Vor wenigen Tagen hat sich die große Koalition auf ein Rentenpaket geeinigt. Von einigen Medien als „Rentenstreit“ inszeniert, hatten sich die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD in der Nacht auf Mittwoch getroffen, um sich auf eine Rentenreform zu einigen. Viele Punkte des beschlossenen Maßnahmenpakets sind jedoch keineswegs neu, sondern standen so oder so ähnlich bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Folglich dauerte es nur 90 Minuten, bis Andrea Nahles (SPD), Volker Kauder (CSU) und Alexander Dobrindt (CSU) vor die Presse treten konnten, um ihre Ergebnisse zu präsentieren. Ausgelöst hatte den vermeintlichen Streit unter anderem Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der das Rentenniveau bis zum Jahr 2040 festschreiben wollte.

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Doppelte Haltelinie - bis 2025

Eine wichtige Maßnahme der Bundesregierung ist die Einführung einer sogenannten doppelten Haltelinie für den Rentenbeitrag und das Rentenniveau. Der Brutto-Beitrag, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam zur Rentenversicherung zahlen müssen, soll demnach auf maximal 20 Prozent des Bruttoeinkommens bis 2025 steigen. Aktuell beträgt er 18,6 Prozent. Um die Beiträge zu stabilisieren, will die Bundesregierung einen milliardenschweren Rentenfonds schaffen.

Auch das Rentenniveau soll stabilisiert werden: bei 48 Prozent. Dabei handelt es sich um einen jährlich neu berechneten Durchschnittswert, der die verfügbare Rente zum Durchschnittslohn abbilden soll. Er errechnet sich, indem eine Standardrente (45 Jahre volle Beitragszahlungen auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens) und die Höhe eines Durchschnittseinkommens vor Steuern gegengerechnet werden.

Kritiker bemängeln, dass das Rentenniveau wenig aussagekräftig sei, welche Rente die Menschen einmal erhalten werden: unter anderem, weil dank gebrochener Erwerbsbiographien und häufiger Arbeitsplatz-Wechsel viele Beschäftigte diese 45 Jahre volle Verbeitragung nicht erreichen.

Korrekturen bei Mütterrente

Korrekturen hat es im Vergleich zum Koalitionsvertrag bei der Mütterrente gegeben. Ursprünglich war laut Koalitionspapier geplant, dass nur ältere Mütter mit drei und mehr Kindern von höheren Renten profitieren: So hatte es die CSU vorgeschlagen. Das ist nun nicht mehr der Fall, auch Mütter mit weniger Kindern erhalten etwas höhere Altersrenten ("Mütterrente II").

Erziehenden werden für Kinder, die vor 1992 auf die Welt gekommen sind, nun ohne Einschränkung sechs Monate bzw. 0,5 Entgeltpunkte bei der Rente gutgeschrieben. Frauen mit drei und mehr Kindern erhalten einen vollen Entgeltpunkt angerechnet.

Unter anderem hatte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) öffentlich dafür eingesetzt, dass Frauen bereits ab dem ersten Kind von einer höheren Mütterrente besser gestellt werden. Ein Entgeltpunkt entspricht aktuell einem Rentenwert von 32,03 Euro Monatsrente für Westdeutschland und 30,69 Euro für Ostdeutschland.

Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sinken

Die Unionsparteien konnten sich darüber hinaus mit ihrer Forderung durchsetzen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung stärker zu senken als im Koalitionspapier ursprünglich geplant. Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung soll nun zum Jahreswechsel um 0,5 Punkte auf 2,5 Prozent des Bruttolohns sinken, während zunächst nur 0,3 Prozentpunkte angedacht gewesen waren. Aktuell müssen zur Arbeitslosenversicherung drei Prozent gezahlt werden, Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich die Kosten.

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Ein Teil des niedrigeren Arbeitslosenbeitrags wird aber nur befristet gelten. Während die gesetzliche Senkung 0,4 Prozent betragen soll - der Entwurf hierfür soll am 19. September beschlossen werden - so soll eine gesonderte Verordnung den Beitrag um einen weiteren Prozentpunkt drücken. Die Verordnung tritt nach den jetzigen Plänen zum 1. Januar 2019 in Kraft und läuft zum Jahresende 2022 aus.

Midi-Jobber profitieren von höheren Freigrenzen

Ebenfalls Verbesserungen soll es für Menschen geben, die einen Mini- oder Midi-Job haben. Die Einkommensgrenze, ab der die vollen Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt werden müssen, soll demnach von 850 auf 1300 Euro steigen.

Darüber hinaus sollen Menschen mit kleinem Einkommen von einer Grundrente profitieren. Wer 35 Beitragsjahre vorweisen kann, soll ein Ruhestandsgeld von mindestens zehn Prozent über der Grundsicherung erhalten. Die Grundrente soll unter anderem Menschen unterstützen, die Kinder erziehen und Angehörige pflegen, deshalb nicht 45 Beitragsjahre in der Rentenkasse erreichen.

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Kritik: „Rentenbeiträge werden steigen müssen“

Während SPD-Chefin Andrea Nahles von einem „wirklichen Durchbruch“ in sozialpolitischen Fragen sprach, meldeten sich auch kritische Stimmen zu Wort. Spätestens im Jahr 2023 müsste der Beitragssatz zur Rentenkasse angehoben werden, warnte am Montag Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung (DRV). "Dann rechnen wir damit, dass eine Anhebung von derzeit 18,6 auf bis zu 19,3 Prozent notwendig wird“, sagte Roßbach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Grund sei auch, dass die Reformen extra Geld kosten. Laut Prognosen der Bundesregierung werden bis 2025 knapp 32 Milliarden Euro zusätzlich benötigt.

Noch deutlicher kritisieren Marcel Fratzscher und Johannes Geyer die aktuellen Rentenpläne, beides leitende Wissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Das Selbstlob der Bundesregierung nach der Einigung über das Paket stünde in keinem Verhältnis zu seinem Inhalt, schreiben die Forscher in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Sonntag). Es brauche in Sachen Rente einen "viel größeren Wurf", als dies nun gelungen sei, so das Fazit.

"Aktuelles Rentenniveau ist weder großzügig noch auskömmlich"

"Das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent ist weder großzügig noch auskömmlich. Über die Hälfte der Menschen, die kurz vor der Rente stehen, werden ihren Lebensstandard zum Teil deutlich einschränken müssen. Viele haben nicht oder nicht ausreichend privat vorgesorgt, um ihre Rente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zu ergänzen", schreiben die beiden DIW-Autoren. Zudem werde das Rentenniveau ab Mitte der 2020er-Jahre zurückgehen und in den 2040er-Jahren sogar unter 43 Prozent fallen. Es gebe darüber hinaus immer mehr Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, mit "Niedriglohnkarrieren" oder in Teilzeit, die geringere Rentenansprüche erwerben. Hierauf müsse die Regierung eine Antwort finden - über das Jahr 2025 hinaus.

Als Lösung schlagen Fratzscher und Geyer fünf Reformschritte vor. Unter anderem müssten geringe Einkommen bei der gesetzlichen Rente gestärkt werden - durch Aufweichen des sogenannte Äquivalenzprinzips, wonach "jeder Euro, der in die GRV eingezahlt wird, die gleiche monatliche Rentenleistung erzielen soll, unabhängig vom Einkommen der Beitragszahlenden". Menschen mit niedrigen Einkommen hätten schon heute eine um sieben Jahre geringere Lebenserwartung als Besserverdiener, weshalb die Rente speziell Gutverdiener bevorteile, rechnen die DIW-Forscher vor.

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Weitere angemahnte Reformmaßnahmen: Die Flexibilisierung des Renteneintritts, so dass sich Rentner mehr hinzuverdienen können, ohne dass sie hierfür mit Einbußen bei der Rente "bestraft" werden. Auch müsse die private Vorsorge gestärkt werden - unter Anerkenntnis der Tatsache, dass die Riester-Rente gescheitert sei und kaum Anreize für mehr Eigenvorsorge schaffe. "Der Staat kann und muss bessere Anreize setzen, damit mehr Menschen privat fürs Alter sparen. Gleichzeitig ist es so, dass 40 Prozent der Deutschen praktisch kein nennenswertes Erspartes haben, weil ihr gesamtes Einkommen in ihren Lebensunterhalt fließt", schreiben die Autoren.

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