Versicherungswelt - Die revolutionär gefährlichen Gedanken des Marcus Krautkrämer
Markus Krautkrämer will das Prinzip der Rückwärtsversicherung nach einem bereits eingetretenen Schaden einführen. Das ist ein durchaus interessanter Ansatz, aber wo führt er hin?
Markus Krautkrämer hat Marketing und Management studiert. Er arbeitet als Berater im Bereich Online-Marketing und Datenanalyse bei der Mediaworx Berlin AG. Das Unternehmen berät unter anderem zahlreiche Versicherungs-Unternehmen zu Fragen der Digitalisierung und setzt IT-Projekte sowie Maßnahmen des digitalen Marketings um.
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Das Gedankenmodell
Der Wirtschaftsrechtler verfolgt den Ansatz der "After The Event Insurance" - auch ATE Insurance genannt. Dies ist nichts anderes als die rückwirkende Deckung eines bereits eingetretenen Schadens. Ein Beispiel liefert der Extremsportler beim Fachmagazin Versicherungsjournal anhand einer Hundehalter-Haftpflicht gleich mit:
- Schadensumme des bereits eingetretenen Schadens: 8.000 Euro
- Vertragslaufzeit zur Schadendeckung: 48 Monate
- monatlicher Versicherungsbeitrag zur Schadendeckung: 174,99 Euro (davon 167,77 Euro zur Schadenssummendeckung und 8,33 Euro für die rückwirkende Leistung des Versicherers).
Bank oder Versicherung?
Der Experte für Online-Marketing weißt selbst darauf hin, dass der Versicherer hier eigentlich zu einer Art Kreditgeber wird. Er befasst sich richtiger Weise auch mit den daraus folgenden rechtlichen Fragen, ob Versicherungs-Unternehmen an die gleichen Auflagen gebunden sind wie Banken und ob Versicherer bei der Erteilung des rückwirkenden Versicherungsschutzes freier als die Bank beim Kredit handel dürfen. Vermutlich stellt Krautkrämer hier auf die finanzielle Prüfung der Kunden ab.
Gleichzeitig weißt der 27-Jährige auf einen seiner Meinung nach essentiell bestehenden Unterschied zu Banken hin: Während Versicherungen ausschließlich zur finanziellen Schadensabdeckung abgeschlossen werden, seien Kredite ein wichtiges Investitionsmittel.
Was sagen Gesetz und Rechtsprechung zu diesen Ideen?
Der Begriff des Versicherungsvertrages ist im Gesetz tatsächlich nicht eindeutig definiert. In §1 VVG ist lediglich bestimmt, dass sich der Versicherer mit dem Versicherungsvertrag verpflichtet, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Der Versicherungsnehmer seinerseits ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten. Dies ist einem recht aktuellen BGH-Urteil (vom 23.11.2016 – IV ZR 50/16) zu entnehmen und auch der Bundestags-Drucksache 16/3945 (Seite 56)
Im oben bereits benannten BGH Urteil heißt es weiter (Hervorhebungen durch den Autor): "Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Versicherungsvertrag dann vor, wenn gegen Entgelt für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen übernommen werden, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt."
Was folgt daraus?
Es ist gemäß Definition des BGH fraglich, ob es sich bei einer Rückwärtsversicherung bei bereits eingetretenem Schadenfall überhaupt noch um eine Versicherung handelt. Denn der Versicherungsfall ist bereits eingetreten und nicht etwa "ungewiss".
Es handelt sich auch nicht mehr um ein zu versicherndes "Risiko", sondern um einen bereits eingetretenen Schadenfall. Im Weiteren wird das Risiko nicht "auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt", sondern es geht um den speziellen Einzelfall eines bereits entstandenen Schadens.
Wird der Versicherungsgedanke aufgegeben?
Abgesehen von den obigen Ausführungen, ob es sich noch um eine Versicherung handeln würde: Warum sollte man dann überhaupt noch eine Versicherung abschließen? Logischer wäre es – wenn man das Denkmodell des jungen Digital-Beraters zugrunde legt - zu hoffen, dass nichts passiert und nur im Notfall rückwirkend eine Deckung zu vereinbaren.
Und Großschäden?
Der Krautkrämersche Gedanke mag gegebenenfalls im Bereich der Kleinschäden funktionieren. Um dies zu verdeutlichen bleiben wir am besten beim selbst benannten Beispiel der Hundehalter-Haftpflichtversicherung.
Was wäre gewesen, wenn der Hund zwar angeleint war, sich aber dem Besitzer entrissen und daraufhin einen folgenschweren Verkehrsunfall mit einem Toten und zwei Schwerverletzten verursacht hätte?
Schadenhöhe aus der Summe der Personen- und Sachschäden bei angenommen "nur" zwei Millionen Euro. Jedem dürfte klar sein, dass dieses Gedankenmodell - selbst wenn es zulässig wäre - hier versagen würde.
Fazit
Die Gedanken von Markus Krautkrämer sind hilfreich die starren Systeme zu hinterfragen und eine Diskussion über das derzeitige Versicherungssystem zu entfachen. Wünschenswert ist eine Fortsetzung der Gedankenspiele daher allemal. Der eigentliche Versicherungsgedanke darf dabei aber nicht verloren gehen. Dies ist der Gedanke existenzbedrohende Risiken auf eine möglichst große Anzahl von Schultern zu verteilen, damit die dafür zu leistenden Beiträge bezahlbar bleiben.
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Wie schnell es in die genau verkehrte Richtung gehen kann, dies lässt sich am Beispiel der Berufsunfähigkeitsversicherung und den dort eingeführten vielfältigen Berufsgruppen unschwer erkennen. Letztlich hat dieses System im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung dazu geführt, dass diejenigen, die den Schutz einer Berufsunfähigkeitsversicherung am dringendsten benötigen, sich denselben nicht in ausreichender Höhe, nicht in der erforderlichen Versicherungsdauer oder gar nicht mehr leisten können.