Wer dieser Tage in der Versicherungsbranche Action, Konflikte und große Gefühle beobachten will, kann nicht falsch liegen, wenn er einen Blick nach Düsseldorf richtet. Der dortige Versicherungsriese Ergo führt nicht nur einen Kampf gegen die Konkurrenz, sondern auch gegen sich selbst: die Unternehmensstruktur wird umgekrempelt und auf digital getrimmt, Beschäftigte müssen gehen, es werden Entscheidungen getroffen, die für das Unternehmen existenzsichernd oder -bedrohend sein könnten. Das Ende ist offen, Spannung garantiert. Der Versicherer, im Privatgeschäft Numero Zwei auf dem deutschen Markt, könnte gestärkt aus der Krise hervorgehen – oder zu Fall kommen.

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Eine der umstrittensten Entscheidungen ist hierbei, den Verkauf der Lebensversicherungs-Töchter Ergo Leben und Victoria zu prüfen. Die Versicherer zeichnen ohnehin kein Neugeschäft mehr, stolze sechs Millionen Verträge befinden sich in der Abwicklung. Ein Verkauf könnte einerseits die Ergo entlasten, denn die Altverträge mit hohen Zinsgarantien binden hohe Kapitalreserven und belasten die Bilanz. Andererseits droht ein schwerer Imageschaden beim Kunden, der den Ruf der Ergo erneut belasten könnte: etwa, wenn der neue Inhaber ein Hedgefonds sein sollte, in Deutschland als Heuschrecke verrufen.

5.000 Unterschriften gegen den Verkauf

Dass die Verkaufspläne auch im Unternehmen zu Konflikten führt, zeigt sich an einer aktuellen Petition der Neuen Assekuranz Gesellschaft (NAG). Die Arbeitnehmervertreter haben nach eigenen Angaben stolze 5.000 Unterschriften von Mitarbeitern gegen einen möglichen Verkauf der Ergo-Töchter gesammelt: das ist beinahe jeder Fünfte im Hause Ergo. „Der Vorstand kann nicht mehr an der Realität vorbei: Er hat sich heillos vergaloppiert und muss den Verkaufspläne sehr schnell beenden“, fordert Tobias Münster, stellvertretender Vorsitzender der NAG. Es ist mehr als eine Kampfansage: Den Ergo-Chefs werden schwere Management-Fehler vorgeworfen.

Ein Verkauf der Bestände würde nicht nur gegen die Interessen der Beschäftigten gehen, sondern auch gegen jene der Kunden und Vertriebe, begründet Münster seine Kritik. Er wird noch deutlicher: "Als größter Verkaufsinteressent sehen wir die ERGO als hauptverantwortlich für den schweren Imageschaden, den die Versicherungsbranche derzeit im Begriff zu erleiden ist." Viele Kunden würden sich in Ihrem Vertrauen in die Lebensversicherer, die gegenüber ihnen teils lebenslange Versprechen abgegeben hätten, erschüttert sehen. Hier macht man die Ergo mitverantwortlich für das sinkende Interesse der Bevölkerung an der privaten Altersvorsorge.

Dieses schwindende Vertrauen treffe ungerechtfertigt auch die Vertriebe, die über Jahrzehnte Überbringer dieser Versprechen gewesen seien, führt die NAG in einem Pressetext weiter aus. Harte Kritik also – die aber augenscheinlich von vielen Ergo-Mitarbeitern geteilt wird. Das Ziel, für die Online-Petition 5.000 Unterschriften einzusammeln, hätten die Ergo-Betriebsräte und die NAG weit vor der Zeit erreicht, heißt es in einem Pressetext der Gewerkschaft. Rund 1.000 Beschäftigte hätten zuvor schon in Hamburg gegen einen möglichen Verkauf protestiert.

Erste konkrete Namen – Investoren interessieren sich für Ergo-Altlasten

Bliebe ein Blick auf die Nachfrageseite: Wollen Investoren überhaupt der Ergo ihre Leben-Altlasten abkaufen? Hier gestalten sich die Schlagzeilen für den Vorstand um Markus Rieß erfreulicher. Wie das Handelsblatt am Donnerstag berichtet, liege der Ergo eine größere Zahl von Angeboten vor, die nun geprüft würden: das bestätigte auch eine Sprecherin des Versicherers. Frühestens Ende November könnten die ersten Prüfungen abgeschlossen sein.

Auch erste Namen möglicher Investoren werden nun bekannt. Ein Interessent soll die Swiss Re sein, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen gegenüber „Reuters“: Schweizer Rückversicherer mit Sitz in Zürich und jährlichen Prämieneinnahmen von 33,23 Milliarden Euro.

Bereits im September 2016 hatte Swiss Re-Finanzchef David Cole angekündigt, verstärkt Leben-Bestände aufkaufen zu wollen, um sie gewinnbringend abzuwickeln. „Es gibt eine interessante Pipeline von Gelegenheiten, wir haben interessante Diskussionen mit potenziellen Verkäufern“, sagte Cole damals Reuters. Die Swiss Re hat unter anderem bereits Bestände des britischen Versicherers Guardian Financial Services erworben und damit rund 900.000 Leben- und Rentenversicherungen.

Interessent Numero Zwo sitzt selbst auf der britischen Insel: die Resolution Group. Seit 15 Jahren hat sich das Unternehmen auf die Abwicklung von Leben-Beständen spezialisiert. In der Zeitspanne von 2004 bis 2013 habe man insgesamt 25 Lebensversicherer aufgekauft und betreue ein Vertragsvolumen von 20 Milliarden US-Dollar (umgerechnet ca. 17,23 Milliarden Euro), heißt es in der Selbstdarstellung der Unternehmensgruppe auf der eigenen Webseite. Man hat also Erfahrung mit dem Verkauf von Altbeständen.

Kritik von Verbraucherverbänden

Ob die Ergo ihre Leben-Töchter tatsächlich verkaufen wird, ist aber weiterhin offen. Nach Medienberichten hatte sich Unternehmens-Chef Markus Rieß eigentlich bereits entschieden, eine eigene Abwicklungsgesellschaft zu gründen. Das bedeutet, die Kunden würden weiterhin von der Ergo und ihren Mitarbeitern betreut. Doch dann nahm das Run-off-Geschäft in Deutschland Fahrt auf, nachdem die Zinsen im Keller waren, was offenbar auch bei den Ergo-Chefs zum Umdenken führte. Immer mehr Lebensversicherer liebäugeln mit einem Verkauf ihrer Altbestände, darunter auch die Generali und Axa Deutschland. Das Ratinghaus Fitch prognostiziert, schon 2022 könnte sich jeder fünfte deutsche Leben-Vertrag in der Abwicklung befinden (der Versicherungsbote berichtete).

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Bei Verbraucherverbänden werden die Pläne kritisch gesehen. „Wenn ein Investor diese Bestände kauft, dann tut er das mit dem Ziel, möglichst viel Rendite zu erwirtschaften. Das geht aber nur, wenn er den Versicherten möglichst viele Überschüsse vorenthält und in die eigene Tasche steckt“, kommentiert Axel Kleinlein, Vorstandssprecher beim Bund der Versicherten (BdV). Und auch Frank Grund, Chefaufseher für Versicherer bei der BaFin, hat bereits angekündigt, die Run-off-Pläne der Versicherer genau unter die Lupe zu nehmen. Die Finanzaufsicht fürchtet ebenfalls Nachteile für die Sparer.