Versicherungsvertrieb - „Wer selbst ausbildet, hat viele Vorteile!“
Der Versicherungsvertrieb hat ein Nachwuchsproblem: Das Durchschnittsalter der Vermittler nähert sich den 50 Jahren an. Können Agenturen und Maklerbüros selbst etwas tun, um neue Fachkräfte zu gewinnen, sogar selbst ausbilden? Der Versicherungsbote hat mit zwei Fachleuten zu dieser Frage gesprochen: Dr. Katharina Höhn, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Berufsbildungswerks der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e.V. und Gerald Archangeli, Vizepräsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) und Mitglied im Vorstand des BWV e.V.
Versicherungsbote: Woher bekommen Makler ihren Nachwuchs?
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Höhn: Es gibt ja nur die zwei Möglichkeiten: Entweder auf dem Arbeitsmarkt „einkaufen“ oder selbst ausbilden. Den eigenen Nachwuchs selbst auszubilden – und damit meine ich die klassische Berufsausbildung von Schulabsolventen – hat in der Versicherungswirtschaft eine gute Tradition. Dabei gilt: Wer gut ausbildet, bekommt auch gute Mitarbeiter. Wer eine dreijährige Berufsausbildung zum Kaufmann bzw. zur Kauffrau für Versicherungen und Finanzen absolviert, ist gut vorbereitet auf alle Tätigkeiten im Innen- und Außendienst. Ein Makler, der selbst ausbilden kann – und dazu gibt es eine Reihe von Voraussetzungen – hat nach meiner Auffassung die besten Möglichkeiten, den Nachwuchs – auch in Hinblick auf eine spätere Übergabe – selbst aufzubauen.
Archangeli: In der Tat haben wir einen zunehmenden Nachwuchsmangel. Das ist ein Problem, denn für die Bevölkerung ist die persönliche Ansprache und Motivation zur eigenen Absicherung von hoher sozialpolitischer Bedeutung. Also müssen wir dafür sorgen, dass wir als Branche in den eigenen Nachwuchs investieren. Auf dem Arbeitsmarkt geeignete Personen zu finden, ist schwierig.
Man kann versuchen, Mitarbeiter aus dem Innendienst, die aufgrund der Digitalisierung andere Aufgabenbereiche benötigen, für den Außendienst zu gewinnen. Das „Mind Set“ im Außen- dienst ist allerdings ein anderes, und es bedarf vermutlich aufgrund häufiger Spezialisierungen im Innendienst einer nochmaligen fundierten Weiterbildung in der Breite der Sparten. Kurzum: Vermittlerbetriebe fahren besser, wenn sie junge Vermittlerinnen und Vermittler selbst ausbilden.
Wie können Maklerbetriebe motivierte Azubis gewinnen?
Archangeli: Da gibt es viele Möglichkeiten: Informationsveranstaltungen für Schulabgänger, örtliche Agenturen für Arbeit, Jobbörsen und Ausbildungsmessen, am besten mit einem eigenen Messestand als Visitenkarte des Vermittlerbetriebs. Ebenso kommen Anzeigen – insbesondere online – in den örtlichen Medien in Frage, auf jeden Fall auch die Suche über die eigene Vermittlerwebsite und über Social Media.
Ich empfehle auch, Kundenkontakte zu nutzen, um ein Praktikum oder einen Ausbildungsplatz anzubieten. Als Vermittler kennt man Familien mit ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen. Im Versicherungsmarkt, dessen Dynamik durch die Digitalisierung in den nächsten Jahren beschleunigt wird, werden sich nur gut ausgebildete Vermittler behaupten können. Versicherungsexperten mit hoher fachlicher Kompetenz, intrinsischer Motivation zur lebenslangen Weiterbildung und Soft Skills sind deshalb sehr gefragt.
Frau Dr. Höhn, was genau verbirgt sich hinter dem Begriff „Soft Skills“?
Den Begriff „Soft Skills“ benutze ich selbst nicht so gerne. Der Begriff „Skill“ zielt im eigentlichen Sinn auf Fertigkeiten ab, die man sich im Berufsalltag durch praktisches Tun aneignet. Dagegen ist nichts einzuwenden. Spricht man von „Soft Skills“ sind aber häufig Eigenschaften gemeint, die in der Persönlichkeit eines Menschen verankert sind und die man sich nicht so leicht durch Training aneignen kann. Beispiele sind Eigeninitiative, Eigenverantwortung, Offenheit für Neues, Teamfähigkeit, Experimentierfreudigkeit, aber auch Höflichkeit, Redegewandtheit, Empathie.
Solche Eigenschaften gewinnen bei der Personalauswahl immer mehr an Bedeutung. In einer digitalisierten Versicherungswirtschaft – was auch immer man darunter verstehen mag – werden gerade Menschen gesucht, die neugierig, experimentierfreudig und unkonventionell sind. Wenn ich als Makler ausbilden möchte, ist es wichtig vorher die Frage zu beantworten: Was für einen Menschen brauche ich eigentlich in der Zukunft, um mein Geschäft erfolgreich zu betreiben? Es ist dann hilfreich, mutig zu sein und nicht eine „Kopie meiner selbst“ zu suchen.
Sollten Maklerbetriebe dann nicht direkt ausbilden?
Archangeli: Richtig! Das hat gleich mehrere Vorteile:
• Auszubildende können durch den persönlichen Kontakt und die intensive Zusammenarbeit an die Agentur oder den Makler gebunden werden
• Auszubildende wachsen langfristig in die Betriebsabläufe hinein, was ihre Verbundenheit mit dem Vermittlerbetrieb erhöht
• Auszubildende sind in ihren Ansichten und Arbeitsweisen noch offen, was ihrer Flexibilität förderlich ist
• schließlich erhalten Auszubildende in Agenturen eine spezifische, außendienstbezogene und fachlich hochwertige Ausbildung
• Es besteht die Möglichkeit für leistungsstarke Auszubildende, gegebenenfalls den Betrieb zu übernehmen
Eine Ausbildung in Vertriebseinheiten bietet auch für junge Menschen viele Vorteile: abwechslungsreiche Aufgabengebiete, selbstständige inhaltliche und zeitliche Arbeitsgestaltung und direkten Kundenkontakt – um einige zu nennen. Und wenn der oder die Auszubildende die Ausbildung abgeschlossen hat, in den Hauptverwaltungen im Innendienst aber nicht übernommen werden kann, besteht eine große Chance darin, ältere Agenturinhaber mit diesen jungen Kaufleuten in Kontakt zu bringen, um den Betrieb schließlich zu übernehmen.
Was muss ein Makler tun, wenn er ausbilden will?
Höhn: Die örtliche IHK prüft die Eignung als Ausbildungsbetrieb und hilft Maklern, die das zum ersten Mal machen möchten. Zu den formalen Kriterien, die ein Ausbilder erfüllen muss, gehören die persönliche sowie die fachliche Eignung. Die persönliche Eignung liegt vor, wenn man Jugendliche beschäftigen darf und nicht wiederholt oder schwer gegen das Berufsbildungsgesetz verstoßen hat. Neben diesen formalen Kriterien sind jedoch weitere Eigenschaften wie z.B. Geduld und Freude am Umgang mit jungen Menschen hilfreich.
Die fachliche Eignung kann man an drei Kriterien festmachen:
• der Ausbilder verfügt selbst über eine abgeschlossene Berufsausbildung
• hat einige Jahre selbst Erfahrungen in dem Beruf sammeln können, in dem er nun ausbilden möchte
• kann als Ausbilder theoretische sowie praktische berufs- und arbeitspädagogische Kenntnisse nachweisen.
Als Nachweis gilt das Bestehen der Prüfung gem. der Ausbilder Eignungsverordnung (AEVO). Als Versicherungsfachwirt bzw. als Fachwirt für Versicherungen und Finanzen hat man den schriftlichen Teil der AEVO schon abgedeckt. Auch die Anzahl der Mitarbeiter ist ein Kriterium. Zwar gibt es keine Vorgaben bezüglich der Mitarbeiterzahl im Betrieb, jedoch wird ein angemessenes Fachkräfteverhältnis zur Zahl der Auszubildenden verlangt, um die Qualität der Ausbildung zu sichern. So könnte z.B. bei einem Betrieb mit 1-2 Fachkräften nur ein Auszubildender ausgebildet werden.
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Für mich ist außerdem die persönliche Einstellung des Maklers sehr wichtig – das muss jemand mit Herzblut machen und sich auf die jungen Leute einstellen. Wer mit Respekt vor jungen Menschen an die Sache herangeht, für den kann Ausbildung eine großartige Bereicherung sein. Ich würde meinen Auszubildenden das Erschließen neuer Kommunikationskanäle über Social Media überantworten und versuchen, ihre kreativen Ideen in mein Geschäftsmodell zu integrieren. Wir können von der Jugend unendlich viel lernen – und umgekehrt natürlich auch.