Bereits seit 2001 gibt es dem Ombudsmann für Versicherungen, eine Schlichtungsstelle der Versicherungswirtschaft in Berlin. Mehr als zehn Jahre steht der 75jährige Jurist Günter Hirsch der Schlichtungsstelle vor. Am Dienstag präsentierte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes nun den Jahresbericht für 2017. Und die Bilanz fällt zunächst negativ aus, denn noch nie gab es so viele Verbraucherbeschwerden.

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Insgesamt 14.910 zulässige Beschwerden gingen im Berichtsjahr bei der Schlichtungsstelle ein, so heißt es in einem Pressetext des Ombudsmannes. Das bedeutet eine Steigerung von 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Abschließend bearbeitet wurden 2017 sogar 15.599 zulässige Beschwerden, während es im Vorjahr noch 14.288 waren. Es gab also deutlich mehr zu tun.

Beschwerdequote: 0,004 Prozent, Erfolgsquote: 43 Prozent

Versicherungsombudsmann Günter Hirsch. Quelle: versicherungsombudsmann.deDie Zahl der Beschwerden ist aber vor der Gesamtzahl aller Versicherungsverträge zu betrachten. Insgesamt gibt es in Deutschland laut GDV 399,1 Millionen Policen - die private Krankenversicherung nicht eingerechnet, weil es hierfür für eine eigene Schlichtungsstelle gibt. Das bedeutet eine Beschwerdequote von weniger als 0,004 Prozent.

In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ gibt Günter Hirsch zudem einen Einblick, wie hoch die Erfolgsaussichten einer zulässigen Beschwerde sind. „Bei fast der Hälfte ihrer Beschwerden haben die Versicherten zumindest teilweise Erfolg, das zeigen unsere Bilanzen. Voriges Jahr ging die Erfolgsquote allerdings von knapp 47 auf 43 Prozent zurück“, sagte Hirsch dem Berliner Blatt.

Weniger Erfolg hätten die Verbraucher bei den Lebensversicherungen, wo es oft um viel Geld gehe, erklärt Hirsch weiter. In dieser Sparte könne nur etwa jede vierte Beschwerde (24 Prozent) im Sinne des Kunden geregelt werden. Hierbei gilt es zu bedenken, dass die Versicherer nur bei Streitfällen bis 10.000 Euro die Entscheidung des Ombudsmannes akzeptieren müssen. Viele Konflikte um LV-Policen landen dann nachträglich dennoch vor Gericht. Der Vorteil für Verbraucher: Während das Schlichtungsverfahren läuft, sind auch die gesetzlichen Verjährungsfristen ausgesetzt. Sie können danach immer noch klagen.

VW-Skandal: Schlichtungsstelle vermittelt erfolgreich

Dennoch: Günter Hirsch wertet seine Schlichtungsstelle als Erfolg für die Versicherungsbranche, wie er im Tagesspiegel deutlich macht. Und verdeutlicht das anhand bisheriger Sorgenkinder der Ombudsstelle. Sorgenkind Numero eins ist die Rechtsschutzversicherung. Hier hat die Zahl der Beschwerden erneut um 5,5 Prozent zugenommen, nachdem sie bereits in den beiden Vorjahren regelrecht explodiert war: um 36,4 Prozent im Jahr 2016 und 32,3 Prozent in 2015.

Ein wichtiger Grund für die vielen Beschwerden ist der VW-Abgasskandal. Nachdem bekannt wurde, dass VW hunderttausende Käufer von Dieselautos mit gefälschten Abgaswerten täuschte, wollten sich viele Fahrzeughalter nicht mit der offiziell vorgeschlagenen Lösung des Autobauers zufrieden geben. Sie verlangten nicht nur eine Nachrüstung der entsprechenden Software, sondern wollten auch Schadensersatz oder ihr Auto komplett zurückgeben. Findige Anwälte entdeckten das als Geschäftsmodell. Viele Verbraucher hätten sich mit wenigen Klicks Massenbeschwerden von Anwaltskanzleien angeschlossen, die damit im Internet warben.

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Hier habe auch die Ombudsstelle dazu beigetragen, für alle eine faire Lösung zu finden, argumentiert Günter Hirsch im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“. Nachdem anfangs die Rechtsschutzversicherer wegen angeblich fehlender Erfolgsaussichten durchweg die Übernahme der Kosten abgelehnt hätten, habe auch der Schlichtungsspruch des Ombudsmannes dazu beigetragen, dass sie jetzt dafür zahlen. Vorangegangen waren mehrere Urteile in Vorinstanzen, bei denen sich Verbraucher gegen VW durchsetzen konnten. Doch damit nicht genug. Eine führende Kanzlei habe sich auch bereit erklärt, dass bei derartigen Massenklagen die Anwaltsgebühren im Sinne der Rechtsschutzversicherer gedeckelt werden.

Restschuldversicherungen: Auch Kritik der Ombudsstelle bewirkt Gesetzesänderung

Einen noch größeren Erfolg konnte die Schlichtungsstelle mit Blick auf Restschuldversicherungen erzielen, wie Günter Hirsch dem Tagesspiegel berichtet. Hier zeigte sich in den letzten Jahren viel Streitpotential bei den mitunter teuren und intransparenten Verträgen, was sich auch in einer hohen Beschwerdezahl beim Ombudsmann widerspiegelte. Die Verträge werden oft zwischen einer Bank und einem Kreditnehmer abgeschlossen - sie sind mitunter sogar Voraussetzung, damit ein Privatkunde einen Bankkredit erhält.

Als Hirsch im Mai 2016 den damaligen Tätigkeitsbericht für das zurückliegende Jahr vorstellte, sprach er Missstände bei diesen Verträgen offen an. Oft handelt es sich um komplexe Vertragsverhältnisse, bei denen der Verbraucher zwar die versicherte Person ist, aber gar nicht der Versicherungsnehmer. Eine dritte Partei schaltet sich dazwischen, die als Versicherungsnehmer agiert: etwa eine Bank oder bei der Pacht eines Gartens ein Kleingartenverein. Das erschwert es den Verbrauchern, ihre Rechte wahrzunehmen, da zum Beispiel der Versicherer ihnen gar nicht Auskunft über den Vertrag geben muss.

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Die rechtliche Stellung der Verbraucher sei schwach gewesen, erklärt nun Hirsch dem Tagesspiegel: "Es fehlten Beratungs- und Aufklärungspflichten im Gesetz. Nach meinen öffentlichen Hinweisen wurden innerhalb von zwei Monaten verbesserte Regelungen für die Verbraucher ins noch laufende Gesetzgebungsverfahren aufgenommen. Das war sehr erfreulich." So sind die Versicherer nun verpflichtet, die Kosten einer Restschuld-Police gesondert auszuweisen. In die Kritik geraten waren sie aufgrund extrem hoher Provisionen für Vermittler von bis zu 70 Prozent der Beiträge.

Hirsch fordert verbindliches Schlichtungsverfahren für Musterfeststellungsklagen

Hier lobt Hirsch die Versicherungsbranche: Fast alle Versicherer seien Mitglied im Trägerverein und hätten sich freiwillig seinem Schlichtungsspruch unterworfen. Ähnliches regt er nun auch für andere Branchen an, bei denen es oft zu Konflikten kommt. "In vielen anderen Wirtschaftszweigen wie der Autobranche oder bei Pauschalreisen fehlen bisher solche bewährten freiwilligen Lösungen und es gibt auch keine zwingenden gesetzlichen Verpflichtungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung. Wie ärgerlich das für Kunden ist, zeigt der VW-Skandal", sagt Hirsch.

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Der Gesetzgeber sollte Unternehmen verpflichten, auch hinsichtlich der nun anstehenden Einführung von Musterfeststellungsklagen sich ohne Wenn und Aber einem Schlichtungsverfahren vor einer gesetzlich anerkannten Verbraucherschlichtungsstelle zu unterwerfen, so das Plädoyer des erfahrenen Juristen. "Das könnte eine schnelle Klärung bringen, viele Prozesse vermeiden und die Gerichte entlasten". So sollen Streitfälle, die viele Verbraucher betreffen, fortan geklärt werden können, indem sich Betroffene einem klagenden Verbraucherverband anschließen: ebenfalls mit einem für Unternehmen verbindlichen Schlichtungsspruch bis zu einer gewissen Summe, regt Hirsch an.

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