Lebensversicherung ohne Perspektive? Wie der Wildwuchs bei Standmitteilungen gebändigt werden kann
Derzeit erhalten viele Kunden Post von ihrer Lebensversicherung: mit der Standmitteilung zum Ende ihres Versicherungsjahres. Jedoch verfehlen diese in vielen Fällen ihr Ziel und vermitteln nicht die gewünschte Übersicht über den Wert der Police. Das geht auch aus Analysen von Policen Direkt hervor. Das Unternehmen hat seit Gründung 2004 mehr als 300.000 Mitteilungen von Renten- und Kapitallebensversicherungen unter die Lupe genommen. Chefaktuar Henning Kühl erläutert im Interview die Ergebnisse der Untersuchung und zeigt, was eine gute Standmitteilung ausmacht.
Versicherungsbote: Herr Kühl, Sie haben festgestellt, dass die Standmitteilungen der Lebensversicherer oft unzureichend sind. Woran machen Sie das fest?
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Henning Kühl: Es beginnt meistens damit, dass bei den meisten Standmitteilungen wesentliche Daten wie der aktuelle Rückkaufswert, die Ablauf- oder Todesfallleistung fehlen. Einige Versicherer nennen diese Werte, aber nicht in einer Form, die für den Kunden sinnvoll ist. So gibt es immer noch Versicherer, die einen Vertragswert mitteilen, obwohl dieser vom tatsächlichen Rückkaufswert abweicht. Dabei will der Versicherte doch wissen, wie hoch die jeweils aktuell mögliche Auszahlung bei Kündigung wäre.
Das klingt nicht besonders kundenfreundlich.
Genauso ist es. Manch großer Versicherer umgeht den Aufwand, der dahintersteckt, mit Hinweisen, dass der Rückkaufswert aufgrund einer Vertragsbestimmung eventuell geringer sein könnte. Rückkaufswerte müssen jedoch direkt eindeutig angegeben werden. Wer aktuell wissen will, was seine Lebensversicherung wert ist, muss oft bei den Versicherern nachfragen und einen Taschenrechner zur Hilfe nehmen. Für einen durchschnittlichen Kunden sollte indes klar erkennbar sein, welcher Anteil in den Werten bereits garantiert ist und welcher nicht. So weiß er gleich, wie hoch die Leistung mindestens auch in Zukunft sein wird – ohne zusätzliche Berechnungen. Eine solche äußerst nützliche Differenzierung ist aber eher die Ausnahme. Die rund 2.500 Standmitteilungen, die wir über alle Versicherungsgesellschaften hinweg bereits in diesem Jahr untersucht haben, bestätigen dieses Bild.
Welche Auswirkung hat das für die Versicherten?
Lebensversicherte sparen damit ohne Perspektive – einfach, weil der realistische Blick auf den Vertrag kaum möglich ist. Dabei sollte der Kunde die realen Werte im Fall einer Kündigung kennen und darüber hinaus einschätzen können, mit wie viel Rendite er zum Ablauf rechnen kann. Neben den prognostizierten Werten sind hier vor allen Dingen die garantierten unerlässlich.
Wenn der Lebensversicherte aber weder die aktuellen Werte im Leistungsfall noch den aktuellen Vertragsstand kennt, schätzt er die Lage sehr wahrscheinlich falsch ein. Das äußert sich darin, dass mögliche Leistungen mitunter überschätzt, die Versprechen vom Abschluss nicht der aktuellen Situation angepasst und die finanzielle Situation zum Ende der Versicherung damit zu optimistisch eingeschätzt werden.
Und welche Konsequenzen hat das für die Lebensversicherer?
Mit unverständlichen Standmitteilungen tun sich Versicherer ebenfalls keinen Gefallen. Das bekommen sie in der Folge über Beschwerden über zu geringe Ablaufleistungen zu spüren. Dabei ist es völlig normal, dass sich bei einer Vertragslaufzeit von mehreren Jahren oder Jahrzehnten die Werte anders entwickeln können, als bei Vertragsabschluss gedacht.
Welche Kriterien muss eine gute Standmitteilung also erfüllen und auf welche Fragen sollten diese Antworten geben?
Eine gute Standmitteilung sollte vor allem übersichtlich und verständlich aufgebaut sein. Fachbegriffe sollten auf das Notwendigste beschränkt werden. Die Informationen sollten zum neuesten Vertragsstand gehören, der zu Beginn kurz wiederholt wird. Der Berechnungsstichtag sollte zudem möglichst zeitnah ausgewählt sein.
Die wichtigsten Parameter bei Standmitteilungen sind Rückkaufswert, Ablaufleistung und Todesfallleistung. Diese drei Punkte sollten vollständig und aufgeschlüsselt in einer verständlichen Weise in der Höhe mitgeteilt werden – so wie sie aktuell angenommen beziehungsweise zur Auszahlung kommen würden. Dabei muss jeweils deutlich unterschieden werden zwischen den Werten, die bereits garantiert sind, und den Werten, die noch unsicher sind.
Eine gute Standmitteilung sollte im Klartext Antworten auf die folgenden fünf Fragen liefern:
- 1. Wieviel habe ich bis heute in meine Lebensversicherung einbezahlt?
- 2. Was zahle ich bis zum Ende der Vertragslaufzeit ein?
- 3. Welchen Betrag erhalte ich garantiert aus dem Vertrag?
- 4. Welchen Betrag erhalten die Angehörigen aktuell im Fall meines Ablebens?
- 5. Was bekomme ich, wenn ich meinen Vertrag heute kündige?
Das klingt auch danach, dass der Gesetzgeber gefordert ist. Wo sehen Sie hier die Politik gefragt?
Die aktuellen gesetzlichen Anforderungen sind bislang völlig unzureichend. Eine Standmitteilung muss laut den Vorgaben zurzeit lediglich zwei Werte aufweisen: die aktuellen und die garantierten Überschüsse. Einzelne Versicherer gehen tatsächlich so weit, nur das Minimum an Informationen mitzuteilen. Solche Schreiben sind für die Versicherungsnehmer nahezu wertlos. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es ist gut, dass die Versicherer die Höhe der garantierten Überschüsse mitteilen müssen. Dies ist auch eine wichtige Information, um die Wertentwicklung nachzuvollziehen. Nur alleine kann der Kunde damit wenig anfangen.
Wie ließen sich denn Standmitteilungen Ihrer Sicht verbessern und so gestalten, dass Versicherten damit eine Perspektive beim Sparen gegeben wird?
Die Standmitteilung sollte die wichtigsten Werte in verständlicher, einfacher und kurzer Form beinhalten – und hier sollte auch die Politik mit entsprechenden Vorgaben tätig werden. Wir plädieren für ein einheitliches Versicherungsdeutsch und für Qualität vor Quantität bei den Standmitteilungen. Die Auswahl der Werte sollte nicht den einzelnen Versicherern überlassen werden. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat hier bereits einen sehr guten Vorschlag für eine Basis-Standmitteilung gemacht. Zusätzliche weitere Informationen für die Versicherungskunden sind hilfreich und fair. Aus diesem Grund hat Policen Direkt gemeinsam mit dem Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen, kurz BVZL, einen ausführlichen Vorschlag mit dem Namen Lectus entwickelt.
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Der Interviewpartner: Henning Kühl ist Chefaktuar bei Policen Direkt, Marktführer im Ankauf deutscher Lebensversicherungen und damit größter institutioneller Versicherungsnehmer Deutschlands.