Lebensversicherer erneut am Pranger
Mehrere Lebensversicherer versuchen offenbar, ihre Kunden mit privaten Anschreiben aus hochverzinsten Altverträgen zu drängen. Nachdem derartige Vorwürfe bereits gegen die Neue Leben laut wurden, stehen nun auch die Gothaer und die Generali am Pranger. Der Branche droht ein Imageschaden: die "Bild-Zeitung" warnt bereits vor den Praktiken der Versicherer und spricht von einer "miesen Masche".
Die Zahl der Lebensversicherungen, die Kunden aus hochverzinsten Altverträgen drängen wollen, steigt offenbar. Nachdem der Versicherungsbote bereits ein entsprechendes Schreiben der Neue Leben veröffentlicht hat, erhebt nun die "Bild-Zeitung" neue Vorwürfe gegen die Gothaer Lebensversicherung. Und auch die Generali soll laut einer Recherche des "Manager-Magazins" entsprechende Anschreiben versenden, wenn auch nur online.
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Bild schreibt von „mieser Masche der Versicherer“
Im Kern geht es um Altverträge, die in den 90er und 2000er Jahren einen weitaus höheren Garantiezins versprachen. Wer als Kunde 1994 eine Lebensversicherung abschloss, bekam zum Beispiel einen Garantiezins von 4,0 Prozent zugesichert, hinzu kommt die Beteiligung an den Überschüssen. Das Problem: im aktuellen Niedrigzins-Umfeld haben die Versicherer selbst Probleme, ihre alten Versprechen an die Kunden zu erwirtschaften. Zudem müssen die Garantien mit viel Eigenkapital unterfüttert werden.
In der Konsequenz versuchen einige Lebensversicherer nun offenbar, die Altkunden aus ihren Altverträgen zu locken, indem sie in Anschreiben für eine Kündigung der Police werben. Und damit droht der Branche ein neuer Imageschaden. Die "Bild-Zeitung" findet deutliche Worte für den Vorgang: sie spricht von einer „miesen Masche der Anbieter“ und warnt: „Vorsicht, wenn Post von der Lebensversicherung kommt!“
Die Botschaft des Blattes ist deutlich: die Versicherer würden versuchen, ihre Kunden auf unseriöse Weise über den Tisch zu ziehen. Statt Aufklärung betreiben die Anbieter Desinformation. Auch die "Verbraucherzentrale Hamburg", die ursprünglich über die Anschreiben berichtete, prüft rechtliche Schritte. Sprecherin Sandra Klug rechnet gegenüber "Bild-Zeitung" einen Vertrag vor, bei dem der Kundin pro Jahr drei Prozent Rendite verloren gehen, wenn sie vorzeitig kündigt. Restlaufzeit: elf Jahre.
Über Nachteile einer Kündigung klärt die Gothaer unzureichend auf
Doch für die reißerische Kritik liefern die Versicherer selbst die Gründe. Denn auch das von der "Bild-Zeitung" zitierte Anschreiben der Gothaer klärt nicht oder nur unzureichend über die Nachteile einer vorzeitigen Kündigung auf. „Vielleicht möchten Sie sich einen größeren Wunsch erfüllen und haben daher zusätzlichen Finanzbedarf?“, heißt es im Anschreiben des Versicherers. Dann wird der Kunde über den aktuellen Wert den Lebensversicherung informiert und ihm eine Kündigung der Police empfohlen. Beigelegt ist ein „Rücksendeformular“, mit dem der Kunde sofort seinen Vertrag auflösen kann. Das Geld wird ihm unmittelbar auf das Konto überwiesen.
In dem Brief der Gothaer, so weit dem Versicherungsbote vorliegend, fehlen jedoch wichtige Informationen. Kein Wort dazu, dass mit der Kündigung einer Lebens- oder Rentenversicherung auch der Risikoschutz wegfallen würde. Auch kein Wort darüber, dass eine Lebensversicherung seit 2005 versteuert werden müsste – der Altvertrag aber nicht. Dass ein derart hoher Garantiezins mit einer aktuellen LV-Police nicht mehr erzielt werden kann, wenn ein neuer Vertrag unterzeichnet wird – auch dazu keine Angaben. Ein Versicherungsvermittler würde haften, wenn er derartige Nachteile zu Lasten des Verbrauchers verschweigt (Az. III ZR 544/13). Haften auch die Versicherer?
"Schnell ein Geldbetrag zur Verwirklichung Ihrer Wünsche"
Immerhin gibt die Gothaer einen Hinweis, dass die Kündigung nicht nur Vorteile für den Kunden mit sich bringt. Im Schreiben heißt es konkret: „Bitte bedenken Sie, dass eine Rentenversicherung auch in schwierigen Kapitalmarktsituationen eine zuverlässige Anlage- und Kapitalmarktform ist“. Ob das ausreicht, um dem Kunden die Konsequenzen einer vorzeitigen Vertragsauflösung vor Augen zu führen, darf bezweifelt werden.
Geradezu euphorisch sind im Gegensatz dazu die Worte, mit denen der Versicherer für eine Auflösung des Vertrages wirbt: durch die vorzeitige Kündigung der LV-Police erhalte der Kunde "schnell einen zusätzlichen Geldbetrag, der zur Verwirklichung Ihrer Wünsche beiträgt“, verspricht der Versicherer im Anschreiben.
Stellungnahme des GDV: „Kein ungewöhnlicher Vorgang“
Die Schreiben der Versicherer könnten gar einen Verstoß gegen den Verhaltenskodex des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bedeuten. Dort heißt es unter anderem: „Die Beratung und Betreuung des Versicherungsnehmers nach Maßgabe seiner Wünsche und Bedürfnisse ist auch nach Vertragsschluss die Grundlage für eine nachhaltige Kundenbeziehung." Zumindest bei Abwerbungen und Umdeckungen sei das Interesse der Kunden zu beachten. "Besonders im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung kann eine Abwerbung von Versicherungsverträgen oft mit erheblichen Nachteilen für den Kunden verbunden sein. Der Kunde ist in jedem Fall über eventuelle Nachteile konkret aufzuklären." Sollte dieser Grundsatz nicht auch gelten, wenn Versicherer den Kunden aus dem Vertrag drängen wollen?
Der GDV aber relativiert den Vorgang. Gegenüber dem Bayrischen Rundfunk, der ebenfalls über die Schreiben berichtet, lässt der Verband verlauten: "Grundsätzlich weisen viele Produkte eine flexible so genannte Abrufphase auf. Es ist also kein außergewöhnlicher Vorgang, wenn die Auszahlung der Lebensversicherung in der Abrufphase auch schon früher erfolgt."
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Der Imageschaden ist schon da: nachdem die "Bild-Zeitung" berichtete, haben auch andere Medien das Thema aufgenommen, neben dem "Manager-Magazin" und dem "Bayrischen Rundfunk" unter anderem Focus Online. Es könnte noch dicker kommen. Laut "Manager-Magazin" berichtet der Bund der Versicherten (BdV) über Anschreiben auch an Kunden, die bei anderen Lebensversicherern als den drei genannten einen Vertrag haben. BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein erklärt, wenn ein Lebensversicherer so agiere, sei das eine "Bankrotterklärung" und das Eingeständnis, dass sich der Lebensversicherer sein eigenes, ursprüngliches Geschäft nicht mehr zutraue.