Krankenversicherung - "Ganzheitliche Beratung aus einer Hand ist eine Illusion!"
Versicherungsvermittler sollten zu PKV und GKV gleichermaßen beraten können, weil sie damit dem Kunden mehr Wahlmöglichkeiten einräumen. Dese These vertritt Hagen Engelhard, Gesundheitsexperte und Gründer des Versorgungsnetzwerkes Medi-Kost-Net, im drei-teiligen Versicherungsbote-Interview. Denn auch gesetzlich Versicherte können sich wie Privatpatienten behandeln lassen, wenn sie die Vorteile einer Zusatzversicherung und des Kostenerstattungsprinzips kennen. Doch in der Beratung zur gesetzlichen Krankenversicherung sieht Engelhard Defizite – auch, weil die Vermittler nicht bereit seien, ihr Fachwissen zu vertiefen.
Versicherungsbote: Unser Thema ist Beratung zur Krankenversicherung, speziell unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorsorge. Wo sehen Sie hier Defizite auf Seiten der Vermittler?
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Engelhard: Ich sehe Defizite vor allem bei Pflege und bei der Kostenerstattung in der GKV. Deren Chancen und Vorteile sollten Vermittler aktiv ansprechen, aber sie tun es einfach nicht. Pflege findet auf Initiative des Endverbrauchers, also eines potentiellen Kunden statt, während Kostenerstattung überhaupt nicht angesprochen wird. Weil das auch von den Gesellschaften nicht gewollt wird. Es ist erklärungsbedürftig und damit kein einfaches Produkt, sondern eins, womit man sich mal als kompetenter Vermittler profilieren könnte. Mein Eindruck: die Pflegeversicherung ist bei den Kunden mehr zugegen als bei den Vermittlern.
Versicherungsbote: Das Kostenerstattungsprinzip läuft darauf hinaus, dass die Verbraucher in den Krankenkassen verbleiben und Mehrkosten einer Behandlung aus eigener Tasche zahlen. Provokativ gefragt: schneidet sich der auf PKV spezialisierte Vermittler damit nicht ins eigene Fleisch? Das könnte ein Grund für die fehlende Beratungsbereitschaft in diesem Bereich sein.
Engelhard: Ja, das sind Kannibalisierungseffekte, die tatsächlich vorkommen können. Diese sind aber nach meinem Dafürhalten zu vernachlässigen, denn der Endverbraucher, der für solche Kostenerstattungsprinzipien geeignet ist, muss etwas mehr Geld zur Verfügung haben. Der liegt dann irgendwo beim Höchstbeitrag innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung plus Zusatz ambulant, plus Zusatz stationär, plus Pflege. Der Kunde kommt von ganz allein auf die Idee, dass er das gleiche Phänomen mit einer privaten Vollversicherung lösen kann und dann auch noch im Vergleich zu dem finanziellen Aufwand von 900-1.000 Euro mit einer Vollversicherung eventuell besser dasteht.
Der Verbraucher hat Vorurteile gegen die private Vollversicherung
VB: Da stellt sich doch die Frage - Wäre es nicht für die Makler/Vermittler lukrativer, den Kunden gleich in einen PKV-Tarif zu lotsen?
Engelhard: Selbstverständlich wäre es schlauer. Aber manchmal sei im Vertrieb die Frage gestattet, ob ich mit der Tür ins Haus falle oder auf mögliche Ressentiments der Kunden Rücksicht nehme. Der Privatverbraucher kommt häufig mit Vorurteilen gegenüber der Vollversicherung. Bevor ich ihn da verschrecke, kann man den Ansatz wählen: „Mein lieber Endverbraucher, du hättest die Möglichkeit dich privatversichern zu lassen. Aber wenn dir das unangenehm ist, dann denk doch mal drüber nach in der Gesetzlichen zu bleiben und trotzdem einen Privatpatienten-Status zu erreichen.“ Mit einer solchen Strategie macht man zunächst neugierig auf das Thema. Wenn ich dann den Kunden das Prinzip der Kostenerstattung erkläre, denn das haben die meisten Menschen in Deutschland noch nie gehört, dann identifiziert der Endverbraucher den Vermittler, der vor ihm sitzt, als Fachmann und nicht als „Verkäufer“. Und dann kommt der Kunde von allein und fragt „Was ist denn nun eigentlich, wenn man das komplett mit einer Privatversicherung lösen könnte?“. So kann ich ihn sehr vorsichtig und nett lotsen.
VB: Es hat ja tatsächlich einen Vorteil für den Kunden, in der GKV zu bleiben und entweder mit Kostenerstattung oder Zusatzversicherung aufzustocken. Nämlich, dass die Beiträge abhängig sind vom Lohn. In der PKV hingegen kann es dem Kunden passieren, dass er plötzlich wenig Geld verdient, aber trotzdem hohe Beiträge zahlen muss.
Engelhard: Das würde ich gerne differenzierter betrachten. Wenn ich eine private Vollversicherung mit Sinn und Verstand beginne, dann kann ich sehr wohl mit geringem Risiko in die PKV wechseln. Das bedeutet: Ich bin mir darüber in Klaren, dass ich ein ordentliches Einkommen haben werde und nicht Berufseinsteiger bin, der vielleicht nur die unsichere Aussicht auf einen hohen Lohn hat. Wenn ich mir dann mit meiner Familienplanung im Klaren bin, beide Partner im Beruf stehen und eine genügende Restlaufzeit bis zur Rente von -sagen wir mal- 20 bis 25 Jahren besteht, dann ist die PKV eine gute Lösung. Wenn ich hingegen all die Dinge noch nicht geklärt habe, ist der Verbleib in der Krankenkasse plus Zusatzversicherung eine bessere Wahl.
VB: Einspruch! Was ist mit jenen Fällen, in denen Selbstständige lange Jahre gut verdient haben, aber 4-5 Jahre vor Renteneintritt in die Arbeitslosigkeit rutschen? Dann kann die hohe Versicherungsprämie zum existentiellen Problem werden.
Engelhard: Bezüglich der Frage „Was macht der Endverbraucher, wenn es auf einmal nicht mehr geht?“, hat der Gesetzgeber potenzielle Hilfsnetze gezogen. Diese sind den meisten Versicherten nur nicht bekannt. Es kann immer passieren, dass ich betriebswirtschaftlich nicht mehr klar komme. Mit einer hinreichenden Laufzeit des Vertrages von 20 bis 25 Jahren bis zum Rentenalter kann man aber für diesen Fall vorbeugen. Hierfür hat der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten innerhalb der PKV geschaffen: ich reduziere beispielweise meinen Versicherungsschutz auf ein kassenähnliches Niveau und was ich bis dato an Altersrückständen gesammelt habe, wird aufgelöst, für mich individualisiert und in Form eines zukünftig zu zahlenden Beitrages rabattiert. Wenn jemand einen vernünftigen Tarif mit hohen Altersrückständen gekauft hat, landen wir in einer Größenordnung von 250 bis 350 Euro als Monatsbeitrag. Das hat ein normal versicherter GKV-Rentner auch zu zahlen, zumal man dann auch Zuschüsse vom Rentenversicherungsträger erhält. Wer nicht ausreichend für das Alter vorgesorgt hat und lieber in Autos und viele Urlaube investierte, wird sehr wahrscheinlich auch mit gesetzlichem Schutz in die Altersarmut rutschen.
Die wesentliche Frage ist: Wer operiert mich?
VB: Zurück zum Thema Zusatzversicherung. Vermittler empfehlen gerne Zahnzusatzversicherungen. Es ist gut gegenüber dem Kunden kommunizierbar, dass man irgendwann Zahnersatz braucht und hier Kosten drohen. Welche Zusatzversicherungen werden Ihrer Meinung nach zu selten angeboten, vielleicht, weil der Kunde gar nicht weiss, dass er sie abschliessen kann?
Engelhard: Ich glaube, dass wir in Deutschland, was das Thema Zusatzversicherung angeht, einem Irrglauben unterliegen: Wir betrachten das psychologische Phänomen „selektive Wahrnehmung“ nicht. In den Augen eines normalen Endverbrauchers zeigt sich das Medizinische zunächst gar nicht, wenn er gesund ist. Da, wo es sich zeigt, ist es zunächst bei Störungen, die auch auf dem gesetzlichen Niveau ordentlich abgearbeitet werden: Schnupfen, Husten, Heiserkeit. Das erste, was viele Verbraucher mit hohen Kosten verbinden, ist die zahnmedizinische Versorgung. Opa hat ja schon ein Gebiss und braucht jetzt ein neues, das ist teuer.
Was wir hingegen häufig nicht machen: an die tatsächlichen Risiken herantreten, die uns alle im Zweifel mit fürchterlicher Verzögerung treffen. Und wenn sie uns treffen, ist es meist zu spät. Das beginnt mit Pflegevorsorge. Pflege kommt nicht sofort, Pflege ist nicht sofort für alle sichtbar und -wenn überhaupt- medial. Hinzu tritt das Phänomen, dass ein halbwegs Gesunder sich sehr ungern mit seinem eignem Ableben beschäftigt, und die Absicherung hierfür nach hinten schiebt.
Die wesentliche Frage aber ist: „Wer operiert mich?“ Operiert mich der Arzt, der gerade zufällig Dienst hat und es am besten können will, weil in 10 Jahren irgendwann mal Leitender Oberarzt werden möchte? Oder operiert mich der Arzt, der es jetzt schon am besten kann und den anderen es bereits beibringt? Das ist die wahlärztliche Behandlung und diese Leistung tritt in Deutschland extrem weit in den Hintergrund, weil die meisten Kunden und Vermittler kein Wissen über die Unterschiede haben. Wer ist denn für Privatpatienten Op-technisch zuständig? Was muss er da anbieten, was er dem Kassenpatient nicht anbietet? Wenn ich dass nicht weiß und nicht artikulieren kann, dann spreche ich diese Dinge nicht an.
Das Gleiche gilt für die Kostenerstattung. Ist hierbei wirklich nur der einzige Vorteil, dass ich sofort einen Termin bekommen kann? Oder hängt da mehr dran? Etwa die Frage: Ambulante Operation, macht es der beste Arzt oder jener, der noch am meisten übt? Schiebt man mich ab ins Krankenhaus, weil es dort billiger ist für den Operateur? Welche Materialien bekomme ich bei künstlichen Gelenken „eingepflanzt“? Welche Medikamentenversorgung steckt hinter der Thematik? Deswegen glaube ich, dass Kunden durch diese selektiven Wahrnehmungen häufig falsche Schwerpunkte setzen.
VB: Sie würden also Vermittlern raten, eher die Chefarztbehandlung bei Zusatzversicherungen anzusprechen?
Engelhard: Ganz deutlich ja. Ich würde es aber nicht Chefarztbehandlung nennen, weil es eigentlich ein falscher Begriff ist. Sondern es ist eine wahlärztliche Behandlung, die per Gesetz nach den Regeln der ärztlichen Kunst stattzufinden hat. Während für Kassenpatienten hingegen die Allgemeinen Krankenhausleistungen gelten. Hier orientiert sich die Behandlung an der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses, also was technisch gerade möglich ist. Die Wahlmöglichkeiten des Kassenpatienten sind folglich nicht gegeben oder eingeschränkt.
Zum Weiterlesen: Hier finden Sie Teil 2 und Teil 3 des Interviews
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Die Fragen stellte Mirko Wenig