Die Niedrigzinsphase hat vor allem eines deutlich gemacht: Jetzt wird für die Anbieter offensichtlich, dass die hohen Kosten nicht mehr ohne weiteres auf die Kunden abgewälzt werden können. Und hier gibt die Branche nach außen ein widersprüchliches Bild ab: In ihren Geschäftsberichten und Pressemitteilungen wird die „hervorragende Verfassung“ der Unternehmen dokumentiert und zum Beispiel auf hohe Dividendenzahlungen verwiesen. Gegenüber den Kunden, Vermittlern, der Politik und vor allem den Beschäftigten wird dann auf wirtschaftliche „Herausforderungen“ verwiesen, um Leistungskürzungen und Gesetzesänderungen einzufordern. Ob die politischen Hilfestellungen immer notwendig waren, das stellen wir tatsächlich in Frage, denn die wirklich notleidenden sind nicht die Versicherer, sondern die Versicherten. Die haben sich auf die Leistungsversprechen und „Renditeprognosen“ der Versicherer verlassen und werden dann mit Kürzungen und Einbußen konfrontiert.

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Welche Risiken außer dem Niedrigzins belasten die Branche? Oft wird die Regulierung beklagt. Gibt es andere, hausgemachte Gründe?

Die Niedrigzinsphase hat das Geschäftsmodell der Lebensversicherung geschwächt – das ist zutreffend. Aber viele Belastungen sind tatsächlich auch hausgemacht und verstärken die Auswirkungen der niedrigen Zinsen: Neben den bereits genannten hohen Kosten hat die Branche in weiten Teilen die Digitalisierung völlig verschlafen. Sie werden kaum Anbieter finden, die es geschafft haben Blockchain-Technologien in ihrer Produktwelt zu etablieren. Die Rechtsschutzversicherer werden zunehmend mit Legaltechs konfrontiert, was auch wiederum hohe Kostenbelastungen bei ihnen auslöst. Hier läuft auch das Klagen über „Regulierung“ ins Leere. Die Versicherungswirtschaft hat viele Jahrzehnte von den Regulierungen profitiert: die Steuerfreiheit für Kapitalleistungen von Lebensversicherungen, die Ertragsanteilbesteuerung für private Rentenversicherungen, die Förderung für Riester- und Rüruprenten sind hierfür Beispiele. In der „regulierten Welt“ bis 1994 herrschte eine permanente Goldgräberstimmung bei den Versicherungsunternehmen. Die Versicherungswirtschaft hat offensichtlich ein grundsätzliches und ein emotionales Problem, mit der Vergangenheit abzuschließen und ihr Geschäftsmodell entsprechend zu überdenken.

Viele Anlageexperten empfehlen den Verbrauchern, ihr Geld direkt in Fonds und Aktien zu stecken statt in Lebens- und Rentenversicherungen. Aber eine Lebensversicherung ist ja mehr als eine Geldanlage. Empfehlen Sie, Versicherung und Geldanlage zu trennen?

Genau das! Wie eingangs geäußert, sind Risikolebensversicherungen und Berufsunfähigkeits-/Erwerbsunfähigkeitsversicherungen existenziell wichtige Lebensversicherungen. Diese Absicherungen sollten von Sparvorgängen strikt getrennt werden. Geldanlage ist ein Vermögensbildungsproblem und kein Versicherungsproblem.

Ein weiteres, oft gelesenes Argument der Versicherungsbranche für private Renten-Policen: Es gebe kaum eine bessere Möglichkeit, das Langlebigkeitsrisiko finanziell abzusichern. Welche Lösungen würden Sie alternativ empfehlen, um Langlebigkeit finanziell zu stützen?

Auch hier gilt der Grundsatz: Versicherung und Geldanlage strikt zu trennen. Das heißt, zur Vermögensbildungsphase ist eine private Rentenversicherung nicht geeignet. Wenn im Alter eine fortlaufende Leistung gewünscht ist (und auch eventuelle Schulden getilgt sind sowie ausreichend Rücklagen für kurzfristige Ausgaben gesichert sind), dann sollte man auch hier berücksichtigen, dass es immer Alternativen zu Versicherungen gibt.

Wer zum Beispiel mit 65 Jahren über einen Auszahlungsplan monatliche Zahlungen abruft, kann durchaus höhere Leistungen realisieren als bei einer Privatrente. Oder: Wenn Sie 25.000 Euro in Allianz-Aktien angelegt haben, zahlte Allianz Ihnen in 2017 eine jährliche Dividende von über 1.081 Euro. Das ist mehr gewesen als bei einer in 2017 zum 65. Lebensjahr beginnenden dynamischen Privatrente gegen Einmalbeitrag der Allianz. Entscheidend ist, dass jeder für sich selbst mehrere Alternativen prüfen und nicht auf eine einzige Lösung setzen sollte.

Bei fondsgebundenen Rentenversicherungen drohen Rechtsstreite, weil Versicherer den Rentenfaktor nach unten korrigieren. Begründung: Niedrigzins und steigende Lebenserwartung. Notwendige Kürzungen – oder Vorwand, um Leistungen zu streichen? Wird der BdV vielleicht sogar selbst klagen?

Auch hier geht es für die Lebensversicherung um eine existenzielle Fragestellung. Können 1. die lebenslangen Leistungsversprechen eingehalten werden und ist 2. die private Kollektivlösung (als Privatrente) leistungsfähiger als die gesetzliche Kollektivlösung (über die Deutsche Rentenversicherung DRV)? Wenn die Versicherer Rentenfaktoren absenken, dann räumen sie damit ein, dass sie mit der Einhaltung ihrer lebenslangen Leistungsversprechen den Kunden gegenüber massive Probleme bekommen. Wenn sie außerdem mit steigenden Lebenserwartungen argumentieren, dann ist das ein Eingeständnis, dass private Rentenversicherungen gleichermaßen Demografie-anfällig sind wie gesetzliche Umlagesysteme. Soweit die politische und ökonomische Bewertung. Ob die Kürzungen notwendig oder „vorgeschoben“ sind, wird auch zu klären sein. Oder anders: Es ist alles andere als eine vertrauensbildende Maßnahme, wenn Versicherer mit lebenslangen Leistungen werben, die sie dann nicht einhalten können und kürzen. Wenn ein Versicherer ein lebenslanges Leistungsversprechen abgibt, dann muss er sicherstellen, dieses auch erfüllen zu können und entsprechend vorsichtig kalkulieren. Gibt es Anzeichen, dass er dies nicht getan hat, ist unter Umständen eine rechtliche Klärung notwendig. Ob wir als BdV auch aktiv werden, werde ich nicht ausschließen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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