Solvency II - Solvenzberichte der Versicherer finden keine Leser
Die Solvenzberichte der Versicherer werden von den Kunden kaum gelesen. Im Schnitt 33 Zugriffe monatlich zählen die Gesellschaften auf ihren Webseiten, so ergab eine Analyse des Branchenverbandes GDV. Dabei sollen die Berichte eigentlich die Öffentlichkeit informieren, wie stabil und krisenfest ein Versicherer dasteht. Der Verband fordert Reformen.
Wer eine Versicherung abschließt, der muss sich darauf verlassen können, dass der Anbieter auch langfristig alle Leistungen und Zusagen erfüllen kann. Das gilt besonders für die Lebensversicherung und die Altersvorsorge: Schließlich sehen die Verträge in der Regel Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten vor. Da wäre es verheerend, wenn der Versicherer in eine finanzielle Schieflage geriete. Wie stabil die Gesellschaften sind, darüber sollen die gesetzlich vorgeschriebenen Solvenzberichte (SFCR) die Öffentlichkeit informieren. Seit 2017 müssen die Berichte der Finanzaufsicht BaFin gemeldet werden und zudem auf den Webseiten der Versicherer veröffentlicht.
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Im Schnitt 33 Downloads im Monat
Das Problem: Leser finden die Solvenzberichte kaum, wie eine Umfrage des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zeigt. 2018 wurden die Berichte der Versicherer in den ersten vier Monaten nach Veröffentlichung ganze 11.800 mal abgerufen, so ergab eine Hochrechnung des Verbandes. Im Monatsschnitt entspricht das 33 Downloads pro Unternehmen. Wobei „Download“ ja nicht einmal heißt, dass die Texte tatsächlich gelesen werden: Man hat sie erst einmal auf dem Rechner. Ob es sich dabei um Fachpublikum handelt oder um interessierte Endkunden, kann die Statistik nicht fassen.
"Datenflut, die selbst Experten überfordert"
Das Interesse der Verbraucher an den Dokumenten tendiert also gegen Null. Oder genauer: 0,03 Prozent der 41 Millionen Haushalte haben sich im letzten Jahr informiert, was der Versicherer mit Blick auf seine Solvenz zu melden hat. Hier stimmen Aufwand und Nutzen nicht, so gibt der GDV zu bedenken.
Leicht überdurchschnittlich ist das Interesse an den Berichten der Lebensversicherer, berichtet der GDV weiter, die im Mittel rund 46mal pro Monat abgerufen werden. Die SFCR der Schaden-/Unfallversicherer kommen im Durchschnitt jeweils auf 27 Downloads. Auch die Solvenzberichte der Versicherungsgruppen erreichen nur gut 33 Abrufe pro Monat.
Der Lobbyverband fordert Reformen. So sollen die Solvenzberichte künftig aufgesplittet werden in einen kurzen, verständlichen Teil für Versicherungsnehmer sowie einen ergänzenden Datenteil für die Fachöffentlichkeit. Die aktuellen Berichte, im Schnitt 90 Seiten lang, seien hingegen für Laien kaum verständlich und zu technisch.
Götz Treber, Leiter Finanzregulierung beim GDV, kommentiert: "Transparenz ist die Grundlage für eine funktionierende Versicherungsaufsicht und das Vertrauen der Kunden in die Branche. Die Solvenzberichte unter Solvency II werden diesem Transparenzanspruch jedoch nicht gerecht, sondern liefern eine Datenflut, die selbst Experten überfordert".
Aufwand nach Ansicht der Versicherer unverhältnismäßig
Erneut beklagt der Verband auch den hohen Aufwand, den die Solvenzberichte den Versicherern erzeugen. Am konkreten Beispiel: Ein kleiner Sachversicherer habe 160 Personenarbeitstage gebraucht, um das Dokument fertigzustellen. Heruntergeladen wurde es im ersten Halbjahr 2018 von lediglich 70 Personen. Hierzu sei angemerkt, dass die Berichte vor allem auch der BaFin einen Einblick gestatten sollen, wie gut die Versicherer finanziell aufgestellt sind und welche Risiken ihre Geschäftsmodelle bergen: auch deshalb die geforderte Detailgenauigkeit.
Am Beispiel einer weiteren Versicherungsgruppe, deren Namen ebenfalls ungenannt bleibt, verdeutlicht der GDV den hohen Aufwand mit Blick auf die Frequenz der Berichterstattung. Der Versicherer habe im Vorjahr alle zweieinhalb Wochen eine Meldung an die Aufsichtsbehörde übermitteln müssen, beklagt der Verband. So umfasse die Meldepflicht zum Beispiel vier Quartalsmeldungen, eine Jahresmeldung sowie jährliche und vierteljährliche Meldungen zum Zwecke der Finanzstabilität. Eine weitere Zahl: Ein Lebensversicherer müsse im Jahr rund 150.000 quantitative Angaben an die Finanzaufsicht melden, verteilt auf circa 70 Berichtsbögen (QRTs).
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Bereits 2017 gaben 94 Prozent der deutschen Versicherer in einer Verbandsumfrage an, dass sie die bestehenden Berichtspflichten für unverhältnismäßig hoch halten, berichtet der Verband weiter. Er fordert Korrekturen. Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA evaluiert aktuell, ob sich die Berichte für das Aufsichtsregime Solvency II bewährt haben, Veränderungen könnten dann EU-weit angeschoben werden. Ergebnisse der "Review 2020" werden spätestens im kommenden Jahr erwartet.