Im ersten Teil des Versicherungsbote-Interviews, das hier nachzulesen ist, erklärte Versicherungsberater Gerd Güssler, dass die Prämien in der privaten Krankenvollversicherung auch dieses Jahr steigen werden. Aber in vielen Tarifen seien die Prämienanpassungen begründet und die Angst vor astronomischen Prämienexplosionen zum Teil mediale Panikmache. So könnten die Versicherten auf Preissprünge reagieren, wenn sie nur ihre Rechte ausreichend wahrnehmen. Nun sprachen wir noch einmal detailliert über die Auswirkungen des Niedrigzinses auf die Prämien.

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Versicherungsbote: Um noch einmal auf die Prämiensprünge in der PKV zu sprechen zu kommen: Welchen Anteil hat hier der Niedrigzins? Und ist die PKV überlebensfähig, wenn er für mehrere Jahre anhalten sollte? Müssen vielleicht sogar Krankenversicherer aufgeben?

Gerd Güssler ist Versicherungsberater aus Freiburg mit mehr als 25jähriger Berufserfahrung zu unabhängigen Vergleichen der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung. Zuvor war er unter anderem als Versicherungsmakler aktiv. Er gründete die KVpro.de GmbH, die unter anderem die Vergleichssoftware Lux anbietet.Gerd Güssler: Pleitegehen kann keine PKV, sie wird immer über Beiträge finanziert. Nun ist aber die Frage: Wie hoch ist der Beitrag? Kann der einzelne Bürger, der in der PKV vollversichert ist, diesen Beitrag stemmen? Wenn vor den Niedrigzins-Zeiten ein Rechnungszins von 3,5 Prozent über Jahrzehnte erreicht und veranschlagt wurde, da müssen Sie sich das so vorstellen, dass die dreieinhalb Prozent wie ein versteckter Beitragszahler wirkten, und dieser fällt jetzt aus.

Und was bedeutet der Wegfall dieses Beitragszahlers konkret für den einzelnen PKV-Vollversicherten?

Güssler: Sie können eine Faustformel anwenden: pro Zehntel Absenkung Rechnungszins erfolgt ungefähr ein Prozent Beitragsanpassung. Aber nicht auf den Gesamtbeitrag, sondern auf den entsprechenden substitutiven Anteil: Aktuare gehen davon aus, dass der Zins nicht unter ein Prozent sinken wird – dies hier zu begründen, würde den Rahmen sprengen. Dann wäre infolge der Nettozins-Absenkung eine Beitragsanpassung von maximal 25 Prozent auf den entsprechenden Beitragsanteil zu erwarten. Machen wir ein Beispiel: ein klassischer alter Bisex-Tarif, mit 3,5 Prozent Rechnungszins kalkuliert, 400 Euro Prämie für den substitutiven Anteil. Daraus 25 Prozent: ergibt maximal 100 Euro Prämiensteigerung infolge der Rechnungszinssenkung. Ungefähr die Hälfte davon geht in die Altersrückstellung, die als Rücklage die höheren Kosten im Alter ausfinanziert. Bei Arbeitnehmern zahlt der Arbeitgeber meist noch die Hälfte dazu und das BEG Beitragsentlastungsgesetz reduziert dann den Eigenanteil auf ca. 35 bis 40 Euro.

Also ist der Niedrigzins wichtigste Ursache für die Prämiensprünge in der PKV?

Güssler: Der Niedrigzins ist nur eine Ursache für Beitragssteigerungen, es gibt eine stärkere: die Entmischung der Kollektive zwischen Gesunden und Kranken. Auch das treibt den Beitrag hoch. Durch den Tarifwechsel nach § 204 macht sich die Branche die Beiträge selber kaputt. Das ist schwierig zu erklären. Wenn wir zwei in einem Kollektiv sind, zahlen 500 Euro Beitrag und geben im Krankheitsfall ungefähr gleich viel aus, dann wären wir ein gutes Kollektiv, denn Einnahmen und Ausgaben halten sich die Waage. Jetzt bin ich krank und produziere 750 Euro Krankheitskosten. Nehme ich diese Kosten mit in ein anderes Kollektiv, dann belaste ich dieses bereits mit 250 Euro, die ich nicht selbst mit meinem Beitrag finanziere. Die Kosten für den anderen steigen, er müsste im Krankheitsfall unter Umständen seine Behandlung selbst zahlen, das erschwert den Aktuaren auch die Kalkulation des Tarifs. Letztendlich bedeutet das Hin und Her zwischen den Tarifen nur eine verschobene Beitragsanpassung. Die Umdeckungsfirmen, die den Tarifwechsel nach VVG § 204 nur aus Beitragsgründen anbieten, machen die betroffenen PKV Unternehmen stärker kaputt als die Reduktion des Nettozinses.

Jetzt kann man dies aber auch aus Sicht des Verbrauchers sehen. Für sie ist es doch sehr wünschenswert, dass es diese Wechseloption nach § 204 gibt!

Güssler: Ich bin absolut für einen Tarifwechsel, wenn es um eine Tarifoptimierung im Sinne des Verbrauchers geht. Zum Beispiel raus aus billig und rein in Qualität. Oder nehmen Sie zum Beispiel die Fusion zwischen den Versicherern Signal und Deutscher Ring: Da haben Ring-Kunden Zugriff auf Signal und Signal-Kunden haben Zugriff auf Ring. Das ist eine geniale Sache.

Was ich hingegen kritisiere, sind jene angeblichen Tarifoptimierer, denen es für hohe Honorare nur um Beitragsreduktion geht und die damit aktiv beim Kunden werben. Die sagen: „Du zahlst zu viel!“, aber ihren Kunden nicht verraten, welche Nachteile sie bei einem Wechsel in den neuen Tarif hätten, etwa verlorene Leistungen, wirtschaftliche Nachteile auf Strecke, zu geringer Aufbau von Alterungsrückstellungen, Verlust des Standardtarifes et cetera. Auch ist der Zeitpunkt für einen Tarifwechsel entscheidend: Wird die Reduktion zum Beispiel im Ruhestand durchgeführt, kann ich das ganz anders betrachten.

Ich torpediere den Tarifwechsel 204 nicht. Gut, dass es diese Option gibt! Da könnte sogar noch mehr gehen. Wenn ich Tarifkollektive zusammenführen könnte, oder wie die Debeka die zeigt, dass mitgliederstarke Kollektive leistungsfähig sind, oder die Alte Oldenburger, Hallesche oder Universa, um unvollständig einige Namen zu nennen, ließe sich für die Versicherten noch mehr erreichen. Wer sind denn die Gejagten da draußen bei § 204? Die Gesellschaften, die viele Paralleltarife und Tarifwerke haben. AXA, Barmenia, Central, oder die Fussion Victoria, Zürich, Globale DKV zum Beispiel: Da wird gejagt. Und wir haben ein bis zwei Versicherer am Markt, die durch ihre Tarifpolitik auch anderen Gesellschaften gern Kunden wegjagen. Dieses Gesellschafts- Hopping und der „falsche“ 204-Wechsel, der führt auch zu Beitragssteigerungen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig