Bundesverfassungsgericht prüft Alternativen zur Krankenversicherung
Das deutsche Gesundheitssystem wird das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beschäftigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob es neben gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen auch Solidargemeinschaften geben darf, in denen die Mitglieder gegenseitig füreinander einstehen. Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily hat eine entsprechende Verfassungsbeschwerde erhoben.
Die Frage, ob es im deutschen Gesundheitssystem Alternativen zu gesetzlichen und privaten Krankenversicherern geben darf, wird das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Das berichtet das Magazin „Euro am Sonntag“ in seiner Ausgabe vom 02. Dezember. Demnach hat der Rechtsanwalt und frühere Bundesinnenminister Otto Schily eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Schily vertritt eine Frau, die derzeit der Barmer Ersatzkasse angehört, aber zu der Solidargemeinschaft Samarita wechseln will. Doch die Krankenkasse verweigere dies.
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Mehrere Gerichte hätten zuletzt Versicherten den Wechsel zu einer Solidargemeinschaft verweigert, berichtet "Euro am Sonntag" - zuletzt das Bundessozialgericht. Doch dieses hatte die Klage der Frau gar nicht inhaltlich geprüft, sondern aus formalen Gründen abgewiesen. Laut Otto Schily habe die Klage nicht "den gesetzlichen Anforderungen" entsprochen. Laut dem Zeitungsbericht nannte er die Entscheidung "überraschend und unverständlich" (Az. B 12 KR 18/15 R). Nun soll das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob Solidargemeinschaften einen vollwertigen Krankenversicherungs-Schutz bieten (1 BvR 2062/17).
Mehr Freiheiten bei der Behandlung von Krankheiten
Im Kern geht es um die Frage, ob auch Mitglieder derartiger Solidargemeinschaften die gesetzliche Krankenversicherungspflicht erfüllen - oder ob sich deren Mitglieder zusätzlich bei einer Krankenkasse oder PKV einschreiben müssen. Die Solidargemeinschaften sind eine weniger bekannte Alternative der Gesundheitsvorsorge. Dabei sagen sich die Mitglieder gegenseitig Krankenhilfe zu. Bundesweit sind nach Informationen der "WirtschaftsWoche" 22.000 Menschen in solch einer Solidargemeinschaft.
Im Grunde funktionieren diese Gemeinschaften ähnlich wie die Krankenkassen: Die Mitglieder zahlen Beiträge. Bei der Samarita gibt es einen Geschäftsbericht, eine jährliche Mitgliederversammlung und einen Bundesvorstand. Doch im Gegensatz zu den anderen Krankenversicherungen existiert kein feststehender Leistungskatalog – die Mitglieder können sich auch entscheiden, alternative Behandlungsmethoden in Anspruch zu nehmen. Ein feststehender Leistungskatalog würde die Therapiefreiheit unnötig einschränken, so die Begründung.
Die Höhe des Mitgliedsbeitrages orientiert sich bei der Samarita allein am Einkommen und Familienstand. Und das lässt sie für die bestehenden Krankenversicherer zu unliebsamen Konkurrenten werden: sie wären für viele Versicherte billiger. Ein Erwachsener, der bis 1.500 Euro verdient, zahlt beispielsweise 265 Euro Monatsbeitrag. Ein Teil der Beiträge wird auf ein persönliches Konto eingezahlt, von dem kleinere Aufwendungen erstattet werden. Der andere Teil hingegen wird in einen Solidarfonds gesteckt, der es ermöglichen soll, kostenintensive Behandlungen zu übernehmen. Zusätzlich sichert eine Rückversicherung Großrisiken ab.
Es gibt also viele Gemeinsamkeiten der Solidargemeinschaften mit den gesetzlichen und privaten Krankenversicherern. Auch die ärztlichen Behandlungen werden nach den geltenden Gebührenordnungen abgerechnet: wie der GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte und Heilberufe), dem GebüH (Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker) oder der GOZ (Gebührenordnung für Zahnärzte). Das funktioniert so ähnlich wie bei den privaten Krankenversicherern. Entweder der Patient zahlt die Rechnung zunächst selbst - oder die Klinik setzt sich direkt mit der Samarita in Verbindung, ob sie die Kosten übernimmt.
Rechtliche Grauzone
Rechtlich möglich mache die Existenz von Solidargemeinschaften eigentlich eine Klausel aus der Gesundheitsreform von 2007, wie die WirtschaftsWoche berichtet. Demnach macht das Sozialgesetzbuch eine Ausnahme von der damals eingeführten Krankenversicherungspflicht für Personen, die “anderweitigen Anspruch auf Absicherung” haben. Es sei das erklärte Ziel der damaligen parlamentarischen Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk, gewesen, solche bestehenden Gemeinschaften nicht zu zerstören.
Also alles gut? Mitnichten. Laut „WirtschaftsWoche“ waren es nicht zuletzt die Verbände der gesetzlichen und privaten Krankenversicherer, die in seltener Einigkeit gegen derartige Solidargemeinschaften interveniert haben.
So habe der Verband der privaten Krankenversicherung 2008 laut „WirtschaftsWoche“ seine Zustimmung zu einem Anforderungskatalog verweigert, den die „Bundesarbeitsgemeinschaft von Selbsthilfeeinrichtungen – Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen“ (BASSG) im Auftrag des Gesundheitsministeriums erarbeitet hatte. Auch der Spitzenverband der GKV habe beim Bundesgesundheitsministerium dagegen interveniert: hier ging es um die Interpretation der Formulierung „anderweitige Interpretation der Absicherung“.
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Seitdem bewegen sich die Solidargemeinschaften in einer rechtlichen Grauzone. Die Aufsichtsbehörde BaFin ermittelte unter anderem gegen mehrere Gemeinschaften, ob sie erlaubnispflichtige Versicherungs-Geschäfte unzulässig betreiben: und verpflichtete die Samarita, „bis zur Klärung der Aufsichtspflicht … keine weiteren Mitglieder aufzunehmen.“. Jobcenter der Arbeitsagentur weigern sich, für Arbeitslose Beiträge an die Solidargemeinschaften abzuführen, weil diese „keine staatlich anerkannte Krankenversicherung“ seien. Nun soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden.