Vorhersagemodelle für die Regulierung von Personenschäden
In der Klimaforschung und der Preisgestaltung von Handelsunternehmen finden sie ebenso Anwendung wie bei der Vorhersage von Straftaten oder Stromlasten: Prognosemodelle auf der Basis umfangreicher Datenanalysen – auch Predictive Analytics genannt – sind heute gefragter denn je. Im Personenschaden kommen sie vor allem zum Einsatz, wenn es um die Vorhersage von Entwicklungen bei Einzelschäden geht.
Ein Gastbeitrag von Olav Skowronnek, Geschäftsführer ACTINEO GmbH
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Das Prinzip der Vorhersagemodelle auf Basis strukturierter Daten ist in der Versicherungsbranche nicht neu. So wurde es beispielsweise bei der Festlegung von Tarifen schon immer als Kernkompetenz betrieben. Die Digitalisierung erweitert nun die Einsatzmöglichkeiten, denn sie ermöglicht es, große Datenmengen zu erfassen und zu analysieren.
Mehr und mehr bedient sich auch der Schadenbereich mathematisch-statistischer Methoden, um bestehende Datenbestände zu nutzen, beispielsweise zur Vorhersage von Kostenentwicklungen im Schadenbestand. Dabei lassen sich neue Erkenntnisse gewinnen, auch weil der Fokus auf die Vorhersage von Entwicklungen im Einzelschaden gelegt wird. Um dies in verschiedenen Schadensegmenten zu realisieren, muss die Streuung der Einzelwerte vergleichbarer Fallkonstellationen einbezogen werden.
Neue Ansätze mit künstlicher Intelligenz
Hierbei gilt: Je größer der Schaden, desto größer die Streuung der Werte. Damit auch bei umfangreicheren Schäden verlässlichen Aussagen gemacht werden können, setzt die Branche zunehmend neue Ansätze künstlicher Intelligenz ein. Dem steht in der Praxis jedoch häufig noch die schlechte Datenlage im Weg. Spezialisierte Dienstleister schaffen hier die geeigneten Datenstrukturen und Systemvoraussetzungen, die die Nutzung von Prädiktionsmodellen ermöglichen. Schon heute können so Personenschadendaten medizinisch codiert, anonymisiert und datenschutzkonform ausgewertet werden. Im Ergebnis lässt sich die Regulierung besser steuern, Risikoprüfung und Reserveführung erhalten eine valide Grundlage. Zudem können weitergehende Aussagen über künftige Schadenfälle getroffen werden.
Die nachfolgende Grafik zeigt die bisherige und die künftig erwartete Entwicklung in der Personenschadenregulierung:
Erste Modelle im Einsatz
Inzwischen gibt es verschiedene Modelle zur Prognose des Schmerzensgeldes bei kleineren Personenschäden sowie zur Berechnung der fiktiven Arbeitsunfähigkeitszeit (AU) von Nichterwerbstätigen. Einige davon wurden vom Kölner Dienstleister für medizinisch Regulierungsunterstützung Actineo gebaut.
Diese basieren auf Daten der Berichtsjahre 2014, 2015 und 2016 beteiligter Gesellschaften, zudem lagen die tatsächlichen Zahlwerte zum „Schmerzensgeld“ für die in den Berichtsjahren geschlossenen Personenschäden vor. Die Daten wurden mit den bearbeiteten Schäden abgeglichen und ergänzt. Ergebnis war ein anonymisierter Datenpool zur Entwicklung des Prognosemodells, der sowohl dem Datenschutz als auch kartellrechtlichen Überlegungen gerecht wird.
Anders als beim Schmerzensgeld war es bei der Entwicklung eines Modells zur Vorhersage der wahrscheinlichen AU-Dauer nicht notwendig, die Daten um weitere Daten der Versicherer zu ergänzen. Hier wurde anhand von 250.000 Datensätzen ein Muster kreiert, das bereits bei der Identifikation von möglicherweise eskalierenden Schäden angewendet werden kann.
Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis
Derartige Modelle unterstützen die Schadensteuerung und tragen dazu bei, dass ein Schaden wirtschaftlich fair geregelt werden kann. Darüber hinaus bilden sie die Grundlage für eine mögliche Automatisierung von Prozessen im Mengenschaden.
Der Sachbearbeiter der Versicherung erhält so wertvolle Unterstützung bei der Schadenregulierung, zum Beispiel durch die einzelfallbezogene Ausweisung eines marktgerechten Schmerzensgeldes. Über einen Abgleich der tatsächlichen AU mit der durch das Prädiktionsmodell berechneten Dauer kann er zudem erkennen, ob ein Schaden zu eskalieren droht und an welcher Stelle Interventionspunkte zu setzen sind.
Quo vadis digitaler Personenschaden?
Predictive Modelling ist theoretisch für alle Regulierungspositionen im Personenschaden einsetzbar: vom Schmerzensgeld über Heilbehandlungskosten bis zu Haushaltsführungs- oder Erwerbsschäden. Das nutzt nicht nur den Versicherern, auch der Geschädigte hat deutliche Vorteile: Er kann sicher sein, dass sein Fall nach einem einheitlichen, marktgerechten Maßstab berechnet wird und er eine faire Behandlung erfährt.
Experten sind sich einig, dass die Digitalisierung der Prozesse auch in der Versicherungswirtschaft weiter voranschreiten wird. Außerdem hält die sogenannte Dunkelverarbeitung, bei der Vorgänge nach Eingabe der Daten komplett automatisiert ablaufen, Einzug, im Personenschaden vor allem bei den kleinen Mengenschäden. In der Sparte Unfall/Schaden etwa können digitale Anwendungen für die schnelle Schadensregulierung, den Prozess beschleunigen, indem tariflich vereinbarte Standardleistungen wie beispielsweise Krankenhaustage-, Schmerzens- und Genesungsgeld sowie kleinere Invaliditäten automatisiert abgerechnet werden.
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Die Vision zielt auf eine schnelle und kosteneffiziente Bearbeitung von Mengenschäden im automatisierten Prozess ab und schärft somit den Fokus auf die komplizierten Fälle. Dabei wendet das Personenschadenmanagement der Zukunft Datenanalysen für Reserveprognosen, das Schaden-Controlling, aber auch zur Betrugsprävention an. Perspektivisch werden Mobilität und Gesundheit, Arbeits- und Privatleben in einer vernetzten Welt immer stärker zusammenwachsen – eine Entwicklung, die neue Herausforderungen für die Versicherer mit sich bringen wird.