Ich weiß, was ich nun tue, ist unanständig. Gegen einen Kollegen schießen, der soeben mit einem wichtigen Journalismuspreis geehrt wurde, gehört sich eigentlich nicht. Man kann das als grobes Foulspiel werten. Und doch will ich es hier tun. Weil ich glaube, dass die Debatte geführt werden muss. Und das betrifft nicht nur den hier Kritisierten, sondern uns alle, die in Redaktionen tätig sind. Es geht um die Vermischung von PR und Journalismus - und um Verbraucherschutz als Label, das gute Einnahmen verspricht.

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Der Journalist Hermann-Josef Tenhagen wurde erneut von einer Jury des Medium Magazins und des Fachblatts „Wirtschaftsjournalist“ zum „Wirtschaftsjournalisten des Jahres“ gewählt. Es ist bereits das dritte Mal, dass er diesen Preis bekommt. Und man kann Tenhagen bestimmte Qualitäten nicht absprechen. Er versteht es, schwierige Finanzthemen allgemeinverständlich zu erklären und damit ein großes Publikum zu erreichen. Chapeau! Das will gelernt sein.

Aber Tenhagen ist zugleich Chefredakteur des Webportals „Finanztip“. Ein „gemeinnütziger Verbraucherratgeber“ sei das, so lese ich auf der Webseite. Man stehe „zu 100 Prozent“ auf der Seite der Verbraucher. Sorry, genau daran habe ich Zweifel. Ich glaube eher, „Finanztip“ ist eine Webseite, die es hervorragend versteht, mit Verbraucherthemen Geld zu machen. Durchaus eigennützig. Finanziert auch von Versicherern und Altersvorsorge-Anbietern. Finanztip ist nicht nur ein Verbraucherportal - es ist eine PR-Maschine.

Affiliate Links - und konkrete Anbieter in Verbrauchertexten

Wer sich auf „Finanztip“ umschaut, kann tatsächlich zunächst den Eindruck gewinnen, es handle sich um ein neutrales Verbraucherportal. Es gibt verschiedene „Verbraucher-Ratgeber“, mit denen die Leser über Themen wie Geldanlage, Versicherungen und Altersvorsorge aufgeklärt wird. Vieles, was dort steht, ist gut lesbar und sachlich korrekt erklärt.

Es gibt aber auch eine andere Seite bei „Finanztip“. Diese spiegelt sich in unzähligen Affiliate-Links, die direkt in oder unter den Berater-Themen verlinkt sind. Links also, für die sich das Webportal von den Anbietern bezahlen lässt, sobald der Leser drauf klickt oder einen Vertrag abschließt. Das Heimtückische: diese Marketinglinks sind Bestandteil der Ratgeber-Texte. Dem Verbraucher werden konkrete Anbieter empfohlen, eingebettet in die Artikel. Und oft prominent hervorgehoben. Es ist bezahlte Werbung in Texten, die Aufklärung versprechen.

Zwar sind diese Affiliate Links mit Sternchen gekennzeichnet. Es macht aber schon einige Mühe herauszufinden, was dieser Stern konkret aussagt: die entsprechende Info ist ganz unten auf der Webseite zu finden. Dort heißt es: „Ein Stern* neben einem Link bedeutet, dass Finanztip vom verlinkten Anbieter möglicherweise bezahlt wird: manchmal, sobald Sie den Link klicken – oft nur dann, wenn Sie einen Vertrag abschließen“. Möglicherweise bezahlt - oder immer? In welcher Höhe? Müsste ein gemeinnütziges Portal nicht auch über die genauen Kosten aufklären, wenn der Verbraucher beim verlinkten Anbieter einen Vertrag abschließt?

Warum werden Anbieter empfohlen?

Tatsächlich scheint mir nicht immer transparent, weshalb ein konkreter Anbieter auf "Finanztip" empfohlen wird. Oft handelt es sich um ebensolche Affiliate-Zahler, wenn auch nicht ausschließlich. Das ist kein beiläufiges Problem, denn die Empfehlungen bestimmter Banken, Versicherer und Vorsorgeanbieter häufen sich auf dem Portal. Immer wieder werden auf den vermeintlichen Ratgeber-Seiten die vermeintlich besten und günstigsten Anbieter ausgewiesen, angeblich von der Redaktion ermittelt. Nur einen Klick vom Vertragsabschluss entfernt. Nach welchen Kriterien, bleibt vage.

Wer zum Beispiel auf der Webseite den „Festgeldrechner“ anklickt, wird von Finanztip direkt zu sechs Anbietern geleitet, von denen fünf für den Link zahlen. Fast alle sitzen im Ausland: Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Indien. Fast alles sind Direktbanken: Für Kunden, die eine zusätzliche Beratung in Sachen Geldanlage brauchen, kann das von Nachteil sein. Ebenfalls interessant: Der einzige Anbieter, der nicht für die Verlinkung bezahlt, wird von „Finanztip“ auch nicht verlinkt. Hier muss sich der Kunde Adresse und Informationen selbst im Netz suchen: ein Hemmnis für den Vertragsabschluss.

Grenzwertig wird es aus meiner Sicht, wenn man das Gefühl hat, dass sich diese Affiliate-Anbieter auch in den journalistischen Texten des Hermann-Josef Tenhagen finden. Dass sich also Journalismus mit PR auf einer Nachrichtenseite vermischt, ohne dass dies explizit ausgewiesen wird. Denn selbst in seinen Texten für SPIEGEL Online oder n-tv empfiehlt Tenhagen konkrete Gesellschaften, seien es Versicherer, Online-Makler oder Banken. Haben die Redaktionen das gegengelesen? Haben sie geprüft, warum genau auf diese Produktgeber verwiesen wird?

Um ein Beispiel zu nennen: In seinem sogenannten Tagesgeld-Finanztipp für "Spiegel Online" empfiehlt Tenhagen die Rabo Bank, ING Diba und ABN Rabo. Warum ausgerechnet diese Anbieter? Das geht aus dem Beitrag nicht eindeutig hervor. Zur Erinnerung: Journalisten sind verpflichtet, Werbung und Berichterstattung sauber zu trennen. Wenn sie konkrete Anbieter empfehlen, muss dies im Zweifel als Advertorial gekennzeichnet sein. Wenn ein Medienhaus Advertorials nicht kennzeichnet, kann es dafür abgemahnt werden.

400mal Check24

Mitunter führen die Empfehlungen von Tenhagen sogar zu widersprüchlichen Aussagen. Mehr als 400mal wird auf der Webseite "Finanztip" das Vergleichsportal Check24 genannt: ebenfalls ein Affiliate-Anbieter, der sich die Verlinkung etwas kosten lässt. Eine gewaltige Zahl. Das ließ sogar BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein aufhorchen und an der Unabhängigkeit des Portales zweifeln (der Versicherungsbote berichtete).

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Tatsächlich empfahl auch Tenhagen bereits in seinen Texten, Versicherungen auf Check24 zu vergleichen: etwa in einem 2015 auf "Spiegel Online" erschienenen Beitrag „Risikolebensversicherung – So schützen Häuslebauer ihre Angehörigen vor dem Ruin“. Zugleich aber warnte Tenhagen seine Leser davor, sie sollen sich "nicht von einem Makler" beraten lassen, wenn sie ihre Versicherung wechseln. Diese würden besonders hohe Provisionen verlangen. Die Pointe: Branchenkenner wissen, dass auch Check24 bzw. deren Töchter als Versicherungsmakler registriert sind. Und dass sie sich einen Vertragsabschluss gut vergüten lassen: ebenfalls mittels Provisionen. Tenhagens Leser erfahren das nicht.

Pressemeldung: "Finanztip empfiehlt: Nutzen Sie diese Portale!"

Apropos Check24: Auch in einer am 10.10.2018 an Medien verschickten Pressemeldung von Finanztip, die eigentlich eine Studie zu Telematik-Tarifen in der Autoversicherung zum Thema hat, heißt es explizit: "Finanztip empfiehlt, hierfür [den Wechsel der Kfz-Versicherung - Anm. Verfasser] entweder zwei Vergleichsportale (Check24 und Verivox) zu nutzen oder ein Vergleichsportal und zusätzlich den Rechner des Direktversicherers Huk24". Mit der eigentlichen Marktstudie zu Telematik hatte dieser Ratschlag nichts zu tun. Es ging um die Frage, wie viele Versicherer aktuell Tarife im Angebot haben, bei denen eine vorsichtige Fahrweise zu Prämienrabatten führt.

Mit Verlaub: Was hat solch ein Hinweis in einer Meldung zu suchen, die ein gemeinnütziges Verbraucherportal an Redaktionen aussendet? Es ist im Zweifel dreiste Werbung. Nicht einmal wird im Pressetext begründet, weshalb der Verbraucher auf diese Quellen zurückgreifen soll. Mehrere Regionalzeitungen haben die Empfehlung dennoch einfach übernommen. Wieder stellt sich die Frage: Warum empfiehlt "Finanztip" ausgerechnet diese drei Anbieter? Alle zahlen für einen Link auf Tenhagens Webseite.

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PR-Journalismus?

Um das Bisherige zusammenzufassen: Ich habe den Eindruck, Hermann-Josef Tenhagen versteht es gar virtuos, PR mit Journalismus und vermeintlichen Verbraucherschutz zu verbinden. Doch wie die Empfehlungen auf "Finanztip" und in seinen Artikeln zustande kommen, bleibt intransparent und kann kaum zurückverfolgt werden. Der Versicherungsbote hat Tenhagen 2015 in einem Interview mit ebendiesen Vorwürfen konfrontiert. Seine Antworten schienen mir teils nichtssagend und ausweichend.

Tenhagen betonte, dass redaktionelle Arbeit und das Anwerben von Geldgebern bei Finanztip voneinander getrennt seien. "Welche Angebote wir empfehlen, entscheidet die Redaktion auf Basis gründlicher Recherchen und Tests – nach einem strengen Redaktionskodex, unabhängig und nur im Interesse der Verbraucher", sagte er im Interview. Der Verbraucher hat aber keine Chance, diese vermeintlich saubere Recherche nachzuvollziehen und ihre Korrektheit zu überprüfen. Wir als Fachredaktion haben es auch nicht. Vieles bleibt im Dunklen.

"Reporter ohne Grenzen" hat es als eine der größten Bedrohungen für die Pressefreiheit in Deutschland gewertet, dass Journalismus und Werbung immer mehr vermischt werden, ohne dass der Leser dies erkennen kann. Ich habe den Verdacht, dies ist in einigen Texten von Tenhagen der Fall. Und ich frage mich, wie weit das gehen darf. Ich frage mich, ob und wie "Spiegel Online", "n-tv" und all die anderen prüfen, auf welcher Grundlage er seine Empfehlungen gibt - und ob sich Werbung einschleicht.

Wenn alle im Glashaus sitzen, muss einer mit Steinen werfen

Um nicht missverstanden zu werden: Auch der Versicherungsbote ist eine werbefinanzierte Nachrichtenseite. Auch wir kennen die Konflikte, die es bedeuten kann, wenn Medien kritisch über Anzeigenkunden berichten. Etwa, wenn ein Versicherer eine Anzeige für ein neues Altersvorsorgeprodukt schaltet - und wir wenige Tage später dieses regelrecht verreißen, zum Beispiel wegen intransparenter Vertragsbedingungen. Es ist schon vorgekommen, dass ein Pressesprecher dann in der Redaktion durchgeklingelt hat und sich über die Berichterstattung beschwerte. Es ist nicht immer leicht, dann das Recht auf unabhängigen Journalismus zu verteidigen. Spätestens, wenn mehrere Firmen drohen keine Anzeigen mehr zu schalten, geht es im Zweifel um die Existenz eines Verlages.

Doch genau aus diesem Grund muss die Frage nach journalistischer Unabhängigkeit immer wieder neu gestellt werden. Je mehr sich die Medien abhängig machen vom Anzeigengeschäft, desto mehr sind sie beeinflussbar. Auch wir sind an journalistische Standards gebunden, die gut, wichtig und richtig sind. Findet sich Schleichwerbung in unseren Texten, können wir dafür abgemahnt werden. Ist ein Advertorial nicht als Advertorial gekennzeichnet, können wir abgemahnt werden. Und das ist gut so. Ein Journalismus, der seine Unabhängigkeit aufgibt, ist kein Journalismus mehr. Es ist PR.

Mit Sorge beobachte ich, dass große Medienhäuser Konzerntöchter gegründet haben, die ein Ziel haben: Journalismus und Marketing zu verbinden, möglichst unauffällig für Redaktionen und Leser. „Intelligence in Communication and Marketing“, wirbt zum Beispiel das F.A.Z. Institut und bietet „Corporate Publishing“ an. Fast täglich erhält der Versicherungsbote eine Vielzahl von Studien und Produkt-Rankings ins Mailpostfach, die aus solchen Medienhäusern kommen. Wir werden regelrecht damit zugespammt. Oft durchgeführt von privaten Marktforschern, die sich ebenfalls wie Verbraucherschützer gerieren. Oft sind diese Produktvergleiche intransparent. Oft wird nicht deutlich, warum dieser oder jener Anbieter auf den vorderen Plätzen landet. Und trotzdem - auch wir haben derartige Studien schon aufgegriffen und darüber berichtet.

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Es ist längst ein eigener Markt für vermeintlichen Verbraucherschutz entstanden, der selbst undurchsichtig ist. Darüber müssen wir reden.

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