Viele Kunden von Renten- und Lebensversicherungen können laut einer Umfrage der „Euro am Sonntag“ auf mehr Geld hoffen. Eine Reihe von Unternehmen habe demnach angekündigt, auf aktuelle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zu reagieren, nachdem sie mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil abgeblitzt seien. Betroffen sind Verträge, die nach dem sogenannten Policenmodell abgeschlossen wurden – vorausgesetzt, die Widerspruchsbelehrung bei Vertragsabschluss war mangelhaft.

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Lebensversicherung nach Policenmodell – Versicherungsvertrag erst nach Vertragsabschluss

Abschluss nach dem Policenmodell heißt stark vereinfacht, die Kunden erhielten sämtliche Vertrags-Unterlagen erst mit dem Versicherungsschein zugesendet. Zwar konnten die Verbraucher innerhalb einer bestimmten Frist den Vertrag widerrufen – aber ihre Rechte und Pflichten erfuhren sie erst, nachdem sie den Vertrag bereits unterzeichnet hatten. Millionen Lebensversicherungen fanden auf diesem Weg zu ihren Kunden. So geht es nicht, befand auch der Bundesgerichtshof, und hat im Jahr 2008 allen Versicherern den Vertrieb nach dem Policenmodell untersagt. Das Policenmodell sei nicht mit den europäischen Richtlinien für Verbraucherschutz vereinbar.

Streitpunkt ist nun die Frage, ob die Lebensversicherer bei Vertragsabschluss die Verbraucher fehlerhaft oder gar nicht über ihr Widerspruchsrecht aufgeklärt haben. Blieb diese Aufklärung aus, können die Kunden ihrem Vertrag auch heute noch widersprechen – selbst dann, wenn sie ihn zuvor schon gekündigt hatten. Der Vorteil aus Sicht des Kunden: Ein nachträglicher Widerspruch kann ihm Vergleich zu einer „einfachen“ Kündigung erhebliche Nachzahlungen bringen. Das hatte der Bundesgerichtshof 2014 entschieden und 2015 präzisiert (Az. 1 BvR 1674/14).

Aber mehrere Versicherer legten Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil ein und lehnten die Widerrufsgesuche ihrer Kunden grundsätzlich ab. Darunter waren die Anbieter AachenMünchener, Ergo, Generali und Provinzial Rheinland. Erfolg hatten sie mit ihren Eingaben offenbar nicht. „Mittlerweile hat das Verfassungsgericht in fast allen Fällen abgelehnt, sich mit den Beschwerden zu beschäftigen. Nach Angaben eines Gerichtssprechers ist nur in einem Spezialfall eine Beschwerde anhängig“, berichtet „Euro am Sonntag“ (Ausgabe vom 30.07.).

Versicherer wollen Ansprüche nun zügig prüfen

Nun wollen die vier oben genannten Versicherer die Ansprüche der Kunden zügig prüfen. „Wir werden die vorliegenden Widerspruchsbelehrungen nun schnellstmöglichst bearbeiten“, versprach ein Sprecher der AachenMünchener gegenüber dem Münchener Wirtschaftsmagazin. Der Versicherer ist selbst mit zwei Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.

Andere Anbieter hätten hingegen betont, dass bei der Widerspruchsbelehrung damals alles überwiegend oder komplett korrekt zugegangen sei. Darunter der Marktführer Allianz, der ebenfalls den Gang vors Verfassungsgericht wählte. Eine Einschätzung, die Verbraucherschützer anzweifeln. Laut einer Stichprobe, die der Bund der Versicherten (BdV) durchgeführt hat, ist jeder zweite LV-Vertrag anfechtbar, weil er Fehler in der Widerrufsbelehrung enthält.

Gesellschaften können weiterhin Widerrufungen ablehnen

Das Urteil des BGH bedeutet für die Versicherer ein enormes finanzielles Risiko. Rund 108 Millionen Verträge seien bundesweit nach dem Policenmodell abgeschlossen wurden, berichtet die Allianz. Und so ist davon auszugehen, dass einige Versicherer weiterhin Kundenforderungen ablehnen. Hier kommt den Gesellschaften eine Besonderheit des deutschen Rechts entgegen, das streng genommen keine Sammelklagen ähnlich wie in den USA vorsieht.

Und so bestätigt auch Versicherungsombudsmann Günter Hirsch als Schlichtungsstelle der Versicherungswirtschaft gegenüber „Euro am Sonntag“, dass die Versicherungen trotz des BGH-Urteils weiterhin einen Widerspruch von Verbrauchern ablehnen dürfen. Weil es sich bei den Urteilen des obersten Zivilgerichtes eben um Einzelfälle handle. Und jeder Einzelfall müsse für sich juristisch geprüft werden. Das bedeutet: Im Zweifel bleibt dem Kunde keine andere Wahl, als seine Ansprüche gegen den Versicherer vor Gericht einzufordern.

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Falls sich ein Kunde wegen einer Ablehnung an ihn wende, komme es ebenfalls auf den Einzelfall an, so Hirsch. Sollten die BGH-Urteile „eindeutig auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar“ sein, so Hirsch weiter, würde er komplett im Sinne des Kunden eingreifen. Ansonsten wäre unter anderem ein Schlichtungsvorschlag vorstellbar, „der sich an meiner Einschätzung des Prozessrisikos orientiert“.

Euro am Sonntag