Mitarbeiter der Verbraucherzentralen müssten keine Qualifikation nachweisen, da die Einrichtungen keine Gewinnerzielungsabsicht hätten, kommentiert gegenüber dem "Handelsblatt" Christina Schröder, Leiterin Wettbewerbsrecht und Versicherungswirtschaft bei der IHK Wiesbaden. „Diese wird nur anzunehmen sein, wenn sie mit den eingenommenen Gebühren dauerhaft Überschüsse erzielen wollen“, so Schröder. „Stattdessen fallen die Verbraucherzentralen unter das Rechtsdienstleistungsgesetz und dürfen ohne Zulassung außergerichtlich beraten“, erklärt auch der vzbv als Dachverband der Verbraucherzentralen.

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Einer, der an der Situation etwas ändern wollte, war der Versicherungsmakler Frank Dietrich aus Potsdam. Er forderte 2017 mit einer Petition auf change.org, dass auch Verbraucherschützer eine Mindestqualifikation nachweisen müssen sowie für ihren Rat gegenüber den Kunden haften (der Versicherungsbote berichtete). Der zuständige Bundestagsausschuss lehnte diesen Vorstoß ab. Zum einen seien die VZ-Mitarbeiter zur Teilnahme an regelmäßigen Weiterbildungen verpflichtet, hieß es zur Begründung. Auch sei der Vorwurf, beratende Verbraucherschützer haften nicht, nicht zutreffend. Beraten sie einen Kunden konkret, so würden sie einen Beratungsvertrag abschließen, der auch Schadensersatz bei Falschberatung vorsehe.

Versicherungsvermittler schlüpfen in Rolle der Verbraucher-Berater

Der Vorwurf, die Verbraucherzentralen würden über keine Expertise verfügen und nicht für ihren Rat haften, lässt sich so also so pauschal nicht aufrecht erhalten. Dennoch gibt es Schlupflöcher, so dass den Mitarbeitern weniger strenge Grenzen gesetzt sind als "traditionellen" Vermittlern. Und es fehlt an beruflichen Mindeststandards. Genau dies wollen sich Branchenvertreter nun selbst zu Nutze machen. Sie gründen Büros, die den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen (VZ) durchaus vergleichbar sind.

198 solcher VZ-Beratungsstellen gibt es aktuell in Deutschland. Nun eröffnet der Bundesverband der Sachverständigen für das Versicherungswesen (BVSV), in dem viele Versicherungsvermittler organisiert sind, deutschlandweit sogenannte BVSV Verbraucherbüros, so berichtet das "Handelsblatt". 16 solche Anlaufstellen wurden bereits eröffnet, weitere 65 sollen hinzukommen.

„Der Verbraucherschutz für Versicherte muss in die Hände derer, die es professionell betreiben und jeden Tag damit zu tun haben: den zugelassenen und registrierten Vermittlern oder Versicherungsberatern“, erläutert BVSV-Vorstand Andreas Schwarz dem "Handelsblatt". Der Plan ist, dass Ratsuchende zu denselben Honorarsätzen wie bei den Verbraucherzentralen beraten werden sollen. Das ist abhängig auch vom jeweiligen Bundesland. So kostet in Nordrhein-Westfalen eine dreißigminütige Beratung 40 Euro.

Zwar finde die Beratung im Büro eines Versicherungsvermittlers statt, berichtet das "Handelsblatt". Damit die Fachkräfte aber entsprechend beraten können, seien sie als Berater unter dem Dach der BVSV Sachverständigen GmbH organisiert. Um die Unabhängigkeit zu wahren, verpflichte sich jeder zugleich, für die folgenden sechs Monate kein Honorar vom Ratsuchenden anzunehmen. Ein solches Büro soll es in jeder Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern geben.

Jeder kann ein Verbraucherschützer sein

Die Kritik an den Verbraucherzentralen berührt nur einen kleinen Teil des Problems. Während außer Frage steht, dass Verbraucherschutz und entsprechende Watchdog-Organisationen wichtig sind, kann sich in Deutschland rein theoretisch jeder Verbraucherschützer nennen. Eine entsprechend geschützte Berufsbezeichnung gibt es nicht.

Dass dieser Status Quo den Boden für Fehlentwicklungen und sogar Verbrauchertäuschung bereiten kann, haben die Verbraucherzentralen selbst bereits kritisiert. Im Jahr 2015 bemängelte die Verbraucherzentrale NRW die inflationäre Vergabe von Testsiegeln an Versicherer und andere Dienstleister. Private Institute führen demnach Tarif-Vergleiche durch, bei denen eine inflationäre Zahl an Versicherern zu Testsiegern gekürt wird. Mit den entsprechenden Siegeln werben dann die Versicherer um Kunden: sie sollen suggerieren, dass unabhängige Stellen die Qualität der Leistungen und Services geprüft haben.

Nicht zufällig nennen sich die privaten Tester hierbei "Institut". Es ist eine Bezeichnung, die Wissenschaftlichkeit und Neutralität suggeriert - auch wenn es sich eben um private Anbieter und mitunter sogar Lobby-Organisationen handelt.

Doch die Tests sind oft intransparent, die Kriterien für die Ratings schwer nachvollziehbar. Während sich die privaten Tester als unabhängig darstellen, werden sie oft von den getesteten Produktgebern direkt bezahlt: entweder, weil sie entsprechende Beratungs-Services bei den Instituten in Anspruch nehmen. Oder über Lizenzen für die Testsiegel-Werbung (der Versicherungsbote berichtete).

Es ist mittlerweile ein Markt für den Verbraucherschutz entstanden, private Unternehmen verdienen Millionen damit. Verbraucherseiten wie "Finanztip" setzen sogar Affiliate Links zu bestimmten Anbietern - Links also, die werbefinanziert sind. Angeblich ohne Interessenskonflikt, aber das ist schwer überprüfbar (der Versicherungsbote berichtete).

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Wie weit die mögliche Verbrauchertäuschung unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes gehen kann, zeigt die mittlerweile insolvente Cis AG des vermeintlichen Finanzgurus ­Daniel Moussa Shahin. Das Unternehmen warb um hochriskante Geldanlagen, sogenannte Garantie-Hebel-Pläne, mit einer Zeitung, die sich ebenfalls an Verbraucher-Magazine anlehnte und bundesweit im Bahnhofshandel erworben werden konnte: "Der Freie Berater". Shahin lebt mittlerweile in London, hat Privatinsolvenz angemeldet und behauptet, kein Geld mehr zu haben: das Geld der Anleger dürfte ebenfalls futsch sein. Hier wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, strengere Kriterien und Mindestanforderungen für den Verbraucherschutz zu definieren. Sonst bedarf es tatsächlich eines Verbraucherschutzes, der Verbraucher vor dem Verbraucherschutz schützt.

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