Berufsunfähigkeitsversicherung - Stiftung Warentest adelt viele Tarife mit "sehr gut"
Die Stiftung Warentest hat für ihr aktuelles Magazin Finanztest 07/2017 erneut Tarife der Berufsunfähigkeitsversicherung unter die Lupe genommen. Fast jedes zweite Angebot erhielt dabei die Höchstnote "sehr gut". Auch BU-Experte und Versicherungsmakler Matthias Helberg schaute sich den Test wieder an. Nachdem er 2013 und 2015 vernichtende Kritik am BU-Vergleich der Stiftung Warentest übte, fällt sein Urteil diesmal deutlich versöhnlicher aus.
Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) verglichen und bewertet. In den letzten Jahren brachte ihnen das viel Kritik und sogar Häme ein: unter anderem, weil für den Vergleich hochkomplexer Verträge nur zwölf Testkriterien herangezogen wurden. Vor allem Versicherungsmakler Matthias Helberg aus Osnabrück, selbst BU-Experte, fand mit seinen kritischen Anmerkungen zum BU-Test ein breites Medienecho (der Versicherungsbote berichtete).
Oops, they did it again! Die Zeitschrift „Finanztest“ hat auch 2017 wiederAnzeige
Fast jeder zweite Tarif erhält ein „sehr gut“
Nun präsentiert Finanztest in ihrer aktuellen Ausgabe 07/2017 erneut einen Vergleich von BU-Tarifen. Es fällt auf, dass es wieder eine wahre Schwemme positiver Bewertungen gab. Denn neun von zehn Tarifen sind entweder mit „sehr gut“ oder „gut“ geadelt worden.
Im Detail: 31 von 74 getesteten Berufsunfähigkeitsversicherungen wurden mit Bestnote „sehr gut“ ausgezeichnet: Das ist immerhin fast jeder zweite. Weitere 34 Tarife konnten sich über die Note „gut“ freuen. Da bleiben nicht viele Verträge übrig, die ein schlechtes Zeugnis erhielten: siebenmal gab es nur „befriedigend“, einmal „ausreichend“.
Die Testsieger: Mit 0,9 die beste Gesamtnote kann die Europa Lebensversicherung mit ihrem Tarif „SBU E-BU“ vorzeigen, gefolgt von der Hannoverschen (Tarif „SBU 17 B 1“) und der Alten Leipziger (Tarif „SBU BV 10 BV 11“), die beide eine 1,0 als Gesamtnote erhielten.
Ebenfalls Top-Bewertungen erzielten mit Note 1,17 die Provinzial Nordwest (Tarif „BUZ Top“) sowie gleich doppelt die R+V Lebensversicherung (Tarife „SBU BV 04“ sowie BUZ B/BR D 119).
Bewertung anhand von drei Modellkunden
Für sein BU-Ranking untersuchte „Finanztest“ die Tarife anhand von drei Modellkunden: einem 30-jährige/r Diplomkaufmann/-frau mit einer monatlichen BU-Rente von 2.000 Euro, ein 25-jähriger Industriemechaniker mit Kind und 1.500 Euro monatlicher BU-Rente sowie eine 25-jährige medizinische Fachangestellte mit 1.000 Euro Rente.
Zugleich legten die Tester mehrere Bewertungskriterien fest. Zu 25 Prozent floss das Antragsformular des Versicherers in die Bewertung ein: also unter anderem, wie transparent und verständlich die Antragsfragen gestaltet sind. Zu 75 Prozent wurden die Leistungsfragen gewichtet. Hier berichtet Finanztest, dass man die Leistungsfragen „unterschiedlich“ gewichtet habe, schlüsselt aber nicht im Detail auf, wie das passierte: Hier lässt die Transparenz zu wünschen übrig. Folgende Kriterien wurden herangezogen:
- Verzicht auf abstrakte Verweisung
- Berufsunfähigkeit liegt bereits ab Prognose von sechs Monaten vor
- rückwirkende Leistung in den ersten sechs Monaten
- rückwirkende Leistung für mindestens drei Jahre, wenn BU verspätet gemeldet wurde
- Nachversicherungsgarantie
- garantierte Rentenerhöhung bzw. „Dynamik“ im Leistungsfall
- Stundungsrecht von zwölf Monaten bei Zahlungsschwierigkeiten des Versicherten
- Ist die Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit maximal einmal befristet oder verzichtet der Versicherer ganz auf befristete Anerkennung?
- Verzichtet der Versicherer auf sein Recht, auch bei unverschuldeter vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung den Vertrag zu ändern oder zu kündigen?
- Gilt der Versicherungsschutz weltweit?
- Übernimmt der Versicherer bei der Leistungsprüfung Reise- und Untersuchungskosten, wenn der Kunde im Ausland wohnt?
- Erkennt der Versicherer eine unbefristet anerkannte Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Nachweis einer Berufsunfähigkeit an?
- Ist bei einem vorübergehenden oder dauerhaften Ausscheiden aus dem Beruf die letzte ausgeübte Tätigkeit maßgeblich für die Feststellung der Berufsunfähigkeit?
- Kann bei Zahlungsschwierigkeiten der Vertrag beitragsfrei gestellt und später wieder fortgeführt werden, ohne dass eine erneute Gesundheitsprüfung notwendig wird?
- Verzichtet der Versicherer darauf, dass eine Verbesserung des Gesundheitszustandes unverzüglich gemeldet werden muss, wenn der Versicherte bereits eine BU-Rente erhält?
Matthias Helberg: Stiftung Warentest lernt dazu, aber…
BU-Experte und Versicherungsmakler Matthias Helberg hat sich nach den letzten Finanztest-Rankings 2013 und 2015 auch den aktuellen Vergleich auf seinem Blog unter die Lupe genommen. Und findet als ehemals einer der „schärfsten Kritiker“, wie er selbst schreibt, plötzlich lobende Worte. Er sehe „umso erfreuter, dass Finanztest es auch besser machen kann“, schreibt Helberg auf seinem Blog.
Was wir vom gestern erschienenen neuen BU-Test von Stiftung @warentest halten? Das: https://t.co/YJFJXToC0m
— Matthias Helberg (@MatthiasHelberg) 21. Juni 2017
Bemerkenswert am Zusatztext zum Berufsunfähigkeitsversicherung im Test 2017 sei vor allem, „dass die ganz großen Patzer, Fehleinschätzungen und unverantwortlichen Aussagen vergangener Veröffentlichungen nicht wiederholt werden“, schreibt Helberg. Als wichtigste Tipps nenne Finanztest in seinem Artikel nun endlich:
- Möglichst früh eine BU abschließen;
- Laufzeit möglichst bis Endalter 67;
- Bewertung ist wichtiger als der Preis;
- Neben der Nachversicherungsgarantie ist auch die Beitragsdynamik für eine wachsende BU-Rente wichtig;
- Sinn der garantierten Rentenerhöhung (Leistungsdynamik);
- Sinn eines zweiten BU-Vertrages.
...ganz ohne Kritik kommt Helberg auch diesmal nicht aus
Trotz der lobenden Worte hatte Fachmann Helberg auch diesmal einige Punkte zu kritisieren. So sei zum Beispiel intransparent, wie die Stiftung Warentest die unterschiedlichen Leistungen in ihrem Ranking gewichtet – das erfährt der Leser eben nicht. Hier können schon kleine Verschiebungen dazu führen, dass ein Tarif im Ranking besser abschneidet als der andere.
Kritikpunkt 2: Auch wenn die Tester mittlerweile mehr Leistungen abfragen als noch im Jahr 2013, als man ganze 9 ½ Kriterien erhob – viele wichtige Leistungen aus den Vertragswerken bleiben weiterhin unberücksichtigt, so Helberg. Zum Beispiel werde nicht gewertet, ob ein Vertrag auch bei Schülern, Studenten und Azubis auf die abstrakte Verweisung verzichtet und ob zusätzliche Stolpersteine für derartige Zielgruppen vorgesehen sind. Manche Versicherer verlangen zum Beispiel eine neue Gesundheitsprüfung, wenn der Versicherte einen „richtigen“ Beruf ergreift.
Kritikpunkt Numero Drei ist grundsätzlicher: Die Vorstellung, man könne BU-Tarife anhand eines Modellkunden bewerten und dazu verlässliche Aussagen treffen. „Niemand ist Modellkunde“, kritisiert Helberg. Wer sich an den Preisen zu solchen Musterkunden orientiere, noch bevor alle vom Versicherer betrachteten Risikomerkmale kalkuliert sind, erlebe meist eine Enttäuschung. Beispiele für individuelle Risikofaktoren nennt Stiftung Warentest immerhin in ihrem Artikel selbst: Manche Versicherer bestrafen bestimmte Vorerkrankungen mit Preisaufschlägen von 100 Prozent. Oder ein Industriemechaniker mit Personalverantwortung zahlt weniger als ein frisch gebackener Geselle.
Kritikpunkt Vier: Stiftung Warentest behauptet in einem „Wegweiser zum BU-Vertrag“, eine anonyme Risikovoranfrage bei mehreren Versicherern sei nur bei „ernsthaften und chronischen Erkrankungen“ angebracht. Das aber reicht keineswegs aus: Schon harmlos empfundene Hobbys wie Klettern oder Tauchen können zu Ausschlüssen führen, berichtet Helberg – und dazu, dass ein Versicherer den Schutz verweigert. Und schon „selbst als normal empfundene Wehwehchen“ könnten sich negativ auswirken.
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De facto empfiehlt sich damit für jeden Antragsteller eine anonymisierte Voranfrage, denn so erfährt man, welcher Versicherer am wenigsten mit besagten Kriterien ein Problem hat. Und in Zeiten, in denen Ärzte Patientenakten fälschen, weil dies finanzielle Vorteile bei der Krankenkasse verspricht, sollte eine umfangreiche Recherche der eigenen Krankenakte erfolgen, bevor der Antrag gestellt wird (der Versicherungsbote berichtete).