Musterfeststellungsklage soll Klagekollektive ermöglichen

Mit dem Gesetz zur Musterfeststellungsklage sollen sich Verbraucher künftig zu Klagekollektiven zusammenfinden können, um gemeinsam gegen einen Konzern zu klagen. Die Bundesregierung reagiert damit auch auf die Erfahrungen aus dem VW-Dieselgateskandal. Nachdem der Autobauer Millionen Kunden mit gefälschten Abgaswerten getäuscht hatte, setzten Kläger in den USA vor Gericht gemeinsam Schadensersatz durch. In Deutschland aber muss in der Regel jeder Bürger einzeln seine Interessen durchsetzen. Das kostet Zeit, Geld und Nerven. Ein Rechtsstreit über mehrere Instanzen kann schnell zehntausende Euro kosten.

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In dieser Woche warnte sogar der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), aufgrund der steigenden Kosten für Rechtsstreite könnten viele Bürger komplett vom Zugang zum Recht abgeschnitten werden. So verschlingt allein ein Streit über Schimmel in der Wohnung im Schnitt 5.000 Euro, bis erstmals ein Urteil ergeht. „Viele Bürger verzichten aus Angst vor hohen Kosten darauf, ihr Recht vor Gericht und mit Hilfe eines Anwalts durchzusetzen. Für einen funktionierenden Rechtsstaat ist das ein Problem“, warnt GDV-Präsident Wolfgang Weiler. Von 2012 bis 2016 stiegen die durchschnittlichen Kosten eines Rechtsstreits nach GDV-Berechnungen um 19 Prozent (der Versicherungsbote berichtete).

Klagerecht mit hohen Hürden

Ob das Gesetz die Erwartungen erfüllen kann, ist umstritten. Es gibt hohe Hürden, damit die Musterfeststellungsklage überhaupt wirksam werden kann. So müssen sich zunächst mindestens zehn Betroffene zusammenfinden, denen mutmaßlich durch ein Unternehmen der gleiche Schaden entstanden ist. Diese können aber nicht selbst klagen, denn klageberechtigt sind nur bestimmte Verbraucherverbände. Diese Verbände müssen mindestens aus 350 Mitgliedern bestehen oder zehn Mitgliedsverbände unter sich vereinen. Außerdem müssen die Verbände seit mindestens vier Jahren in einer Liste des Bundesamtes für Justiz registriert sein.

Doch selbst wenn ein solcher Verband sich bereit erklärt, die Rechte der Verbraucher vor Gericht durchzusetzen, kann es immer noch nicht losgehen. Bevor der Verband klagt, muss er zunächst selbst ausführlich prüfen, ob in mindestens zehn Fällen ein ähnliche Betroffenheit vorliegt, so dass eine Klage gerechtfertigt wäre. Doch damit nicht genug. Nun müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Menschen in ein Klageregister eintragen, die gemeinsam agieren wollen. Erst dann kann eine Musterfeststellungsklage angeschoben werden.

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Die Hürden sind also extrem hoch. Aber es gibt einen weiteren wunden Punkt. Hat das Klagekollektiv vor Gericht Erfolg, heißt das noch nicht, dass die Betroffenen nun auf eine Entschädigung hoffen können. Sie müssen hinterher einzeln ihr Recht durchfechten, jeder für sich, wenn auch unter erleichterten Bedingungen. Dies nährt Zweifel, welchen Sinn die Musterfeststellungsklage überhaupt hat. Vorgesehen ist bislang, dass im Rahmen der Musterfeststellungsklage festgestellt wird, ob ein bestimmter Sachverhalt vorliegt, der Verbraucher zum Schadensersatz berechtigt. „Über diese reine Feststellung hinaus treten aber keine Rechtswirkungen ein“, kritisiert Rechtsanwalt Jan-Eike Andresen, der selbst Verbraucher im VW-Dieselgate-Skandal für das Portal myright.de vertritt.

Opposition und Deutsche Umwelthilfe werten Gesetz als Mogelpackung

Die Musterfeststellungsklage ist also ein Verfahren, das selbst hohe bürokratische Hürden bereithält - und einen immensen Vor- und Nachlauf erfordern könnte. Und es ist eben streng genommen überhaupt keine Klage, sondern nur ein vorgeschaltetes Verfahren, das anschließende Klagen erleichtern soll. Umso weniger euphorisch sieht die Opposition das Gesetz, sämtliche Abgeordnete stimmten dagegen. Manuela Rottmann, für Bündnis 90/ die Grünen im Rechtsausschuss des Bundestages, sagte dem Online-Magazin »LTO«, die Musterfeststellungsklage sei ein »zahnloser Papiertiger«.

Auch Sascha Müller-Kraenner, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfesagte, sieht das Gesetz kritisch. "Anstatt die Rechte der Verbraucher tatsächlich zu stärken, wird mit dem Gesetz, das viele Hürden enthält, den Konzernen abermals ein großzügiges Geschenk gemacht“, zitiert ihn Zeit Online. Zu viele Verbände würden von der Klageberechtigung ausgeschlossen – auch die Deutsche Umwelthilfe dürfe nicht klagen. Müller-Kraener kritisiert darüber hinaus, die Musterfeststellungsklage sei im Eilverfahren durchgewunken worden, ohne dass berechtigte Einwände der Opposition ernst genommen worden seien. Dabei würden die Grundlagen für das Gesetz bereits seit fünf Jahren vorliegen.

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