Bürgerversicherung ist möglicherweise verfassungswidrig
Im Streit um eine mögliche Bürgerversicherung formieren sich die Fronten. Rupert Scholz (CDU), früherer Bundesverteidigungsminister und Justizsenator von Berlin, argumentiert nun in einem Gastbeitrag für „Welt Online“, dass die Bürgerversicherung grundgesetzwidrig sei. Mehrere SPD-Politiker hatten sie zuvor zur Bedingung für Koalitionsgespräche gemacht.
der Versicherungsbote berichtete). In einem Gastkommentar für „Die Welt“ vertritt der Staatsrechtler und CDU-Politiker Rupert Scholz nun die Position, dass eine Bürgerversicherung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei. Sie würde schlichtweg gegen das Grundgesetz verstoßen.
Soll die private Krankenversicherung langfristig abgeschafft und durch eine Bürgerversicherung ersetzt werden? Das fordern mehrere SPD-Politiker als Voraussetzung für eine Neuauflage der großen Koalition (Anzeige
“Bürgerversicherung bedeutet Eingriff in Vertragsfreiheit“
Zunächst fasst Scholz die Forderungen der SPD zusammen: „Die gesetzliche Kranken- und auch Pflegeversicherung soll künftig für jedermann gelten, also auch für Selbstständige, Beamte und so weiter, also alle die Personenkreise, die ihre Krankenversorgung bisher über die private Krankenversicherung geregelt und gesichert haben“, erklärt der CDU-Politiker. Damit sollen vermeintlich Ungleichheiten im Krankenversicherungs-System der Bundesrepublik beseitigt werden.
Doch nach Ansicht des Verfassungsrechtlers wäre ein solcher Einschnitt gar nicht erlaubt. Der Grund: er bedeute einen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Privatversicherten und ein Eingriff ins Grundgesetz. Denn kommt tatsächlich eine gesetzliche „Bürgerversicherung“, bedeutet das nach Ansicht von Scholz den „wirtschaftlichen Ruin der privaten Krankenversicherungen“, damit einen massiven Eingriff in die „sozialrechtlich relevante Vertragsfreiheit bisher privat versicherter Personenkreise“. Ihnen werde schlagartig die „freiheitliche und eigenverantwortliche Entscheidung über ihre Gesundheitsvorsorge genommen“ - zugunsten staatlicher Bevormundung, wie er es nennt.
60.000 Jobs bedroht - und Wegfall der "Quersubventionierung"
Rupert Scholz nennt weitere vermeintliche Nachteile einer Bürgerversicherung. Nicht nur würde sie über 60.000 Jobs vernichten, wie er ohne Verweis auf eine Quelle behauptet. Hier hatte die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung in einer Studie errechnet, dass ca. 51.000 Jobs durch den Wegfall der PKV-Vollversicherung bedroht seien.
Zudem würde die „Quersubventionierung zugunsten gesetzlich Versicherter“ entfallen, wenn die PKV-Vollversicherung abgeschafft werde, argumentiert Scholz weiter, ohne dies zu begründen. Ein Argument, dass sich als Bumerang entpuppen könnte, denn auch der PKV wird ähnliches vorgeworfen. Nach wie vor ist jeder zweite PKV-Vollversicherte Beamter, pro Jahr pumpen Bund und Länder laut einer Bertelsmann-Studie mehr als 11 Milliarden Euro an Beihilfen ins System. Kritiker werten dies als versteckte Subventionierung der PKV zu Lasten des Steuerzahlers. Zum Vergleich: der staatliche Gesundheitsfonds schüttet pro Jahr ebenfalls rund 11,5 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen aus (Zahl für 2013). Allerdings betrifft das eine weit höhere Zahl an Versicherten.
Auch ist gar nicht sicher, ob eine Bürgerversicherung das wirtschaftliche Aus für die privaten Krankenversicherer bedeuten würde, wie Scholz es behauptet. Die SPD präferiert eine „Bürgerversicherung light“. Das heißt, die Privatversicherer sollen weiterhin Volltarife anbieten dürfen - aber zu denselben Bedingungen wie die gesetzlichen Kassen. Das bedeutet, alle Versicherer würden bei jedem Neutarif einem Kontrahierungszwang unterliegen, dürfen also keinen Menschen aufgrund von Vorerkrankungen ablehnen. Folglich müssten auch alle PKV-Versicherer auf dieselben staatlichen Töpfe zugreifen dürfen wie die Krankenkassen. Zudem können sie weiterhin Krankenzusatzversicherungen anbieten.
Bürgerversicherung grundgesetzwidrig - und bedeutet Enteignung
Doch das überzeugendste Argument von Scholz: Die Abschaffung der PKV sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn das Grundgesetz "geht eindeutig vom Nebeneinander von gesetzlicher Sozialversicherung und Privatversicherung aus", schreibt der Jurist. Dies ergebe sich zum einen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, der das „privatrechtliche Versicherungswesen“ als Teil der Privatwirtschaft voraussetze, und zum anderen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, der die „Sozialversicherung“ ebenso voraussetze wie gewährleiste.
Mit diesen Paragraphen verbunden sei eine "verbindliche Kompetenzabgrenzung" beider versicherungsrechtlicher Bereiche, erklärt Scholz. Damit dürfe nicht "ohne zwingende Rechtfertigungsgründe" gebrochen werden. Doch diese zwingenden Gründe würden aktuell nicht gegeben sein. Für die Unternehmen der privaten Krankenversicherung würde die Bürgerversicherung nichts anderes bedeuten als eine Zwangsenteignung, die "massive Entschädigungspflichten" nach der Eigentumsgarantie Art. 14 GG nach sich ziehe. Auch die Berufs- und Gewerbefreiheit der Krankenversicherer werde eingeschränkt.
Anzeige
Scholz verweist darüber hinaus darauf auf Artikel 12 GG des Grundrechtes, wonach öffentlich-rechtlichen Monopolen enge Grenzen gesetzt sind. Diese seien nur zulässig, wenn sie dem Schutz "überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter" dienen würden, ansonsten gelte der Vorrang der Freiheit des Einzelnen bzw. des Privaten. Zudem würde die Bürgerversicherung einen "massiven Eingriff" in die Versicherungsfreiheit der Bürger bedeuten - eine Freiheit, die verfassungsrechtlich ebenfalls geschützt sei.