Personen keine entsprechende Absicherung haben, fallen sie dem Steuerzahler, also der Sozialkasse, zur Last. Das wird dazu führen, das die Altersarmut in Zukunft noch größer wird, als sie sowieso schon wird."
"Verlierer sind jene Menschen, die eine Absicherung am nötigsten brauchen"
Die Bundesregierung hat diese Leistung einfach gestrichen und die offenen Fragen dem Markt überlassen, die Versicherer erhielten keine einzige Anweisung oder Vorgabe. Macht's, wie ihr wollt, hieß das im Prinzip. Und das machten die Versicherer auch: "Letztendlich ist die private Berufsunfähigkeitsversicherung ein Geschenk an die Versicherungswirtschaft, bei der sie selektiv die versichert, die sie haben möchte", sagte der Präsident des Verbandes der freien Versicherungsberater, Stefan Albers.
Eine Auswertung aller Gespräche der Verbraucherzentrale ergab, dass für 40 Prozent der Ratsuchenden ein vernünftiger Versicherungsschutz schon von vornherein nicht zu haben ist, weil Menschen mit höherem Risiko systematisch aussortiert werden: Dachdecker, Krankenschwestern oder Gerüstbauer bekommen eine Versicherung zum Beispiel nur zu utopisch hohen Prämien. Leute mit Vorerkrankungen würden gleich aussortiert, da reichen Rücken- oder Kniebeschwerden, Allergien, Prüfungsangst. Schuldzinski: "Die Verlierer sind ganz klar die Menschen, die eine solche Versicherung bzw. die Absicherung im Schadensfall am nötigsten brauchen."
Staatliche Förderung der BU ist ein Flopp
Auch die vor zwei Jahren eingeführte staatliche Förderung der Berufsunfähigkeitsversicherung ist nichts wert, denn es gibt keinen Versicherer, der einen entsprechenden Tarif anbietet, so teilte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft laut finanzen.de mit. Das soziale Netz im Falle einer Berufsunfähigkeit können sich die Menschen jedenfalls abschminken. Finanzen.de empfiehlt deshalb die Erwerbsunfähigkeitsversicherung als eine günstige Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung – die greift aber nur, wenn sich der Versicherte weder im ausgeübten noch in einem beliebigen anderen Beruf verdingen kann. Eine weitere, sich allein auf bestimmte Krankheitsbilder beziehende Absicherung sei die Dread Disease, die „Schwere-Krankheiten-Versicherung“. Diese leistet zwar, wenn der Versicherungsnehmer an einer im Vertrag definierten Krankheit erkrankt. Aber die häufigsten Ursachen für eine BU, psychische Leiden sowie Erkrankungen des Stützapparates, lassen sich mit einer solchen Police eben nicht absichern.
Psychische Erkrankung? Da zweifeln die BU-Versicherer
Am schwersten haben es Menschen mit psychischen Erkrankungen ihre Berufsunfähigkeit beim Versicherer geltend zu machen. Sie ernten Misstrauen, selten Zahlungen. So erzählt ein einstiger Versicherungsmakler über seine Erfahrungen mit der Branche aus der Sicht eines Betroffen. Wegen dem Verkaufsdruck wurde er krank, bekam schwere Depressionen: "Eigentlich missachtet sie mich, also indem sie mir einfach sagt, dass ich ein Lügner bin, und mich einfach darstellt, dass ich mir Leistungen erschleichen möchte." Ein freier Versicherungsberater, der in der Sendung ebenfalls zu Wort kommt, ist sich sicher: Die Absicherung gegen Berufsunfähigkeit muss zurück in die gesetzliche Rentenversicherung.
Die verantwortliche Arbeitsministerin Nahles und der Verbraucherschutzminister Maas verweisen die Reporter bei der Frage, was von diesem Zustand zu halten sei, an den jeweils anderen, letztlich aber sei keine Änderung oder Rücknahme geplant. Ein Fehler, findet Professor Hans-Peter Schwintowski, Wirtschaftsrechtler an der Humboldt-Universität Berlin:"Nach meiner Meinung hat der Gesetzgeber damals einen Verfassungsbruch begangen. Berufsunfähigkeit ist ein Risiko, dass uns allen droht. Das darf der Gesetzgeber nach meiner Überzeugung nicht einfach aus dem Leistungskatalog herausnehmen, er hat’s dennoch getan und nach meiner Meinung muss er das rückgängig machen." Sonst drohten Armut und sozialer Abstieg.
Verbindliche Zahlen fehlen
Es fehlen Zahlen die Auskunft geben könnten, wie viele Menschen keine Versicherung bekommen können und wie viele Menschen in Armut fallen, weil sie keine Berufsunfähigkeitsversicherungen haben, oder diese im Schadensfalle nicht zahlt. So fragten die Reporter bei den genannten Ministerien, der Deutschen Rentenversicherung, der Bundesagentur für Arbeit und dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft zu erhalten. Offenkundig, so das Fazit, würden diese Zahlen seit 2001 nirgends erhoben, so berichtet der SWR in einer Pressemeldung.
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Die Versicherungsbranche hat sich schon mehrfach gegen allzu pauschale Verdächtigungen gewehrt, wie sie nun erneut von Report Mainz geäußert werden. Im Jahr 2012 zahlten Versicherer mehr als 250.000 BU-Renten mit einem Volumen von 1,7 Milliarden Euro aus, wie der GDV berichtet, Tendenz steigend. Auch eine Studie des Analysehauses Franke & Bornberg kommt zu dem Ergebnis, dass ein strategisches Ablehnungsmanagement durch die Versicherer nicht erkennbar sei. „Bei vielen Fällen, in denen es nicht zur Anerkennung kommt, handelt es sich nicht um Ablehnungen. Vielmehr wurden vorsorglich gemachte Leistungsanmeldungen durch die Kunden selbst nicht weiter verfolgt.“, erklärte im Juni 2014 Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke & Bornberg, in einem Gastartikel für Cash online.