Der Volkswirtschaftler und Versicherungs-Lobbyist Bernd Raffelhüschen ist mehrfach als Mann markiger Worte in Erscheinung getreten – ganz gleich, ob er einen „Renten-GAU“ prophezeit hat oder behauptete, durch die Angleichung der Ost-Renten auf Westniveau werde „die Gerechtigkeit mit Füßen getreten“, weil sich der Wert der Ost-Renten verdreifache. Die gesetzliche Pflegeversicherung bezeichnete er gar als "größten Fehler der Nachkriegsgeschichte", weil deren Aufgaben die Familie und private Versicherungswirtschaft besser lösen könne. Auch in seinem jüngsten Interview mit Focus Online sind seine Thesen eher drastisch. Die alten Bundesländer werden schon bald „in ihren Pensionslasten ertrinken“, so Raffelhüschen.

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Steigende Pensionslasten

Hintergrund ist die Tatsache, dass die Pensions-Pflichten von Bund und Ländern derzeit drastisch steigen. Allein die Kosten für die Pensionen und Beihilfen der Bundesbeamten bezifferten sich zum Jahresende 2016 auf gut 647 Milliarden Euro: Das sind stolze 64 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Weit mehr Beamte sind jedoch bei den Ländern und Kommunen tätig. Sie beschäftigen 1,3 Millionen von bundesweit 1,85 Millionen Beamten – und haben kaum Rücklagen dafür gebildet. Selbst das reiche Bayern verfügt nur über einen Fonds in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Viele Beamte stehen kurz vor ihrer Pensionierung (der Versicherungsbote berichtete).

Für die Bundesländer, die 85 Prozent aller Beamten zu versorgen haben, werde es deshalb schon bald zu finanziellen Problemen kommen, prognostiziert Raffelhüschen. Die Pensionslasten seien vor allem in den alten Bundesländern enorm, sie hätten zwischen 1972 und 82 die Zahl ihrer Beamten verdoppelt.

„Die Einstellungswelle an den westdeutschen Unis und Schulen rollt jetzt zurück: In zehn Jahren werden die alten Bundesländer in ihren nicht durch Rückstellungen gedeckten Pensionslasten ertrinken“, sagt Raffelhüschen gegenüber „Focus Online“. Die Folge: Bund und Länder wissen am Ende nicht mehr, wie sie ihren Pensionslasten nachkommen können – das passiere aber nicht in Form eines großen Knalls, sondern als „schleichender Prozeß“.

„Der Staat kann nicht mehr gegensteuern!“

Rechtzeitig gegensteuern könne der Staat nun nicht mehr, glaubt Raffelhüschen, dafür sei es zu spät. Er verweist auf die Privilegien von Beamten. Denn während Rentner in der gesetzlichen Rentenversicherung ein Rentenniveau von 43 Prozent bis 2030 befürchten müssen, haben Beamte solche Sorgen nicht: Der Nachhaltigkeitsfaktor, der seit 2004 den Anstieg der gesetzlichen Renten drosselt, wurde für Beamte nicht eingeführt. Das Pensionsniveau beziffert sich weiter auf 71,75 Prozent des letzten Einkommens – in der Regel verdienen Beamte dann am meisten.

Raffelhüschen erklärt: „Es wäre zwingend notwendig gewesen, den Nachhaltigkeitsfaktor, der seit 2004 für die Renten gilt, auch für Pensionen anzuwenden“. Dass dies ausblieb, sei eine „eklatante Ungleichbehandlung“. Trotz zahlreicher Warnungen von Experten habe keine Regierung die Beamten-Privilegien in Frage gestellt.

Nichts mehr für andere Ausgaben übrig

Bluten müssten für die Versäumnisse der letzten Jahre die Steuerzahler, glaubt Raffelhüschen. Denn die Pensionen der Beamten könnten nicht einfach gekürzt werden, hierfür sei eine Grundgesetzänderung erforderlich.

Um die Pensionen dennoch zu finanzieren, seien enorme Einschnitte bei öffentlichen Investitionen zu befürchten. Raffelhüschen warnt: „Auf Länderebene geht schon jetzt bei Nominalzinsen ein Fünftel des Budgets für Zinszahlungen drauf und ein weiteres Fünftel für die Beamten“. Letzteres werde sich verdoppeln, so dass irgendwann nichts mehr für andere Ausgaben übrig bleibe.

Immerhin: Die neuen Bundesländer stünden besser da. Vor allem Sachsen nennt Raffelhüschen als Vorbild. Diese hätten den doppelten Vorteil, dass sie keine Beamten aus DDR-Zeiten finanzieren müssten und zugleich nach der Wende junge Leute eingestellt hätten, die eben nicht verbeamtet worden seien. In Sachsen habe man das Problem explodierender Kosten rechtzeitig erkannt und entsprechend gehandelt, lobt Raffelhüschen.

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Bernd Raffelhüschen ist als Ökonom so populär wie umstritten. Mehrfach wurde er für seine Lobby-Tätigkeit für Versicherer und Finanzvertriebe kritisiert: Unter anderem hielt er zwischen 2004 und 2005 allein 40 Vorträge für die Heidelberger MLP AG und sitzt im Aufsichtsrat der Ergo. Er ist zudem Markenbotschafter der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM), einem Think Thank der Metall-Arbeitgeber, das für wirtschaftsliberale Positionen eintritt. Er selbst gilt als Befürworter von Privatisierungen und mehr privater Vorsorge.