Zur Vorgeschichte: Der Versicherte arbeitete in einem Logistik-Unternehmen und hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen. Aus psychosomatischen Störungen wurden depressive Episoden, er musste sich mehrfach in eine Klinik zur Behandlung begeben. Sein Zustand verschlechterte sich derart, dass im Jahr 2010 schließlich eine mindestens 50prozentige Berufsunfähigkeit festgestellt wurde. Dies berechtigte den Facharbeiter eigentlich zum Erhalt einer Rente aus seiner privaten Berufsunfähigkeits-Police, so glaubte er zumindest. Er hatte einen BU-Vertrag über 1.500 Euro Monatsrente abgeschlossen.

Anzeige

Gutachten und Gegengutachten

Doch die Versicherung, im Artikel nicht namentlich genannt, stellte sich quer. Schlimmer noch: sie verwickelte den Mann, ohnehin psychisch geschädigt, in einen nervenraubenden Rechtsstreit. Er muss sich durch mehrere Instanzen klagen. Die Diagnose einer psychischen Erkrankung sei nicht eindeutig, so der Versicherer. Auch der Zeitpunkt, ab dem der Mann berufsunfähig gewesen sein soll, sei unklar. Die ärztlichen Gutachten des Patienten wurden mit Gegengutachten gekontert.

Nachdem der Mann in erster Instanz triumphiert – das Landgericht Bielefeld entscheidet zu seinen Gunsten, legt die Versicherung Berufung ein. Der Fall landet vor dem Oberlandesgericht Hamm. Der Versicherer präsentiert einen prominenten Gutachter, der die ärztlichen Befunde des Versicherten anzweifelt. Von „Mängeln im Erstgutachten" sei die Rede gewesen, wie die Anwältin des Geschädigten, Erika Leimkühler, gegenüber der Neuen Westfälischen betont. Auch ein unabhängiger Sachverständiger des Gerichtes entscheidet gegen den Versicherungsnehmer. Er muss eine bittere Niederlage hinnehmen.

Doch die Anwältin und ihr Mandant geben nicht auf. Nun wiederum können den Gutachtern der Versicherung Mängel nachgewiesen werden – sie hatten schlicht die falsche Sache untersucht. „Inhaltlich hat der Sachverständige auf Erwerbsunfähigkeit abgezielt", kritisiert Leimkühler im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. „Zu überprüfen war aber Berufsunfähigkeit." Der Unterschied: Bei Erwerbsunfähigkeit zählt, ob man noch arbeiten kann – unabhängig vom Beruf. Bei Berufsunfähigkeit wird geprüft, ob und mit welchem Anteil man das im zuletzt ausgeübten Beruf tun kann. Ein weiterer Kritikpunkt: wochenlange Klinik-Aufenthalte des Patienten wurden nicht zu seinem Gunsten berücksichtigt.

Vergleich: 210.000 Euro und Erlöschen der BU-Police

Schließlich muss auch der Gutachter des Gerichts einräumen, dass sein Befund zum Nachteil des Versicherten „voreilig“ gewesen sei. Ärztliche Befunde seien nicht berücksichtigt worden, berichtet die Anwältin. Das Oberlandesgericht schlägt einen Vergleich vor, auf den sich Versicherung und der berufsunfähige Logistiker schließlich einigen. Die BU-Police erlischt, aber der Versicherte soll 185.000 Euro erhalten. Daraus werden schließlich 210.000 Euro, weil man die Kosten des Rechtsstreits berücksichtigen müsse.

Versicherungsexperten raten zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung

Es ist kein Einzelfall, dass BU-Patienten um ihre Rente kämpfen müssen. "Die Leistungspflicht der BU-Versicherer tritt im Rahmen eines ärztlichen Nachweises in der Regel bei einer mindestens 50-prozentigen Berufsunfähigkeit des zuletzt ausgeübten Berufes ein", berichtet Klaus Hellwig, Vertriebs-Chef des Rechtsschutzversicherers KS/Auxilia, in einem Gastbeitrag für den Versicherungsboten. "Gerade bei den sich im Vormarsch befindenden psychischen oder psychosomatischen Krankheitsbildern (z. B. Depression), laut dem Analysehaus Morgen & Morgen häufigste Ursache für neue BU-Fälle, sowie Allergien ist genau dies schwierig nachzuweisen." Hier stehe oft das vom Haus- oder Facharzt erstellte Attest oder Privatgutachten gegen das anderslautende Ergebnis des Gutachtens vom BU-Versicherer.

Anzeige

Deshalb rät Hellwig, zusätzlich zur Berufsunfähigkeitsversicherung auch eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen, um Kosten einer juristischen Auseinandersetzung aufzufangen. Der Experte hat einen weiteren Tipp: "Für Klagen gegen Versicherer, speziell gegen BU-Anbieter, ist es von Vorteil, wenn der Rechtsschutzversicherer nicht zum gleichen Konzern gehört wie die Versicherung, gegen die der Kunde rechtlich vorgehen will. Dies garantiert im Ernstfall keine Interessenkollisionen und sichert dem Kunden eine unabhängige rechtliche Unterstützung."

Neue Westfälische