Am Montag wurde bekannt, dass die Zuführungen der Lebensversicherer zur Zinszusatzreserve (ZZR) ein neues Rekordhoch erreicht haben: Insgesamt 44,1 Milliarden Euro haben die Versicherer seit 2011 angespart, so berichtet die Bundesregierung. Eigentlich sind diese Rücklagen als Sicherheit gedacht, um die Stabilität der Versicherer zu gewährleisten. Sie sollen genug Geld zurückhalten, um die Ansprüche ihrer Kunden aus hochverzinsten Altverträgen auch langfristig bedienen zu können.

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Doch nun warnt Reiner Will, Chef des Analysehauses Assekurata, dass die Zinszusatzreserve genau das Gegenteil bewirken könnte. Denn die Anforderung, immer höhere Reserven aufzubauen, bedeutet für einzelne Versicherer eine existenzbedrohende Belastung. „Der Patient darf nicht an der Medizin sterben“, wird der promovierte Ökonom vom Versicherungsjournal zitiert. Manche Versicherer könnten mit den gesetzlichen Vorgaben schlichtweg überfordert sein. Assekurata hatte Anfang dieser Woche selbst eine Studie zur Situation der Lebensversicherung vorgestellt (der Versicherungsbote berichtete).

Immer mehr Geld muss als Zinszusatzreserve zurückgehalten werden

Der Hintergrund: Die Berechnung der Zinszusatzreserve wurde an einen Referenzzins gebunden, der sich seit dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) 2014 aus dem über zehn Kalenderjahre errechneten arithmetischen Mittel von Euro-Zinsswapsätzen ergibt. Doch dieser Referenzzins sinkt kontinuierlich. Experten schätzen, dass er 2017 von 2,54 Prozent auf 2,17 Prozent schrumpfen wird.

Damit werden die Aufwände für die Zinszusatzreserve parallel in immense Höhen steigen, was die Bilanzen der Lebensversicherer erheblich belastet. Sie müssen schlichtweg immer mehr Geld als Reserve zurückhalten, so schreibt es der Gesetzgeber vor.

Zwei Drittel aller alten Lebensversicherungen mit Garantie seien heute schon von einer entsprechenden Nachreservierung betroffen, berichtet Reiner Will. Erstmals werden im Jahr 2017 auch für solche Verträge Rücklagen angespart werden müssen, die einen Garantiezins von 2,25 Prozent vorsehen. Die Anforderungen für die gesamte Branche sind riesig. Schon bis zum Jahr 2025 könnte sich die Zinszusatzreserve auf 196 Milliarden Euro aufgeblasen haben, prognostiziert Assekurata anhand der eigenen Auswertung.

Anforderungen von HGB und Solvency II klaffen auseinander

Es gibt ein weiteres Problem. Die Anforderungen für das neue Aufsichtsregime unter den Namen Solvency II sind weniger streng als jene des Handelsgesetzbuches (HGB). Denn Solvency II sieht eine 15jährige Übergangsfrist mit gelockerten Regeln vor, die für das Handelsgesetzbuch nicht gelten.

Es könne passieren, dass „Gesellschaften in der HGB-Welt“ aufgrund der Zinszusatzreserve insolvent werden, während sie unter Solvency II noch solvent seien, erklärt Reiner Will. „Und wie soll das dann ein Verbraucher verstehen?“, fragt der Fachmann kritisch.

Viele Lebensversicherer würden sich nun von ihren Altanlagen trennen, um die stillen Reserven für die Zinszusatzreserve zu realisieren, beobachtet Assekurata. Sie verscherbeln ihr Tafelsilber aus Zeiten, in denen man am Kapitalmarkt noch einen höheren Zins erzielen konnte. Das Problem: Auch die Lebensversicherer können die eingesammelten Beiträge aktuell nur zu deutlich niedrigeren Zinsen am Kapitalmarkt anlegen: im Zweifel ein Minusgeschäft.

Es drohen hohe Abschreibungen auf Wertpapierbestände. Zudem führt der Verkauf hochverzinslicher Anlagen dazu, dass alle Lebensversicherungs-Kunden weniger an Überschüssen erwarten können. Es ist paradox: ein Gesetz, das zum Schutz des Verbrauchers beschlossen wurde, bewirkt, dass einige Versicherer Entscheidungen treffen, die ihre Überlebensfähigkeit langfristig gefährden.

Versicherer sollen mehr Zeit für Zinszusatzreserve erhalten, fordert Assekurata

In Folge dieser Entwicklung könnten Lebensversicherer in die Insolvenz rutschen. Die strengen Anforderungen der Zinszusatzreserve hätten die Pleite eher beschleunigt als verhindert. Dennoch: Reiner Will hält es grundsätzlich für richtig, dass die Lebensversicherungen eine Zinszusatzreserve als Sicherheit für Altverträge ansparen müssen. Er spricht sich aber dafür aus, den Versicherern mehr Zeit für den Aufbau der Reserven zu lassen.

Herausforderung Baby-Boomer?

Eine weitere Herausforderung für die Branche wird in dem Versicherungsjournal-Artikel nicht genannt. Neben den Niedringzinsen könnten auch die Auszahlungsverpflichtungen der Lebensversicherer steigen, wenn die Baby-Boomer-Generation verstärkt in Rente geht. Und das bei gleichzeitig sinkendem Neugeschäft, welches im letzten Jahr laut GDV-Bilanz um 5,4 Prozent einbrach.

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Hier lässt eine Studie des Instituts für Management und Wirtschaftsforschung (IMWF) aufhorchen, die sich allerdings nicht auf die Lebensversicherung bezog. Demnach weist in anderen Sparten, etwa der Haftpflichtversicherung, die Altersgruppe der 50 bis 59jährigen die höchste Zahl an Versicherten in Deutschland auf. In spätestens sechs bis 15 Jahren hätten diese Personen hohe Ansprüche aus ihrer Lebensversicherung.

Versicherungsjournal / Assekurata