Berufsunfähigkeitsversicherung: "Klassische Risikovoranfragen führen zu einem besseren Ergebnis"
Da hat sich das Analysehaus Franke und Bornberg selbst ein Bein gestellt: In einem Blogbeitrag erklärten die Tester die anonyme Risikovoranfrage (ARV) in der Berufsunfähigkeitsversicherung für veraltet und empfehlen stattdessen die eigene Risikoprüfungsplattform vers.diagnose. Zitat: "Eine Risikovoranfrage ist nicht alternativlos. Digitale Lösungen sind ihr längst überlegen". Daraufhin meldeten sich mehrere Versicherungsmakler zu Wort und erklärten, weshalb die anonyme Risikovoranfrage nach wie vor unverzichtbar ist. Einer dieser Makler ist der BU-Experte Tobias Bierl, der in einem lesenswerten Blogbeitrag auf seiner Webseite Stellung bezog. Der Versicherungsbote hat mit ihm gesprochen.
Versicherungsbote: Das Analysehaus Franke und Bornberg erklärt in einem Blogbeitrag die anonyme Risikovoranfrage in der Berufsunfähigkeitsversicherung (RVA) für überholt – und empfiehlt stattdessen Maklern das hauseigene Risikovoranfragetool „vers.diagnose“. Warum wollen Sie trotzdem an der anonymen Risikovoranfrage festhalten?
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Tobias Bierl: Dies ist eigentlich ein sehr umfangreiches Feld, indem ich jetzt die zwei wichtigsten Punkte aufgreife:
1. Es wird das Risiko der Prüfung auf den Vermittler und vor allem auf den Kunden verlagert! Liegen dem klassischen Risikoprüfer sämtliche Unterlagen vor, dann haftet dieser für das Ergebnis. Beispiel: Was tun, wenn die Diagnose nicht im Tool auftaucht oder nur in ähnlicher Form? Brechen wir dann ab oder geben wir die ungefähr ähnliche Diagnose ein? Das bewirkt schlechte Ergebnisse oder sogar eine VVA (vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung), die den Schutz des Kunden komplett ruinieren könnte. Hat der Kunde zudem wirklich alle seine Arztakten eingesehen, damit er nicht zum Beispiel Opfer von Abrechnungsbetrug wird? Dieses Thema geistert wie ein Damoklesschwert derzeit in jeder Patientenakte. Wie sollen der Kunde und der Vermittler entscheiden, welche Diagnose relevant ist? In manchem Arztbericht tummeln sich eigentlich 4-5 unterschiedliche Diagnosen.
2. Klassische Risikovoranfragen führen in der Regel immer zu besseren Ergebnissen als ein „scharf“ geschaltetes System. Dies haben die Kollegen mehrfach auch so beschrieben und es ist auch unsere Meinung. War der Interessent in den letzten fünf Jahren nur wegen einer Erkältung beim Arzt, dann wird das (positive) Ergebnis dasselbe sein, aber bei durchwegs komplexen Patientenakten (welche zu 90 Prozent unsere Standardfälle sind) sind die menschlichen Voten eindeutig besser als eine manuelle Eingabe.
Der größte Zeitaufwand bei einer anonymen Risikovoranfrage besteht darin, die Patientenakte eines Kunden vor dem Antrag genauestens zu durchleuchten, damit der Versicherer im Leistungsfall nicht vom Vertrag zurücktreten kann. Stichwort: „Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht“ wegen der Verheimlichung von Vorerkrankungen. Wie gut kommen die Ihnen bekannten Analysetools mit komplexen Krankheitsdiagnosen klar?
Wie oben beschrieben ist ein Softwaretool für unsere alltägliche Arbeit zu 90 Prozent nicht brauchbar, da die Eingabe zu umfangreich wäre. Als Ergebnis zu komplexen Krankheitsbildern erscheint anschließend nur, dass eine individuelle Risikoprüfung erfolgen muss oder ein viel schlechteres Votum als in der klassischen RiVo und zu keinem passenden Ergebnis kommt. Für manche klare Diagnose mag es passen, diese kommt bei uns aber extrem selten vor.
Ein simples Beispiel: Im Rivotool landet die Diagnose Heuschnupfen. Greifen wir uns den Heuschnupfen auf. Hier hat der Kunde im Abfragezeitraum nun beispielsweise vor 3 Jahren ein Dosieraerosol eingenommen. Er hat aber mittlerweile eine Hyposensibilisierung abgeschlossen und ist quasi beschwerdefrei, wird höchstens im Notfall noch einmal nicht verschreibungspflichtige Lösungen wie Ceterizin aufgreifen. Diese Details lassen sich in klassischen Risikovoranfragen sauber aufbereiten, für den Kunden saubere Ergebnisse erzielen und dies alles haftungssicher. Mit Rivotools ist das -Stand heute- so nicht möglich.
Sie werfen Programmen wie „vers.diagnose“ vor, das Haftungsrisiko bei komplexen Gesundheitsverhältnissen werde vom Risikoprüfer der Versicherer auf den Makler und Kunden übertragen. Etwa, wenn gefahrerhebliche Umstände nicht angezeigt werden. Können Sie dies bitte kurz erläutern?
Das Haftungsrisiko besteht bei falsch gewählten Diagnosen (bspw. auch Abrechnungsdiagnosenproblematik), unvollständiger Darstellung von Sachverhalten, dem Vergessen von Details ... um nur ein paar Punkte zu benennen. Der Paragraph 19 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) gibt auch für den Kunden kein "ich überlege mir, ob ich es angebe" her. Der Makler wie der Kunde setzen sich bei komplexeren Sachverhalten Gefahren aus, welche sie sich gar nicht bewusst sind.
Franke und Bornberg berücksichtigt dreizehn Versicherer in seinem Programm, die wahrscheinlich dafür Geld zahlen, darunter Marktführer wie Allianz, Axa oder Alte Leipziger. Ist das aus Ihrer Sicht eine ausreichend große Auswahl, damit die Unabhängigkeit des Maklers, der dieses Programm nutzt, gewahrt bleibt?
Die Interessenten, welche zu uns kommen, möchten einen Versicherungsmakler auswählen und keinen vermeintlichen Mehrfachagenten oder gar einen Versicherungsvertreter (nicht respektierlich gemeint, aber für eine umfangreiche Voranfrage sind dem die Hände gebunden), der zusammen mit ihnen eine passende Lösung für die Arbeitskraftabsicherung sucht. Hier wird davon ausgegangen, dass sämtliche Gesellschaften angeboten werden können, welche mit einem Versicherungsmakler zusammenarbeiten. Diesen Anspruch haben auch wir. Vielleicht würde bei der 14. Gesellschaft eine normale Annahme erfolgen, statt eines Risikoausschlusses wie bei den 13 Gesellschaften in vers.diagnose? Vielleicht sind dem Interessenten ein, zwei Punkte bei der Canada Life, Basler, Condor, Continentale oder Universa (um nur namhafte Gesellschaften zu nennen, welche nicht auf vers.diagnose gelistet sind) wichtig, welche somit nicht erreichbar wären, da wir diese dann nicht anbieten? Wir würden unserem eigenen Anspruch nicht gerecht werden, wenn wir uns künftig nur noch auf diese 13 Gesellschaften (wenn auch gute BU-Versicherer, die einen gewissen Marktstandard abbilden) stützen würden.
Versicherungsmakler beklagen eine zunehmende Risikogruppendifferenzierung bei den Versicherern. Früher wurden drei bis vier Risikogruppen unterschieden, nun bis zu zwanzig. Hat sich infolgedessen der Aufwand bei der Beantragung einer BU für Sie erhöht?
Jein, der Beratungsaufwand hat sich dadurch eigentlich nicht erheblich erhöht. Klar, in manchen speziellen Berufsgruppen arbeiten wir auch mit einem Berufsfragebogen, um gegebenenfalls eine bessere Einstufung zu erhalten. Dies hält sich aber nach unserem Befinden in Grenzen. Viel negativer bewerten wir eher diese Selektion bei bestimmten Berufsgruppen mit Blick auf die gesellschaftliche Wirkung in Deutschland. Berufe, die unbedingt eine Absicherung der Arbeitskraft benötigen wie zum Beispiel der Maurer, Dachdecker oder die Altenpflegerin können sich die Beiträge oftmals gar nicht mehr leisten. Personen, die ein sehr geringes Risiko haben, ihren Beruf nicht mehr ausüben zu können, werden mit Kusshand genommen und es ist ein preislicher Wettkampf um diese „guten“ Risiken entstanden. Die BU-Gesellschaften kommen dann teilweise ihrem gesellschaftlichen Auftrag nicht mehr nach. Es ist aber auch eine heikle Situation. Wenn sich jemand als erster „bewegt“ (und Körperliche Berufe günstiger einstuft), so wird er mit „negativen“ Risiken überschüttet. Auch von uns Versicherungsmaklern.
Ist es in den letzten Jahren entsprechend Ihrer Praxiserfahrung schwerer geworden, für bestimmte Berufe eine Berufsunfähigkeits-Police zu finden? Wie oft müssen Sie Kunden enttäuschen und sagen: „Für Sie gibt es leider keinen Schutz“ oder „Schutz nur mit hohen Aufschlägen“?
Das kommt durchaus häufiger vor. Wir lassen uns vor jedem Beratungstermin zur Berufsunfähigkeitsversicherung die Patientenakte aushändigen. Hier entdecken wir dann oft Diagnosen, wo ein spezielles Votum wie z.B. der Ausschluss der Psyche oder der Wirbelsäule klar und eindeutig ist. Oder natürlich auch eine Ablehnung. Dies teilen wir so dem Interessenten mit. Manche resignieren und melden sich danach nicht wieder. Manche können mit der Ausschlussklausel oder dem Risikozuschlag leben. Generell sind Ausschlüsse aber auch häufiger zu sehen als Risikozuschläge. Denn nur wenige Versicherer arbeiten lieber mit Risikozuschlägen. Grundsätzlich ziehen wir durch unseren Internetauftritt und dem geschriebenen Content aber auch Personen an, welche schon die eine oder andere Vorerkrankung besitzen. Diese rechnen dann teilweise mit keiner normalen Annahme bzw. mit einem längeren und umfangreichen Prozedere.
Hier trügt auch die Quote von über 80 Prozent von den Versicherungsunternehmen, die davon sprechen, dass ein Großteil der Anträge normal policiert werden. Ein nicht kleiner Teil von Anträgen, welche kein befriedigendes Ergebnis des Kunden in der Risikovoranfrage erfahren haben, führt dann natürlich nicht zu einem Antrag. Zudem gibt es sicherlich noch einige Vermittler, welche dem Aspekt der „Gesundheitsfragen“ nicht wirklich die Aufmerksamkeit schenken, die eigentlich vorhanden sein sollte. Eine normale Annahme ist dann die Folge, was sich gut in der Statistik macht.
Wie kann die Branche aus Ihrer Sicht gegensteuern, damit mehr Menschen diesen existentiell wichtigen BU-Schutz erhalten?
Hier kann es sicherlich mehrere Ansätze geben:
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- 1. Gesundheitsfragen eintauschen gegen Wartezeit von fünf oder zehn Jahren. Wenn jemand ab dem ersten Tag eine Absicherung möchte, werden aber die normalen Gesundheitsfragen fällig.
- 2. Die Spreizung der Berufsgruppen wieder rückgängig machen. Für einen nicht unerheblichen Teil der arbeitenden Bevölkerung ist eine angemessene Berufsunfähigkeitsversicherung nicht mehr bezahlbar.
- 3. Nicht bei jeder kleinen Diagnose sofort mit einer Ausschlussklausel oder einem Risikozuschlag drohen. Teilweise muss man sich bei einigen Gesellschaften echt an den Kopf fassen. Ja, ich weiß, man muss auf das Kollektiv achten. Aber bei manchen Versicherern habe ich das Gefühl, dass die sich gegen ein Neugeschäft sperren…
Die Fragen stellte Mirko Wenig