Spätestens im Herbst 2017 wurde erstmals deutlich, dass die neue Wirtschaftsmacht China auch für die Allianz relevant sein kann, und zwar nicht nur mit Blick auf Absatzchancen. Da berichtete die „Süddeutsche Zeitung“, dass sich Europas größter Versicherer im Visier des Milliardärs Chen Feng und dessen HNA Group befindet.

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Chen habe beim Management der Allianz angefragt, ob ein Einstieg als Ankeraktionär, ja sogar als Mehrheitseigentümer denkbar sei. Der chinesische Investor hätte dann die Strategie der Münchener mitbestimmen können. Ein unrealistischer Vorstoß? Mitnichten. Wenige Monate zuvor hatte sich die HNA-Gruppe für 3,4 Milliarden Euro bei der Deutschen Bank als Mehrheitsaktionär eingekauft. Und es ist nicht die erste Beteiligung in Europa, die für Aufsehen sorgte.

Der chinesische Investment-Star kaufte sich zuvor unter anderem bei Aigle Azur ein, Frankreichs zweitgrößter Fluggesellschaft, sowie beim Flugzeug-Instandhalter SR Technics, wo er mittlerweile den Großteil der Aktien besitzt. Ihm gehören Flugplätze, Hotels, Immobilien- und Finanzunternehmen weltweit. Die Schattenseiten sind ein undurchsichtiges Firmengeflecht und Schulden von geschätzt 75 bis 100 Milliarden Dollar. Doch wie kaum ein anderes Unternehmen steht die HNA Group für den neuen Hunger Chinas, sich an die Spitze der Weltwirtschaft zu katapultieren.

“Sonderdeal — das machen wir nicht!“

Die Spekulationen über einen Einstieg der HNA-Gruppe eröffnen nun auch ein Interview, das Allianz-Chef Oliver Bäte dem „Handelsblatt“ gegeben hat (Montag). Und es ist ein Gespräch, in dem die wachsende Bedeutung Chinas einen großen Raum einnimmt.

Bäte dementiert nicht, dass es damals einen entsprechenden Vorstoß der HNA Group gegeben hat, sondern bestätigt es indirekt. Immer wieder mal würden Investoren anklopfen, das sei super. „Meistens wollen diese Investoren jedoch einen Sonderdeal – und genau das machen wir nicht. Also, insofern war das nichts Besonderes vor knapp zwei Jahren“, sagt Bäte. Stattdessen könne man die Aktie der Allianz am Aktienmarkt kaufen. „Der Staatsfonds China Investment Cooperation ist beispielsweise ein wichtiger Investor – und über den freuen wir uns sehr“.

Auch das Engagement eines sogenannten Ankeraktionärs bei der Allianz sieht Bäte kritisch — eines Aktionärs also, der groß genug ist, um wichtige Entscheidungen im Unternehmen mitzutreffen. Er würde eine Gruppe großer Aktionäre bevorzugen, „die dauerhaft im Unternehmen investiert bleibt“. Aber das habe sich in der Vergangenheit nicht als nachhaltig herausgestellt und sei auch nicht wirklich notwendig, so Bäte.

Die Aktien der Allianz befinden sich fast ausschließlich im Streubesitz, davon allein in Deutschland mehr als 536.000 private Investoren, die gemeinsam fast ein Drittel des ausgegebenen Grundkapitals halten.

Europa verschläft Entwicklung

Der Investment-Hunger Chinas lässt in dem Interview indirekt die Frage aufkommen, wie sich die EU und die deutsche Wirtschaft in der Industriepolitik künftig positionieren sollen. So will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lieber große Konzerne in Schlüsselindustrien teilverstaatlichen, bevor sie in die Hände ausländischer Investoren fallen: zum Beispiel, wenn es sich um nicht demokratische Staaten handelt und deutsche Interessen gefährdet werden könnten. Diese "Notfalloption" hatte Altmaier Anfang Februar in Berlin v0r Pressevertretern ins Gespräch gebracht, wenn auch als letzte Möglichkeit.

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Oliver Bäte fordert ein anderes Konzept: eine gemeinsame Industriestrategie für Europa, um nicht ins Hintertreffen zu geraten gegenüber großen Volkswirtschaften wie den USA und China. Bäte wortwörtlich: "Jedes große Land in Übersee stellt sich die Fragen, wo geht die Wirtschaft in 20 Jahren hin, was sind die fünf, sechs Schlüsselindustrien, und wie stellen wir sicher, dass wir da ganz vorne mitspielen.“ Diese Industrien würden gezielt gefördert. Europa verhalte sich hier naiv und abwartend: so gefährde man Wohlstand und Verhandlungsmacht.

China: Wachstumsmarkt mit Hindernissen

Trotz kriselndem Wirtschaftswachstum in China sieht Bäte im Land der Mitte weiterhin einen der wichtigsten Wachstumsmärkte auch für ausländische Unternehmen, wie aus seinen Ausführungen deutlich wird. China hat sich ausländischen Investoren gegenüber geöffnet, will nun auch Mehrheitsübernahmen zulassen, wie der Interviewer ausführt.

Die Allianz ist hier vorne mit dabei. Als erste ausländische Assekuranz dürfen die Münchener in China eine Holding gründen, an der kein heimisches Unternehmen beteiligt ist, so teilte der Versicherer im November des letzten Jahres mit. Ein Milliardenmarkt: Allein in den ersten drei Quartalen 2018 stiegt der Umsatz mit Lebensversicherungen auf dem chinesischen Markt um 28 Prozent auf 70 Milliarden Euro. Folglich hatte Oliver Bäte die Erlaubnis der chinesischen Finanzaufsicht als "signifikanten Meilenstein" gepriesen.

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Gegründet werden soll die China Holding im Laufe des Jahres. Speziell den Altersvorsorge-Markt hat Bäte im Blick: Es gäbe in China keine Rentenversicherung und keine private Absicherung, erklärt der Allianz-Chef nun dem "Handelsblatt". Allein Sparprodukte seien verbreitet. "Unsere Vermutung ist, dass genau dieses Know-how, das wir in Deutschland sehr stark haben, also Rentenversicherung und betriebliche Altersvorsorge, sehr attraktiv für chinesische Konsumenten sein kann", so Bäte.

Versicherungsmarkt in der Hand einheimischer Versicherer

Dennoch gestaltet sich das China-Geschäft der Münchener bisher schwierig. Zwar ist die Allianz auf dem Markt mit Versicherungsprodukten vertreten, aber dort eine sehr kleine Nummer. Bei der Tochter Allianz China Life ist der staatseigene Finanzriese CITIC Group mit im Boot. Rund 2.000 Mitarbeiter beschäftigt die Allianz nach eigenen Angaben aktuell in China. Die Allianz hält an dem Gemeinschaftsunternehmen 51 Prozent, Citic besitzt 49 Prozent.

In Taiwan erlitten die Münchener sogar eine Bruchlandung. Rund 78.000 Policen mit einem garantierten Zinssatz von 4 Prozent oder höher verkaufte die Tochter Allianz Taiwan Life an die China Life, zweitgrößter Versicherer in Ostasien. Auf den Policen lasteten Deckungsrückstellungen von 1,2 Milliarden Euro.

Der chinesische Versicherungsmarkt sei sehr speziell und der Anteil ausländischer Unternehmen mache bisher nur rund zwei Prozent aus, erklärt Bäte in dem "Handelsblatt"-Interview nun zu den Starthindernissen. Nur die zwei größten Versicherer könnten ihre Kapitalkosten decken. "Wer nicht über die Daten verfügt und kein Netzwerk hat, der verdient kaum Geld", so sein Fazit.

Deshalb setzt die Allianz in China erst einmal darauf, über Umwege dieses Netzwerk aufzubauen: Zum Beispiel über die Partnerschaft mit dem Plattformbetreiber JD.com, der bereits mehr als 300 Millionen Kunden erreicht. Der Internet-Händler ist schon jetzt einer der größten IT-Konzerne der Welt und verfügt dank seiner Verkaufsplattformen über eine immense Zahl an Kundendaten. Wobei der Weg eher umgedreht war: für die digitale Partnerschaft hat sich JD.com mit 85 Millionen Euro beim Sachversicherer der Allianz in China eingekauft. Über die Webkanäle des Online-Hauses können die Münchener unter anderem Versicherungen für Smartphones vertreiben. Hier habe man sich bei der jetzigen Joint-Venture-Tochter ein Konsolidierungsrecht für die Mehrheit gesichert, berichtet Bäte.

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Welch Potential in China schlummert, zeigt ein Ranking des Londoner Marktforschers Kantar Millward Brown, der die wertvollsten Versicherungsmarken der Welt kürte. Auf den ersten Plätzen sind drei chinesische Assekuranzen: Ping An, China Life und AIA. Die Allianz platziert sich auf Rang fünf der wertvollsten Versicherer.

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