Ausgebrannt, müde, verzweifelt: Psychische Erkrankungen zählen zu den häufigsten Ursachen, weshalb Menschen ihren Beruf vorzeitig aufgeben müssen, Tendenz steigend. Der Anteil psychischer Erkrankungen an allen neu erteilten Erwerbsminderungsrenten stieg von 15,4 Prozent im Jahr 1993 auf 42,7 Prozent im Jahr 2012, wie aus Daten der Deutschen Rentenversicherung hervorgeht. 75.000 Menschen werden jedes Jahr aufgrund psychischer Symptome in den Vorruhestand abgeschoben, vielen von ihnen droht die Armutsfalle.

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Folglich versuchen auch die privaten Berufsunfähigkeitsversicherer, psychisch labile Menschen bereits im Vorfeld auszusieben und ihnen den BU-Schutz zu verwehren, ist doch das Risiko, dass diese Erwerbstätigen einmal auf eine Rente angewiesen sein werden, vergleichsweise hoch. Wer einen BU-Schutz will, muss Fragen zu seiner Verfasstheit im Antrag genau beantworten. Wenn der Verbraucher Vorerkrankungen verschweigt, kann der Versicherer wegen Arglist den Vertrag später anfechten. Das gilt selbst dann, wenn der Kunde regelmäßig Beiträge gezahlt hat.

Verschwiegene Stimmungsschwankungen – Kann Versicherer von Vertrag zurücktreten?

Doch wann kann eine Versicherung vom Vertrag zurücktreten, wenn ein Patient frühere Stimmungsschwankungen nicht im Antrag nannte? Mit dieser Frage musste sich aktuell das Oberlandesgericht Braunschweig auseinandersetzen. Auf den Rechtsstreit macht das Onlineportal haufe.deaufmerksam.

Verhandelt wurde der Fall einer Patientin, die 2005 eine BU-Police bei der verklagten Versicherung abgeschlossen hatte. Den Antrag auf Versicherungsschutz hatte sie im November 2004 gestellt. Schon wenige Monate nach Inkrafttreten des Vertrages musste sie sich in psychologische Behandlung begeben, ihr Zustand verschlechterte sich zunehmends. In dem Zeitraum zwischen dem 18.11.2009 und dem 27.07.2011 war die Klägerin aufgrund einer Depression arbeitsunfähig und befand sich in teils stationärer psychiatrischer und psychologischer Behandlung in verschiedenen Einrichtungen. Rückwirkend bis 2009 machte die Frau bei der Versicherung eine jährliche Rente von 13.000 Euro geltend.

Die Versicherung aber wollte nicht zahlen und erklärte ihren Rücktritt vom Vertrag. Die Begründung: Die Frau hatte gegenüber ihren Ärzten erklärt, schon in der Zeit vor 2000 vereinzelt an Depressionen gelitten zu haben. Da eine risikoerhebliche Krankheit verschwiegen worden sei, liege eine vorsätzliche, mindestens aber grob fahrlässige Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht vor. Zudem habe die Klägerin schon im Alter von 10 Jahren unter depressiven Verstimmungen gelitten. Unter anderem habe die Patientin berichtet, dass es bei ihr bereits 2004 nach einem Umzug in eine fremde Stadt psychisch bergab gegangen sei – also vor Unterzeichnung des Vertrages.

Gericht entschied zugunsten der erkrankten Frau

Der 3. Zivilsenat des OLG Braunschweig folgte jedoch nicht der Argumentation der Versicherung und fällte ein verbraucherfreundliches Urteil. Zwar habe die Versicherung ausdrücklich im Antrag nach „Krankheiten, Störungen und Beschwerden“ der Psyche innerhalb der letzten 10 Jahre gefragt. Jedoch habe der „darlegungs- und beweislastige“ BU-Versicherer keinen Nachweis erbringen können, dass die Kundin bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung unter Beeinträchtigungen litt, „die nicht als belanglos und vorübergehend einzustufen waren“. So habe die Klägerin keineswegs seit dem 10 Lebensjahr an Beschwerden gelitten, „die sich wie ein roter Faden durch ihr gesamtes Leben ziehen“.

In seiner Argumentation berief sich das Gericht auf ein früheres Urteil des Bundesgerichtshofes. Zwar seien Versicherungsnehmer verpflichtet, Gesundheitsfragen im Antrag „erschöpfend zu beantworten“. Andererseits sei aber auch anerkannt, „dass der Versicherungsnehmer in seinem Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung bei der sehr weit gefassten Antragsfrage nach Krankheiten, Störungen und Beschwerden solche Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind und alsbald vergehen, nicht angeben muss (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2003 – IV ZR 67/02)“.

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Die Richter berücksichtigten bei ihrem Urteil auch die Aussage von Zeugen, wonach die Patientin sich nach ihrem Umzug in die fremde Stadt zunächst wohl gefühlt habe. Dass sich die Patientin in Behandlung begeben habe, sei überraschend gewesen. Der Klägerin „kann daher allenfalls der Vorwurf gemacht werden, dass sie die ggf. bis zur Vertragsannahme neu auftretenden psychischen Beschwerden fälschlich als nicht gefahrerheblich eingeordnet hat“, heißt es in der Urteilsbegründung. Im vorliegenden Fall ging das Gericht deshalb von einer leichten Fahrlässigkeit der Frau aus. Dies führe gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 VVG zum Ausschluss des Rücktrittsrechts der Versicherung, der Vertrag bestehe weiterhin fort. Eine 2. Revision wurde nicht zugelassen.

Haufe.de, OLG Braunschweig