Versicherungsbote: Die Gilde der Insurtechs hat in den vergangenen Jahren mit großen Ambitionen und vielen Sprüchen für Aufmerksamkeit gesorgt. Gleichzeitig warfen die gesetzten Marktteilnehmer den jungen Hüpfern vor, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen. Wie sehen Sie die Entwicklung?

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Christian Wiens: Die Zeit der großen Sprüche ist vorbei und InsurTechs müssen sich an den Zahlen und Ergebnissen messen lassen. Und vor allem auch daran, ob sie die gesamte Kundenerfahrung besser gestalten können als die traditionellen Versicherer. Die steigenden Kundenzahlen und Zufriedenheitswerte vieler Startups spiegeln wider, dass sie bei den jungen Kunden sehr gut ankommen. Und wenn dadurch nun auch der ein oder andere “alteingesessene Versicherer” innovativer und (wieder) kundenfreundlicher wird, haben die InsurTechs doch einen guten Impuls gesetzt.

Welche Rolle werden Kooperationen in Zukunft für Insurtechs spielen, etwa mit traditionellen Versicherern?

Das lässt sich so pauschal nicht beantworten und kommt sehr auf das jeweilige Geschäftsmodell an. Generell lässt sich sagen, dass eine Partnerschaft nur auf Augenhöhe funktioniert.

Seit 2017 arbeitet Getsafe mit der Munich Re zusammen, einem der größten Rückversicherer der Welt. Welche Rolle spielt der große Partner?

Munich Re ist für uns ein leistungsstarker Partner, der es uns möglich macht, uns auf unsere Kernkompetenz zu fokussieren. Wir kümmern uns um alle Prozesse, die direkt den Kunden betreffen. Dabei ist es unser Anspruch, Versicherungen wieder greifbar und attraktiv zu machen. Kommt es zu einem Schaden, dann übernehmen wir die komplette Abwicklung - einfach und schnell per App. Die Munich Re wiederum konzentriert sich ebenfalls auf ihr Kerngeschäft, nämlich auf die Absicherung der Risiken. Dafür bekommt sie einen Teil der Versicherungsprämie. Mit diesem Geschäftsmodell sind wir extrem gut aufgestellt und sehr effizient.

Im September wurde der Verkauf Ihres Maklergeschäfts bekannt. Was waren die Beweggründe diesen Teil des Unternehmens abzustossen?

Unser Ziel ist es, Versicherungen einfach und bequem zu machen. Dazu hatten wir eine App entwickelt, mit der Kunden ihre bestehenden Versicherungsverträge alle an einem digitalen Ort verwalten konnten. Das war ein echter Mehrwert, und wir hatten nach kurzer Zeit schon über 20.000 Kunden. Aber als digitaler Makler mussten wir nach wie vor mit den langsamen, papierbasierten Prozessen traditioneller Versicherer kämpfen. Und wir wollten mehr. Wir wollten besser sein. Deshalb beschlossen wir, uns unabhängig zu machen und gründeten eine eigene Versicherung, haben eine komplett neue Technologieplattform erschaffen und das gesamte Thema aus Kundensicht massiv vereinfacht.

Getsafe ist nun auch Versicherer und bietet unter anderem eine Zahnzusatzversicherung an. Wo soll die Reise hingehen? Welche Produkte sollen folgen?

Wir bieten derzeit eine Haftpflicht- eine Zahnschutz und eine Rechtsschutzversicherung an und wachsen gerade in der jungen Zielgruppe der Versicherungseinsteiger sehr stark. Im April wird unsere Hausrat­-, Fahrrad­- und Handyversicherung verfügbar sein. Langfristig werden wir unser Leistungsportfolio um weitere Produkte erweitern, um mit unserer Zielgruppe zu wachsen. Außerdem wollen wir mit unserer App einen noch größeren Wert für unsere Kunden stiften.

Bei Ihrem Angebot sollen alle Arbeitsschritte digital erfolgen. Dabei sollen künstliche Intelligenz und Bots helfen. Was versprechen Sie sich von digitalen Helfern?

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Die digitalen Helfer sind gerade im Kundenservice ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Strategie. Darin unterscheiden wir uns von traditionellen Versicherern. Unser freundlicher Chatbot Carla steht unseren Kunden 24 Stunden am Tag zur Seite und beantwortet viele Fragen der Kunden. Mit Carla können unsere Kunden ihren Versicherungsschutz in Echtzeit verändern oder kündigen. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen eine Drohne. Dafür benötigen Sie eine spezielle Haftpflichtversicherung. Mit unserer App können Sie mit nur einem Klick ein zusätzliches Drohnenmodul hinzufügen und täglich wieder kündigen. Oder Sie können per Smartphone einen Schaden melden. Bei der Zahnschutzversicherung sind wir sogar schon einen Schritt weiter. Hier laden Sie einfach ein Foto der Rechnung hoch, die von einem Algorithmus ausgelesen und überprüft wird. Nach positiver Prüfung werden die Kosten automatisch erstattet, sodass zwischen Erfassung und Auszahlung einer Schadenregulierung weniger als 3 Minuten liegen.

"Wir unterscheiden uns darin, dass wir Versicherungen digital denken"

Versicherungsbote: Je mehr Arbeitsschritte digital abgebildet werden können, desto weniger Mitarbeiter bräuchten die Unternehmen. Wann werden diese Systeme flächendeckend bei Versicherern eingesetzt?

Christian Wiens: Wir unterscheiden uns von traditionellen Versicherern ja genau darin, dass wir Versicherungen vollständig digital und neu denken. Wenn Sie bei uns Ihre Kontonummer in der App ändern, dann geschieht das in Echtzeit - ohne umständliche Anrufe bei Ihrem Makler oder Wartezeiten bei der Bearbeitung. Wir wollen unseren Kunden eine ganz neue Versicherungserfahrung bieten, die mit langwierigen Schadensmeldungen zu bestimmten Geschäftszeiten und umständlichem Papierkram nichts am Hut hat. Dazu haben unsere Software­-Entwickler alle Prozesse in der gesamten Wertschöpfungskette hinterfragt und eine neue Technologieplattform entwickelt, die das Thema aus Kundensicht massiv vereinfacht. Bis andere Versicherungen ebenfalls so weit sind, werden sicher einige Jahre vergehen - wenn sie es aus eigener Kraft überhaupt hinbekommen

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Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung auf den Arbeitsmarkt in der Branche haben? Wie viele Arbeitsplätze sind dadurch bedroht?

Ich glaube nicht, dass durch die Digitalisierung unterm Schnitt Arbeitsplätze verloren gehen. Aber man wird andere Kompetenzen benötigen. Denken Sie an intelligente Systeme, die Ihnen helfen, online oder telefonisch einen Friseur- oder einen Arzttermin zu vereinbaren. Deshalb gibt es trotzdem noch Friseure und Arzthelfer. Aber sie haben mehr Zeit für die Kunden und Patienten vor Ort; während sich zugleich die Kunden freuen, nicht stundenlang in einer Warteschleife zu hängen. Oder denken Sie daran, wie Sie Fahrkarten oder Tickets am Automaten oder über das Smartphone kaufen. Viele Prozesse wurden durch die digitalen Möglichkeiten kundenfreundlicher; und dennoch haben wir nahezu Vollbeschäftigung in Deutschland. Was sich verändern wird, sind die Berufsbilder, die künftig noch mehr gefragt sein werden. Und da werden Software-Entwickler sicher vorne mit dabei sein.

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Die Fragen stellte Björn Bergfeld

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