In den letzten Jahren mussten privat Krankenversicherte teils deftige Prämiensprünge akzeptieren: so erhöhte manch PKV-Anbieter die Prämien in einigen Tarifen um vierzig Prozent und mehr. Auch wenn die Branche betont, dass es sich um Ausnahmen handelt, schädigen diese drastigen Anstiege dem Ruf der Privatversicherer.

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Nun hat die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, der bewirken soll, dass die Prämien stetiger steigen und die Versicherten nicht mehr von drastischen Kostenexplosionen überrascht werden. Denn die hohen Prämiensprünge resultieren auch aus einer Besonderheit des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Die Versicherer dürfen nur ihre Beiträge innerhalb eines Tarifes anheben, wenn sogenannte auslösende Faktoren vorliegen.

Das Problem: Prämienanpassung derzeit nur in zwei Fällen möglich

Was bedeuten diese auslösenden Faktoren? Konkret schreibt das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) vor, dass die Versicherer nur in zwei Fällen ihre Prämien anheben dürfen. Erstens, wenn die erwarteten von den einkalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als zehn Prozent abweichen, die Versicherer also mit unerwarteten Mehrausgaben konfrontiert werden. Ursachen hierfür kann der medizinische Fortschritt sein, bzw., dass die Versicherer für Medikamente deutlich mehr ausgeben müssen. Aber auch, wenn ein Versicherer schlecht kalkuliert hat, müssen unter Umständen die Beiträge steigen.

Der zweite auslösende Faktor betrifft die Sterbewahrscheinlichkeit. Oder mit anderen Worten: Wenn die Versicherten im Schnitt älter werden, als es der Versicherer vorausberechnet hat. Hierbei gilt es zu bedenken, dass Hochbetagte überproportional hohe Gesundheitskosten erzeugen. Zum Beispiel ist laut Statistischem Bundesamt jeder zweite Leistungsbezieher der Pflegeversicherung 80 Jahre und älter. Die privaten Krankenversicherer dürfen die Prämien anheben, wenn zwischen realer und kalkulierter Sterbewahrscheinlichkeit eine Lücke von fünf Prozent klafft.

Die auslösenden Faktoren bewirken, dass die privaten Krankenversicherer ihre Prämien teils über Jahre nicht anheben dürfen, weil die Schwellenwerte nicht erreicht sind. Wenn dann aber die Bedingungen vorliegen, fallen die Prämiensprünge umso krasser aus. Die Folge: Viele Versicherte glauben, dass die Privatversicherer besonders stark ihre KundInnen zur Kasse bitten. Und vergessen dabei, dass sie zuvor von mehreren Jahren ohne Preisanstieg profitierten.

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Der aktuelle Status Quo ist nach Analyse der DAV doppelt problematisch. Zum einen haben andere Rechnungsgrundlagen wie beispielsweise Zinsen, medizinische Inflation, Preisinflation und Storno auch einen großen Einfluss auf die Kosten, geben die Aktuare in einem Pressetext zu bedenken. Sie sind aber nicht relevant für die Frage, ob die Beiträge überprüft und ggf. angepasst werden dürfen. Zum anderen werden die jetzigen auslösenden Faktoren isoliert voneinander betrachtet. Wenn sich beide ungünstig entwickeln, aber die Schwellenwerte nicht geknackt werden, müssen die Prämien dann umso deutlicher angehoben werden, weil die notwendigen Korrekturen sehr spät erfolgen.

Aktuare wollen weitere auslösende Faktoren berücksichtigen

Den aktuellen Status Quo findet die Deutsche Aktuarvereinigung aufgrund der angesprochenen Kritikpunkte als unbefriedigend: Zwei auslösende Faktoren reichen demnach nicht, um alle drohenden Teuerungen für die privaten Krankenversicherer abzubilden. Folglich schlagen die Aktuare eine Reform des Versicherungsaufsichtsgesetzes vor: Fortan sollen mehr auslösende Faktoren eingerechnet werden dürfen, um Prämienanstiege zu rechtfertigen.

Hier verweisen die Aktuare darauf, dass der aktuelle Niedrigzins an den Kapitalmärkten die Privatversicherer stark belastet. Vereinfacht ausgedrückt, brauchen sie mehr Geld für die Alterungsrückstellungen, weil sie weniger Zinsen auf die eingesammelten Beiträge erwirtschaften. Folglich soll der Faktor Zins und die Änderung des Zinsniveaus als weiterer auslösender Faktor in die Beiträge einfließen. „Diese Anpassung an die neuen Kapitalmarktwirklichkeiten wäre ein entscheidender Schritt, das PKV-System zukunftssicher zu machen“, sagt der DAV-Vorstandsvorsitzende Roland Weber.

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Darüber hinaus plädiert die DAV dafür, bei Tarifwechseln innerhalb eines Unternehmens nicht alle durch den Beitragsnachlass zur Verfügung stehenden Mittel direkt zur Prämienreduktion einzusetzen, sondern einen Teil davon zu nutzen, um künftige Beitragsanpassungen abzuschwächen.

Alterszuschlag soll flexibler und zeitiger erhoben werden

Ein weiterer Reformvorschlag: Seit der Gesundheitsreform aus dem Jahr 2000 müssen die Privatversicherer einen zehnprozentigen Zuschlag erheben, um Beitragssprünge im Alter abzufedern. Der Zuschlag wird ab dem 65. Lebensjahr berechnet und ab Vollendung des 80. Lebensjahres zur Prämiensenkung eingesetzt. Nach Einschätzung der DAV wird das Extra an Prämie aber zu spät erhoben.

„Trotz Einführung dieses Zuschlags zeigen die Prämienentwicklungen, dass weitere Maßnahmen zur Dämpfung von Prämienerhöhungen bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres notwendig sind. Zudem ist seit 2000 die Lebenserwartung deutlich gestiegen“, erklärt Weber. Die DAV schlägt daher vor, den gesetzlichen Zuschlag je nach Alter der Versicherten variabel zu gestalten und eine Verwendung der angesparten Mittel bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres zu ermöglichen.

Standardtarif soll für alle geöffnet werden

Reformieren wollen die Aktuare auch den sogenannten Standardtarif. Dieser ist als eine Art Rettungsboot für ältere PKV-Vollversicherte gedacht, die ihre Prämie nicht mehr zahlen können. Die Leistungen orientieren sich dabei am Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Allerdings steht der Standardtarif nur Versicherten offen, die vor dem 1. Januar 2009 Mitglied der PKV wurden. Wer sich später privat versichert hat, dem steht nur der Basistarif als sozialer Rettungsanker offen. Dieser sei oft deutlich teurer und würde kaum bessere Leistungen als der Standardtarif bieten, kritisiert die DAV.

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Die Aktuarvereinigung fordert, dass der Standardtarif auch für Versicherte geöffnet wird, die erst nach dem 1. Januar 2009 in die PKV eingetreten sind. „Damit würde wieder ein Sozialtarif geschaffen, der diesen Namen auch verdient hat“, sagt Weber. Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung drängt seit langem auf eine Öffnung des Standardtarifs und Hilfe des Gesetzgebers bei der Beitragsanpassung.

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