Seine Fleißarbeit ist in der Branche gefürchtet: Seit 2011 bewertet der Finanzwissenschaftler Hermann Weinmann die zwölf größten Lebensversicherer in einem umfangreichen Bilanzcheck. Weinmanns Urteil fällt dabei oft kritischer aus als die Studien jener Marktforscher, die regelmäßig Lebensversicherer mit Bestnoten und Auszeichnungen überschütten. Auch aktuell hat Weinmann wieder die wichtigsten Kennziffern der zwölf Branchen-Dinos verglichen, so berichtet das „Handelsblatt“ am Sonntag. Das Ergebnis zeigt eine Branche in der Krise, bei der es eine weite Spreizung zwischen den Lebensversicherern gibt.

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Allianz vorn, R+V und Zurich auf dem Podest

Mehrere Faktoren hat der Versicherungsexperte von der Hochschule Ludwigshafen am Rhein berücksichtigt. Die Ertragskraft floss ebenso in die Analyse ein wie die Beteiligung der Kund*innen an den Ergebnissen des Versicherers. Darüber hinaus wurde die finanzielle Widerstandskraft und das Risikoergebnis berücksichtigt, wofür die Solvabilitäts- und Finanzberichte (SFCR) mit herangezogen wurden. Also jene Berichte, die die Versicherer erstmals im vergangenen Jahr der Finanzaufsicht BaFin vorlegen mussten, um ihre Beständigkeit in Krisenzeiten nachzuweisen.

Das Ergebnis lässt aufhorchen. Insgesamt konnten die Versicherer 1.000 Punkte erzielen. Aber nur drei Versicherer kamen mit einem Ergebnis über die Ziellinie, das mindestens ein „gut“ bedeutet. Branchenprimus ist wie im Vorjahr die Allianz Leben, der Weinmann ein „sehr gut“ (Note: 1,3) ausstellt: sie erkämpfte im Ranking 750 von 1.000 möglichen Punkten.

Knapp dahinter folgt die genossenschaftliche R+V-Versicherung auf Rang zwei sowie die Zurich Deutscher Herold auf dem dritten Rang. Während die R+V 700 Punkte erhält und sich gegenüber dem Vorjahr deutlich verbessern konnte (625 Punkte), reichen der Zurich 600 Punkte, um die Bronzemedaille im Ranking zu erobern. Beide wurden mit „gut“ bewertet: die Schulnote 2,0 gab es für die R+V, die Note 2,3 für die Zurich.

"Deutliches Gefälle" zwischen Anbietern

Das war es aber bereits mit den sehr guten und guten Bewertungen. Auf Rang vier platzieren sich die Bayern-Versicherung und die Nürnberger Leben, die beide aber nur mit dem Gesamtergebnis „befriedigend“ (Schulnote: 2,7) bewertet wurden. Hierfür reichte es, 550 von 1.000 möglichen Punkte einzusammeln. Bereits die Alte Leipziger auf Rang fünf muss sich mit der Hälfte der möglichen Punktzahl (500) begnügen. Auch sie wurde mit „befriedigend“ benotet.

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“Das Gefälle zwischen den Gesellschaften ist inzwischen groß“, sagt Weinmann dem „Handelsblatt“. Das zeigt sich auch an den Letztplatzierten. Die Generali Leben, deren Bestände soeben an die Viridium Gruppe verkauft werden, wird als „betriebswirtschaftlich schwach“ bewertet und sammelt 350 Punkte ein: etwas mehr als ein Drittel. Dann folgt die HDI Leben mit 400 Punkten auf dem vorletzten Rang und Bewertung „ausreichend plus“. Die Debeka kann immerhin Gesamtnote 3,3 erzielen und macht vom letzten Platz im vergangenen Jahr einen Sprung nach vorne.

Kritik an Transparenz der Geschäfts- und Solvatibilitätsberichte

Das Versicherungsjournal macht auf einen weiteren Aspekt der Studie aufmerksam. So äußere Hermann Weinmann Kritik an der Transparenz der untersuchten Geschäfts-, und Solvatibilitätsberichte (SFCR) sowie den Angaben der Ertragsquellen nach § 15 der Mindestzuführungsverordnung (MindZV). Diese sind die entscheidenden Quellen, um Stabilität und Ertragskraft eines Versicherers zu bewerten.

Oder eben auch nicht. Denn die Berichte zeigen deutliche Informationsdefizite, wie Weinmann in der Zeitschrift für Versicherungswesen (07/2018) bemängelt. Dadurch seien die Lebensversicherer nicht nur schwer vergleichbar - die fehlende Transparenz untergrabe auch Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Branche. Wichtige Werte, damit die Lebensversicherung als Altersvorsorge überhaupt überlebensfähig sei.

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Wunderbar verschwundene Provisionskosten

Weinmann nennt ein Beispiel auf Unternehmensebene, wie es Versicherern gelingen kann, entstehende Kosten zu verstecken. So habe die Ergo Lebensversicherung ihre ausgewiesenen Provisionen auf verdächtige Weise reduziert: von 150 Millionen Euro in 2011 auf 16 Millionen Euro in 2016. Hier vermutet Weinmann, dass die Gründung der Ergo Beratungs- und Betriebs-AG dazu beigetragen haben könnte, Provisionszahlungen des Versicherers hinwegzuzaubern:

Man könne nur vermuten, dass die aktuell niedrigen Provisionen lediglich für das Direktgeschäft der Ergo anfallen, das direkt der Zentrale unterstellt sei. Die übrigen Provisionen würden jedoch durch die Beratungs- und Vertriebs-AG der Ergo ausgeschüttet. Da die Zahlungsströme zwischen den Gesellschaften intransparent seien, würden sich die Provisionsausweisungen in der Nähe zur Fehlinformation bewegen.

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