Versicherer fordern Alkohol-Fahrsperren für alle Neuwagen
Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) fordert einen europaweit verpflichtenden Einbau sogenannter "Alkolocks“ in alle Neuwagen. Setzen sich die Versicherer mit ihrer Forderung durch, könnte europaweit kein Fahrer mehr einen Neuwagen starten, sobald er die 0,5 Promille-Grenze erreicht hat. Das Fahren ohne Sperrsystem soll zudem unter Strafe gestellt werden. Erzwingen neue technische Möglichkeiten ein neues Zeitalter der Vernunft im Straßenverkehr?
Wer betrunken Auto fährt, gefährdet Menschenleben. 231 Menschen wurden 2017 bei Alkoholunfällen im Straßenverkehr getötet, wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis) hervorgeht. Hinzu kommen zu dieser Schreckensbilanz der Unvernunft: 4.531 schwerverletzte und 28.611 verletzte Personen innerhalb der Jahresfrist. Somit geht es den Versicherern bei ihrem jüngsten Vorstoß nicht nur um Schadenvermeidung – wenngleich Personenschäden einen hohen Schadenposten der Kfz-Versicherung verursachen (der Versicherungsbote berichtete). Es geht schlicht um Menschenleben.
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Die Technik soll alkoholisierte Fahrer stoppen
Wo die Vernunft zumindest einiger Menschen aber versagt, soll nun die Technik helfen. Macht doch die Technik heutzutage möglich, was noch vor Jahren unvorstellbar schien: Fahrassistenten können mittlerweile lenken, Gas geben, bremsen. Selbstfahrende Kraftfahrzeuge sind heutzutage keine Utopie mehr und könnten bald der Alltagswelt angehören. Die jüngste Forderung der Versicherer aber betrifft nicht die (keineswegs unumstrittene) „Zukunftsmusik“ des autonomem Fahrens ohne Fahrer. Vielmehr wird gefordert, was heutzutage schon leicht durch die Technik möglich ist: Der serienmäßige Einbau eines Systems, das alkoholisierte Menschen am Starten des Fahrzeugs hindert. Setzen sich die Versicherer durch, dürfte ohne technische Manipulation bald kein Kfz-Fahrzeug mehr ab der 0,5 Promille-Grenze zu starten sein.
Dabei sind die Versicherer keineswegs die ersten, die auf sogenannte Alkolocks oder Alcolocks setzen wollen, um Verkehrsunfälle und letztendlich Verkehrstote zu verhindern. Auch die Bundesregierung nennt in ihrem Koalitionsvertrag zur 19. Legislaturperiode „moderne technische Hilfsmittel wie z. B. Alcolocks“ als Bestandteil der „Vision Zero“: Vision einer Verkehrspolitik, die keinen einzigen Verkehrstoten mehr beklagen muss. Freilich folgte auf die bloße Nennung des Hilfsmittels bisher wenig Konkretes, weswegen leicht übersehen werden konnte, dass das Wort überhaupt im Koalitionsvertrag auftaucht. Eine Arbeitsgruppe von Experten trat nun aber auf dem Verkehrsgerichtstag 2019 in Goslar (vom 23. bis 25. Januar) an, um dies zu ändern.
Der Deutsche Verkehrsgerichtstag als Ausgangspunkt einer Debatte
Dass nun der Einbau von Alkolocks überhaupt in der Öffentlichkeit diskutiert wird, begründet sich durch die Vorarbeit eines Arbeitskreises auf dem 57. Verkehrsgerichtstag in Goslar. Galt es doch, Empfehlungen für mehr Verkehrssicherheit zu erarbeiten, an denen sich der Gesetzgeber orientieren kann. Im Mittelpunkt des "Arbeitskreises Alkolock" stand hierbei die Frage, wie Menschen durch Sperrsysteme unterstützt werden könnten, die durch Trunkenheitsfahrten straffällig geworden sind.
So wurden zunächst von Dr. Don DeVol, dem Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP), in Goslar Möglichkeiten des Einsatzes von Fahrsperren vorgestellt. Unterschieden wurde hierbei zwischen der bloßen technischen Vorrichtung, dem Alkohol-Interlock-System (AI-System), und dem Alkohol-Interlock-Programm (AI-Programm). Beim AI-System handelt es sich um eine heutzutage gut machbare technische Lösung, um alkoholisierte Menschen nach Messen des Atemalkohols am Starten des Motors zu hindern. Dieses System kann auch mit einer Gesichtserkennung ausgestattet werden. Das technische System verhindert aber nur in der akuten Situation das Starten des Fahrzeugs – eine arg fatale Einschränkung, wenn man bedenkt, ein Betrunkener könnte einfach auf ein Fahrzeug ohne eingebautes AI-System ausweichen.
Vorauszusetzen ist nämlich: Nach einer Trunkenheitsfahrt gilt ein Fahrer laut Recht (und zudem mit gutem Recht) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und stellt per se ein Risiko dar. Aus diesem Grund zielt das Alkohol-Interlock-Programm (AI-Programm) auf eine langfristige Veränderung der Verhaltensweisen – und setzt nicht nur auf jenes den Start blockierende technische System, sondern auch auf eine verkehrspsychologische Betreuung.
Dass ein AI-System keineswegs die Probleme der Trunkenheitsfahrten leicht aus der Welt schafft, machte auch Prof. Dr. Jan Zopfs deutlich, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zwar kann heutzutage ein AI-System den Fahrer am Losfahren hintern, die technische Möglichkeit ist leicht gegeben. Ein ungeeigneter Kraftfahrer wird aber nicht dadurch geeignet, dass er vorübergehend ein geeignetes Kraftfahrzeug führt, welches ihm bei Trunkenheit am Losfahren hindert. Einem ungeeigneten Kraftfahrer ist nach jetzigem Rechtsstand die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach einer Sperrfrist muss er die Eignung für den Führerschein erst wieder neu nachweisen. Das begrenzt auch die Einsatzmöglichkeiten, sobald ein Fahrer durch Trunkenheit auffällig geworden ist.
Empfehlungen des „Arbeitskreises Alkolock“ den Versicherern zu milde
Die Ausführungen der Experten wurden für eine „Empfehlung“ aufgenommen, wie AI-Systeme in Zukunft eingesetzt werden könnten. So sollten die technischen Systeme für Alkohol-Interlock-Programme genutzt werden als Ergänzung zu dem bestehenden Maßnahmensystem für alkoholauffällige Kraftfahrer, damit im Akutfall Alkoholfahrten verhindert werden. Der Arbeitskreis orientierte sich an den Hinweisen des Rechtsexperten aus Mainz und vermied, die Sperren als gleichwertige Alternative zur Entziehung der Fahrerlaubnis anzupreisen. Stattdessen sollen nur bei bestimmten Situationen Alkolocks als Ersatz für einen Entzug der Fahrerlaubnis greifen –zum Beispiel im Fall einer vorläufigen Entziehung, wenn eine endgültige Prüfung der Strafmaßnahme noch nicht abgeschlossen ist.
Auch wurden vom Gesetzgeber Anreizsysteme für den freiwilligen Einbau von Alkohol-Interlock-Geräten gefordert. Einen europaweit verpflichtenden Einbau der Systeme jedoch forderte die Gruppe nur im gewerblichen Personen- und Güterverkehr, und zwar aufgrund eines „erhöhten Gefahrenpotentials“. Diese Empfehlungen aber gehen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) nicht weit genug
Versicherer fordern Alkohol-Wegfahrsperre in jedem Neuwagen und Strafen beim Ausbau
Denn die Versicherer geben einiges skeptisch gegenüber dem Arbeitskreis zu bedenken. Würde man es so handhaben wie empfohlen, wäre nur ein Einsatz von Alkohol-Interlock-Programmen in sehr kleinen Zahlen zu erwarten, man verschenke also technisches Potenzial. Bedürfen doch Alkohol-Interlock-Programme aus verfassungstechnischen Gründen der Freiwilligkeit.
Gewinnen aber lassen sich auffällig gewordene Fahrer nur durch eine Verkürzung der Sperrfrist zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis, hier greift aus Sicht der Versicherer nun ein wichtiges Kostenargument: Der Neueinbau oder spätere Wiederausbau der AI-Systeme in ältere Wagen ist teuer, viele auffällig gewordenen Fahrer werden sich ein solches System nicht leisten können. Die Lösung, die all diese Einwände aus Sicht der Versicherer überflüssig macht: Eine europaweite Einbauverpflichtung für alle Neuwagen, so dass Hersteller jedes neue Fahrzeug grundsätzlich mit solchen Systemen ausstatten müssen.
UDV-Leiter Siegfried Brockmann äußert zu der Forderung: „Wir haben, oder werden bekommen, Einbauverpflichtungen für Gurtwarner, Spurverlassenswarner, Notbremsassistenten und andere Systeme, die Unfälle reduzieren, aber teilweise geringere Potentiale haben. Warum nutzen wir nicht die vorhandene Technik zur Bekämpfung eines unserer Hauptprobleme?“ Wie konkret die Vorstellungen der Versicherer sind, wird aus aus einem weiteren Vorschlag des UDV-Leiters deutlich: Eingestellt sein sollen die Geräte europaweit auf den Gefahrengrenzwert von 0,5 Promille und damit dem Wert, der nach deutschen Recht laut § 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) als Ordnungswidrigkeit geahndet wird.
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Außerdem muss nach Vorstellung des UDV-Leiters dann das Fahren ohne Alkolock unter Strafe stehen: Hätte doch ein Fahrer, der ohne ein solches Gerät gefahren wäre, auf jeden Fall "gegen das Gesetz gehandelt und andere gefährdet", wie es in einer Presseerklärung des GDV heißt. Die Vernunft läge dann in der Hand der Technik: Wer einen Wert von 0,5 Promille überschreitet, könnte und dürfte bald keine Neufahrzeuge auf dem europäischen Markt mehr starten!