Rechnet die Ergo Vorsorge Leben ihre Finanzstärke schön?
Ist die Ergo Vorsorge Leben weniger gut mit Kapital ausgestattet, als sie selbst in den verpflichtenden Solvenzberichten ausweist? Diesen Vorwurf erheben der Bund der Versicherten (BdV) und Analyst Carsten Zielke in Richtung der Düsseldorfer. So weise die Ergo in den gesetzlich vorgeschriebenen Solvenzberichten Gelder als eigene aus, die eigentlich den Kunden gehören, um die Finanzstärke aufzuhübschen. Der Konzern wehrt sich.
Es sind durchaus brisante Vorwürfe, die der Bund der Versicherten (BdV) und Analyst Carsten Zielke in Richtung der Ergo erheben. Sie haben sich die aktuellen Solvenzberichte der Versicherer angeschaut, auch als SFCR-Berichte bekannt. Jene Dokumente also, mit denen die Gesellschaften nachweisen sollen, dass sie genug Eigenmittel haben, um die Garantien der Kunden auch langfristig zu erfüllen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wacht über diese Zahlen. Steht ein Versicherer auf wackeligen Beinen, muss er einen Krisenplan vorlegen, wie er die Situation verbessern will. Die BaFin kann ihm dann Auflagen aufbrummen.
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Bei der Ergo Vorsorge Leben sind dem Analysten Carsten Zielke, der sein eigenes Beratungs- und Analysehaus betreibt (Zielke Research Consult), vermeintliche Ungereimtheiten aufgefallen. Er hat den Solvenzbericht mit einem anderen verpflichtenden Dokument verglichen: jenen Bilanzzahlen, die die Konzerne laut Handelsgesetzbuch (HGB) ausweisen müssen. Auch hierfür ist ein gesetzlicher Standard der Berechnung vorgeschrieben. Im Jahr 2017 aber klafft bei den Düsseldorfern eine Lücke. „Es geht um etwa 200 Millionen Euro, die der Ergo Vorsorge Leben unter Solvency II an Eigenmitteln fehlen“, erklärt Zielke.
Wem gehören welche Gelder?
Konkret hatte Zielke festgestellt, dass der Wert der fondsgebundenen Lebensversicherungen im SFCR-Bericht um 13 Prozent geringer angegeben wurde als im Bilanzstandard nach Handelsgesetzbuch. Keine Kleinigkeit, denn damit würde die Ergo kleinrechnen, was sie dem Kunden schuldet. Die Differenz, circa 200 Millionen Euro, stehe eigentlich den Sparern zu. Aber laut dem Analysten weise die Ergo nun diese Gelder als Eigenkapital des Konzerns aus.
„Die Vorsorge Leben tut so, als würden 13 Prozent der Kundenguthaben eigentlich dem Unternehmen gehören“, erläutert Zielke. „Dieses Geld gehört aber den Kunden." Damit stehe die Ergo auch weit weniger souverän da, als sie es darstelle, ergänzt BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein. Denn das Unternehmen verfüge über keine anderen Eigenmittel, um dies ausgleichen zu können. „Ohne diese indirekte Enteignung der Kundinnen und Kunden könnte die Vorsorge Leben anscheinend nicht genug Solvenzmittel vorweisen“, so Kleinlein.
Zielke ergänzt: So gehören bei fondsgebundenen Leben-Verträgen die dazugehörigen Aktiva den Versicherten direkt. Die Kundschaft trage sowohl die Chancen wie auch die Risiken der Kapitalanlagen. Folglich müssten auch die Verpflichtungen, bis auf kleinere Differenzen, wenigstens genauso hoch angesetzt werden. Hier erlaube die Berichterstattung nach Solvency II mehr Freiheiten als die Bilanzregeln nach dem Handelsgesetzbuch: eine Regelungslücke, von der die Ergo-Tochter nun Gebrauch mache.
Als Konsequenz verfüge die Ergo Vorsorge Leben nur über 97,5 Millionen Euro an Eigenmitteln, so dass die Kundinnen und Kunden die gesamte Solvenz schultern müssen: zu ihrem Schaden. Immerhin gibt es noch eine mächtige Konzernmutter im Rücken. „Bei einer marktgerechten Bewertung müsste die Münchener Rück knapp 200 Mio. € nachschießen“, erklärt Zielke.
Ergo weist Vorwürfe zurück
Die Ergo freilich will diese schweren Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen und hat gegenüber mehreren Medien bereits Stellung bezogen. Dabei zeigte sich der Versicherer erstaunt ob der Vorwürfe. Und kontert: Die Analysten würden Äpfel mit Birnen vergleichen.
Man halte sich sowohl bei der Solvenz- als auch Bilanzberechnung an die aufsichtsrechtlichen Regeln, betont der Versicherer gegenüber procontra-online.de. Aber ein Vergleich der Zahlen sei gar nicht möglich. Eventuelle Abweichungen würden dabei aus verschiedenen Berechnungsvorgaben resultieren:
So schreibe das Handelsgesetzbuch vor, auf der Aktivseite den Marktwert der Vermögenswerte für Index und fondsgebundene Verträge zu einem bestimmten Stichtag auszuweisen, in diesem Fall der 31.12.2017. Dem entgegen würden bei den Solvency-II-Berichten die versicherungstechnischen Rückstellungen barwertig nach dem „Best Estimate Liability“-Ansatz errechnet. Das heißt stark vereinfacht, man rechnet für einen bestimmten Prognosezeitraum auch Annahmen mit ein, wie sich die Sterblichkeit in der Zeit entwickelt, ob die Kundinnen und Kunden sich das Geld per Einmalzahlung oder Rente auszahlen lassen, wie viele Verträge storniert werden etc.
“Während in HGB die Aufteilung zwischen fondsgebundener und konventioneller Deckungsrückstellung sich nach den Verhältnissen zum Bilanzstichtag bemisst, diskontiert man unter Solvency II die künftige Aufteilung zwischen fondsgebundenen und nicht fondsgebundenen Bestandteilen der Verträge im Verlauf der gesamten Projektionszeit auf den Bilanzstichtag zurück“, sagte der Sprecher Procontra. Die Ergo habe eine überdurchschnittliche Solvenz von 255 Prozent, Kundengelder seien nicht gefährdet.
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Fakt ist: Auch dieses Beispiel zeigt wieder, dass es für Kundinnen und Kunden der Lebensversicherer schwer möglich ist zu durchschauen, wie die eigenen Gelder eingesetzt und bewertet werden. Selbst der Branchenverband GDV hat angeregt, die Solvenzberichte zu vereinfachen, damit sie auch die Altersvorsorge-Sparer lesen können. Denn bisher besteht von Verbraucherseite kein Interesse an den Dokumenten: Im Schnitt werden sie pro Versicherer 33mal im Monat heruntergeladen (der Versicherungsbote berichtete).