Liest man die ersten Kommentare zum vorgelegten Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Vertriebsrichtlinie IDD, also den ersten Gesetzentwurf zur Umsetzung in nationales Recht, dann beschleicht einen mehr als ein flüchtiger Eindruck, dass einige Kommentatoren den vorgelegten Entwurf nach dem Lesen der ersten Seiten aus der Hand gelegt haben.

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Viele Kommentare konzentrieren sich auf einige Reizthemen und gehen auf das eigentliche Ziel der IDD zu wenig ein und verkennen, dass die deutsche Politik einen Frontalangriff auf die freien Vermittler als Teil eines gesunden Wettbewerbs der Vertriebswege zu planen scheint.

Was soll mit der IDD erreicht werden?

Der @AssekuranzDoc

Der @AssekuranzDoc

Dr. Peter Schmidt ist Experte Personenversicherungen und Unternehmensberater im Bereich Versicherungen, Vertriebe und Makler mit langjähriger Erfahrung als Führungskraft und Vorstand bei deutschen Versicherern und twittert als @AssekuranzDoc.

Aus berechtigten Gründen hat sich das EU-Parlament mit der Frage des Vertriebes von Finanz- und Versicherungsprodukten befasst und eine neue Richtlinie vorgelegt. In der Präambel der IDD werden die Ziele formuliert, die auch für den deutschen Markt der Vermittlung von Versicherungs- und Finanzprodukten gelten sollen:

Es soll um mehr Qualität der Beratung und Vermittlung, mehr Transparenz für die Kunden, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle „Vertreiber“, ein vom Vertriebsweg unabhängiges und gleiches Schutzniveau für die Kunden, Schaffung eines wirklichen Binnenmarktes für Lebens- und Sachversicherungsprodukte und damit die Harmonisierung nationaler Vorschriften gehen.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die 113 Seiten der deutschen Übersetzung des Beschlusses des EU-Parlaments zur IDD der Verbraucherschutz. Bis zum Artikel 41 der IDD werden Maßnahmen und Kontrollen der Umsetzung des erreichten Verbraucherschutzniveaus und der Verhältnismäßigkeit der Behandlung zwischen den Vertriebswegen hervorgehoben.

Die IDD räumt die Möglichkeit ein, dass mit der nationalen Umsetzung des entsprechenden Gesetzeswerkes strengere Regelungen getroffen werden. Das bedeutet – eine Aushöhlung der IDD durch schwächere Regelungen soll dieses Mal nicht möglich sein.

Und genau darüber kann sich beim vorgelegten Referentenentwurf trefflich streiten. Der freie Wettbewerb der Vertriebswege in Deutschland soll eher nicht gefördert werden. Viele nationale Regelungen lassen nur den Schluss zu, dass den freien Vermittlern eine „Bleiweste“ angelegt werden soll. Zweifel an der Stärkung des freien Wettbewerbs sind angebracht. Matthias Glesel, Vorstand des IGVM, geht noch weiter: „Würde dieser Entwurf so beschlossen, wäre das ein Desaster für die Branche und den Verbraucherschutz.“

Nachteile über Nachteile für freie Vermittler

Es wird in dieser Kolumne nicht gelingen alle potentiellen Gefährdungen für den freien Wettbewerb der Vertriebswege aus dem Referenten-Entwurf aufzuzählen. Dennoch will ich einige herausgreifen. Zu den schwerwiegendsten gehört die Beschränkung der Vergütung der freien Vermittler auf die Provisionen von Versicherungen.

Freien Vermittler soll verboten werden gleichzeitig bei bestimmten Kunden auch gegen Honorar oder Dienstleistungsvereinbarungen beraten und vermitteln zu können. Das ist ein klarer Eingriff in das Wettbewerbsrecht und fördert nur die Abhängigkeit der freien Vermittler von den Versicherern, da diese dann nur noch von Versicherungsgesellschaften Provisionen nehmen dürfen.

Zu den bizarren Details des Referenten-Entwurfs gehört, dass einerseits das vor wenigen Wochen vom OLG Köln gekippte Provisionsabgabeverbot mit Macht durch den Gesetzgeber wiederbelebt werden soll. Andererseits wird den Versicherern eine Tür zur verdeckten Weitergabe von Abschlussgebühren an den Kunden geöffnet.

Der Bundesverband Finanzdienstleistungen AfW kritisiert in seiner Pressemitteilung vom 28.11.2016 scharf diese Mängel in der Gleich-behandlung aller Vertriebswege. Der AfW-Vorstand schreibt:

„Derzeit sieht das Gesetz in dem neuen Paragraf 48b Abs. 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ... Ausnahmen zugunsten des Ausschließlichkeitsvertriebes vor. Neben einer Bagatellgrenze von 15 Euro je Vertrag und Jahr heißt es: Das Provisionsabgabeverbot findet keine Anwendung, soweit die Zahlung an den Kunden „zur dauerhaften Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung des vermittelten Vertrages verwendet wird.“

Auch der VDVM kritisiert mit Recht diese Regelung und belegt dies mit einem praxisnahen Beispiel. Tausende von Kunden schließen täglich bei Onlineportalen oder auch über Apps von InsurTechs Verträge ab. Diese Anbieter (laut IDD ja auch „Vertreiber“) haben aber oft weder den Willen noch die Ressourcen sich um Schadensfälle zu kümmern. Wenn dies nun ein servicebereiter Makler übernehmen will, dann bleibt die Frage eine legitimen Vergütung offen.

Die Einführung eines neuen Honorar-Versicherungsberaters mit einem Paragrafen 34e der Gewerbeordnung (GewO) führt auch zu einer neuen Definition der Makler nach §34d der GewO. Völlig im Dunkeln bleibt, was der Gesetzgeber unter Honorar als Vergütung versteht.

Massive Einschränkungen für Beratung und Bestandsschutz

Die europaweite Vertriebsrichtlinie, die den Verbraucherschutz als oberstes Ziel hatte, soll nun mit dem vorgelegten Referenten-Entwurf in Deutschland in eine völlig andere Richtung geführt werden. Das bezieht sich sowohl auf eine optimale Beratung als auch auf den Bestandsschutz für Vermittler.

Es würde bei Umsetzung des Referenten-Entwurfs die als fast schizophren zu bezeichnende Situation entstehen, dass Versicherungsmakler ihren Kunden keine Nettotarife mehr anbieten dürften, da ja eine gesonderte Vergütung für die entsprechende Beratung vom Kunden direkt an den Makler nicht mehr möglich sein soll. Aber für die „neuen“ Honorar-Versicherungsberater dürfte es schwierig werden, da nicht alle Versicherer jetzt schon Netto-Tarife anbieten. Damit kommt das „Durchleitungsgebot“ für die an den Kunden weiterzuleitenden Abschlusskosten in eine völlig neue Dimension von Administration.

Der AfW verweist auf einen weiteren möglichen extremen Eingriff, wenn der Referenten-Entwurf geltendes Gesetz werden sollte. Nach Meinung des Verbandes erfolgt ein versteckter Angriff auf den Bestandsschutz von Maklerkunden.

„Äußerst versteckt und konsequenterweise ohne jede Erläuterung in der Gesetzesbegründung und ohne, dass die IDD das so verlangen würde, findet folgender Wortlaut zu einer Änderung des Paragraf 6 VVG seinen Weg in das IDD-Umsetzungsgesetz: In Absatz 6 werden nach dem Wort „anzuwenden“ das Komma und die Wörter „ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird oder wenn es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinne des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs handelt“ gestrichen.“ Nach Auffassung des geschäftsführenden Vorstandes des AfW, Rechtsanwalt Norman Wirth, wird den Versicherungsunternehmen und ihren Angestellten und Vertretern damit der Freibrief gegeben, mit Hinweis auf die Beratungsobliegenheit nach Paragraf 6 VVG, die Kunden der Versicherungsmakler jederzeit direkt anzusprechen. Es scheint ein Tabubruch sondersgleichen in der Luft zu liegen. Hat hier die Lobby der deutschen Versicherer ganze Arbeit geleistet?

Wirth entwirft damit ein Szenario, dass den Versicherern nun ins Gesetz geschrieben werden soll, dass sie die „Pflicht“ haben, ihre Kunden auch nach Vertragsschluss nach Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und sie zu beraten – und zwar auch, wenn der Kunde bereits von einem Makler betreut wird.

Politiker, die ein Zusammenrücken der europäischen Länder ernst nehmen und eine sinnvolle Harmonisierung der Grundlagen für eine offene und transparente Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten im Interesse wahren Verbraucherschutzes ernsthaft wollen, sollten sich gegen die aufgezeigten kritischen Inhalte des Referenten-Entwurfs zur Wehr setzen.

Diese gilt auch für alle Verbände, die sich für die freien Vermittler einsetzen und das Fähnchen der unabhängigen Beratung und Vermittlung hochhalten. Ein Aktionsbündnis aller Vermittlerverbände und Maklerpools scheint angeraten zu sein. Und spätestens jetzt sollten sich bisher noch „unorganisierte“ Makler für eine Mitgliedschaft in einem ihrer Interessenverbände entscheiden.

Wenn die in vielen Belangen guten Zielen verpflichtete IDD in Deutschland so verbogen wird, wie es sich heute andeutet, dann ist die Zukunft selbständiger und unabhängiger Vermittler in Gefahr. Deklarierter Verbraucherschutz verkümmert zu einem Deckmäntelchen und trifft voll die Berufsgruppe, die am ehesten kompetent und unabhängig für gelebten Verbraucherschutz steht – die Makler.

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In dem Sinne danke für Ihr Interesse an unseren Kolumnen 2016. Wir lesen uns 2017 wieder – wenn Sie mögen. Ihr AssekuranzDoc