Mercer-Chefaktuar Hagemann zur Betriebsrente: kein bAV-Führerschein nötig
Betriebliche Altersvorsorge: Im ersten Teil des Interviews sprach Thomas Hagemann, Chefaktuar bei Mercer Deutschland, unter anderem über die kommende Nahles-Rente. Was bringt das Jahr 2016 ansonsten für die betriebliche Altersversorgung? Thomas Hagemann gibt Orientierung. In Interview mit dem Versicherungsboten.
Versicherungsbote: Wenn sie einen Wunschzettel an den Gesetzgeber schreiben dürften. Welche Bildungsvoraussetzungen müssen ihres Erachtens erfüllt sein, damit sich ein Finanzberater an komplexere Durchführungswege wie die Unterstützungskasse oder die Pensionszusage heranwagen darf?
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Hagemann: Ein formeller bAV-Führerschein stünde nicht auf meinem Wunschzettel. Ich meine, dazu ist das bAV-Themengebiet zu vielseitig. Ein bAV-Führerschein würde nur ein Grundwissen für alle Durchführungswege beinhalten, aber häufig braucht man Spezialwissen. Ein Beispiel: Für eine Direktzusage wird man immer auch einen Aktuar ins Boot holen müssen, das könnte ein bAV-Experte mit bAV-Führerschein, aber ohne aktuarielle Erfahrung nicht abdecken.
Versicherungsbote: Ketzerfrage: Die Gesellschafter-Geschäftsführer-Versorgung vor allem bei GmbHs wurde vor allem in den Jahren um 1990-2000 doch von vielen Vermittlern als eine Art Steuersparmodell verkauft. Heute, das weiß der Aktuar Hagemann wohl am besten, leiden diese Pensions-Konstrukte Not, weil sie unterfinanziert sind. Aus ihrer Branchensicht. Drohen vielen GmbHs und ihren Eignern demnächst hohe Zusatzlasten, die Zusagen nachzufinanzieren?
Hagemann: Wenn die GGF-Versorgung als Direktzusage umgesetzt wurde, werden sich durch die Zinsentwicklung in den nächsten Jahren zusätzliche Aufwendungen im HGB-Abschluss ergeben. Diese Entwicklung wird aber häufig verkraftbar sein, weil oft nur der Gesellschafter-Geschäftsführer als natürliche Person eine entsprechende Pensionszusage hat und die Erhöhungen aus dem laufenden Gewinn geschultert werden können. Die bilanzielle Entwicklung von Direktzusagen ist vor allem dann ein Problem, wenn sehr viele Mitarbeiter des Unternehmens Direktzusagen haben.
Versicherungsbote: Viele echte, aber auch halbe Kenner der bAV propagieren zurzeit die pauschalgedeckte Unterstützungskasse. Und wie man es heraushört, oft wieder Mal als Steuersparmodell für die Firma. Mögen sie einmal die, nennen wir sie Knackpunkte der pauschaldotierten Unterstützungskasse beschreiben. Wo werden dort die meisten Fehler gemacht?
Hagemann: Die Unterstützungskasse – pauschaldotiert oder rückgedeckt – ist derzeit vor allem interessant, weil sie bei vertretbarem Liquiditätsbedarf die Handelsbilanz entlasten kann. Ein Durchführungswegwechsel von der Direktzusage zur Unterstützungskasse ist tatsächlich aber sehr komplex und erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen: Steuerrecht, Arbeitsrecht, Bilanzierung, Versicherungstechnik…
Versicherungsbote: ... und das führt zu sehr praktischen Problemen…
Hagemann: ... ja, Hauptstolperfallen sind vermutlich Arbeits- und Steuerrecht: Durch Schnellschüsse bei der Formulierung der Dokumente oder der Kommunikation kann man sich schnell Probleme einhandeln, zum Beispiel weil Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß auf die Unterstützungskasse übertragen wurden oder die U-Kasse steuerlich nicht als soziale Einrichtung anerkannt wird.
Versicherungsbote: Vielleicht ist das zu pauschal gefragt. Dennoch, ab welcher Firmengröße oder Mitarbeiterzahl empfehlen Sie zugunsten der Mitarbeiter Pensionszusagen oder bilanzfreie U-Kassen-Zusagen?
Hagemann: In der Tat ist mir die Frage zu pauschal. Sowohl Direktzusagen aus auch Unterstützungskassen finden wir in der Praxis schon ab einer Person – denken Sie nur an die GGF-Versorgung. Zugegeben: Wenn es um die Belegschaft geht, werden sehr kleine Unternehmen wieder die Direktversicherung bevorzugen, weil sie von ausscheidenden Mitarbeitern mitgenommen werden kann. Aber bei einer höheren zweistelligen Mitarbeiterzahl lohnt es sich wirklich, auch über andere Wege nachzudenken.
Versicherungsbote: Stichwort Mobilitätsrichtlinie der EU. Können sie die Neuerungen für Arbeitgeber kurz zusammenfassen und worauf es dabei ankommt, wenn Fehler vermieden werden sollen?
Hagemann: Zukünftig behalten Mitarbeiter schon eine unverfallbare Anwartschaft, wenn sie nach drei Jahren aus einem Unternehmen ausscheiden und dann bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben. Außerdem dürfen die Anwartschaften ausgeschiedener Mitarbeiter nicht schlechter behandelt werden als die der Aktiven.
Versicherungsbote: Und das bedeutet?
Hagemann: Insbesondere der letzte Punkt, die Dynamisierung unverfallbarer Anwartschaften, dürfte in der Praxis noch Fragen nach sich ziehen. Eine Verzinsung, wie wir sie bei Direktversicherungen finden, wäre ausreichend. Bei gehaltsabhängigen Zusagen sind dagegen zukünftig auch Anwartschaften ausgeschiedener Anwärter zu dynamisieren – aber nur für Dienstzeiten ab 2018, was zu komplexen Berechnungen führen kann.
Versicherungsbote: Ist es in Zukunft wirklich möglich, seine bAV in andere EU-Staaten einfach mitzunehmen?
Hagemann: Mitnehmen und beim neuen Arbeitgeber im Ausland fortführen – das wird es auch nach der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie nicht geben. Die Mobilität wird allein dadurch gefördert, dass man bei einem Wechsel ins Ausland möglichst keine Einbußen bei der Altersversorgung im Inland hat.
Versicherungsbote: Bereits vor zehn Jahren diskutierten Politiker und bAV-Experten eine bessere EU-weite Mobilität der bAV. Was ist daraus geworden?
Hagemann: Die Mobilitätsrichtlinie ist das, was von den früheren Überlegungen übriggeblieben ist. Damals sollte die Regelung Portabilitätsrichtlinie heißen und tatsächlich wollte man die Mitnahme der Altersversorgung erreichen – ein schwieriges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass die Altersversorgung in den einzelnen Mitgliedsländern ganz unterschiedlich geregelt ist.
Versicherungsbote: Braucht man eigentlich noch eine Pensionskasse oder könnte man den Durchführungsweg nicht zugunsten der DV innerhalb eines Lebensversicherers streichen oder dort modifizieren?
Hagemann: Da die Pensionskasse Spezialist für betriebliche Altersversorgung ist und somit für sämtliche Verpflichtungen die Haftung des Arbeitgebers im Hintergrund steht, hat die Pensionskasse mehr Gestaltungsspielräume als eine Direktversicherung. Außerdem sehe ich nicht die Möglichkeit, bestehende Pensionskassen flächendeckend auf Direktversicherungen zu überführen. Insbesondere müssen wir auch daran denken, dass es viele unternehmenseigene Pensionskassen gibt. Also: Wir brauchen weiterhin die Pensionskasse.
Versicherungsbote: Herr Hagemann, danke für diese bAV-Tour! Vom Profi für den Versicherungsmakler zur Orientierung und als Einstieg in das bAV-Jahr 2016.
Die Fragen stellte Markus Rieksmeier
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Facebook und Twitter postet Hagemann vor allem zur Rechnungslegung der bAV.
Thomas Hagemann ist Chefaktuar bei Mercer Deutschland. Auf