Studie stellt Versicherern schlechte Noten bei Prozessqualität aus
„Prozessqualität“ und „Prozessoptimierung“ – hinter den technisch wirkenden Begriffen verbergen sich für die Branche viele Herausforderungen, die direkt den Vermittler- und Makler-Alltag betreffen. Geht es doch um standardisierte Verfahren und um technisches Rüstzeug, damit der Austausch, das Erfassen und die Auswertung von Informationen in einem hochkomplexen digitalisierten Umfeld überhaupt möglich bleibt.
- Studie stellt Versicherern schlechte Noten bei Prozessqualität aus
- Fazit: Lösungen mit dem Vermittler entwickeln!
Folgt man aber einer Studie des IT-Experten softfair, erreichen viele Versicherungsunternehmen keine gute Prozessqualität und entwickeln Prozesse an den Bedürfnissen der Vermittler vorbei. Gerade einmal ein „Ausreichend“ ist für viele Versicherungsunternehmen in verschiedenen Versicherungszweigen drin. Der Versicherungsbote hat sich Ergebnisse einer Studie angesehen, die eigentlich zur Vergabe eines „Prozess-Siegels“ gedacht war, sich aber zu einem äußerst kritischen Branchen-Spiegel entwickelte.
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"Der Prozess schlägt das Produkt"
Für den Vermittler-Alltag gilt: Eine Vielzahl verschiedener Daten und Informationen muss aufgenommen und ausgewertet, gespeichert, muss weiterverarbeitet werden. Oft sind viele Informationen zu verschiedenen Anbietern und zu komplexen Produkten notwendig, hinzu kommen Daten der Kunden – an der Schnittstelle zwischen Versicherungsunternehmen und Vermittler finden ständig umfangreiche Austauschprozesse statt.
Eine Schlüsselrolle spielt für derartige Aufgaben mittlerweile die „Prozessoptimierung“ durch digitales Rüstzeug – denn ein standardisierter Austausch der Daten und eine Automatisierung der Prozesse durch technische Services und Produkte kann die Vermittlerarbeit wesentlich erleichtern. Mehr noch: Eine gute technische Ausstattung und ein qualitativ hochwertiges Prozess-Management sind in Zeiten zunehmender Digitalisierung sogar Grundbedingungen des Geschäfts. "Der Prozess schlägt das Produkt", diese mittlerweile viel zitierte Formel (zum Beispiel hier) pointiert die Notwendigkeit zur Prozessoptimierung perfekt.
Was aber leisten Versicherungsunternehmen diesbezüglich für den Vertriebspartner, der doch für den Absatz der Versicherungen – so genannte "Push-Produkte" mit Vermittlungsbedarf – so wichtig ist? Und wie halten es Versicherer mit der konkreten Umsetzung gewisser Normen und Standards ... wie zum Beispiel den BiPRO-Normen der Versicherungs- und Finanzwirtschaft, die überhaupt erst einen einheitlichen Austausch von Daten und Informationen in der Branche ermöglichen? Zu dieser Frage führte der IT-Dienstleister softfair Anfang des Jahres eine umfängliche Studie durch.
Ein besonderes Rating untersucht Vermittler- statt Kundenbedürfnisse
Zur Vergabe eines „Prozess-Siegels“ wollte softfair Services und Prozesse der Versicherungsunternehmen untersuchen. Anders als bei vielen „klassischen Ratings“ standen dieses Mal demnach nicht die Versicherungsprodukte und damit die Kundenbedürfnisse im Fokus des Interesses, sondern Bedürfnisse des Vertriebs gaben die Orientierung vor. Ein gelungener Prozess in diesem Sinne wirkt unterstützend für die Vermittler-Arbeit. Durch schnellen und zuverlässigen Austausch verschiedenster Informationen und durch schnelle Reaktionszeiten auch auf Versicherungs- oder Störfälle (zum Beispiel einen Inkasso-Störfall beim Kunden) profitieren aber auch Versicherer und Kunden von einer guten Prozessqualität.
Softfair hat die Expertise für eine solche Prozess-Studie quasi „im Haus“: Gilt der Dienstleister, der in 2017 vom Maklerpool Fonds Finanz übernommen wurde, doch als einer der größten Anbieter von Verwaltungs- und Vergleichsprogrammen für Versicherungsvermittler. Zugleich spezialisierte sich ein eigener softfair- Unternehmenszweig auf Versicherungsratings und -analysen. Was lag da näher, als beide Kompetenzen für ein umfangreiches Prozessrating zusammenzuführen?
Als Ergebnis der Studie sei aber vorweggenommen: Das „Prozess-Siegel“ entpuppte sich zu großen Teilen als Spiegel der Branche, der doch ein recht kritisches Bild zurückwirft. Christoph Dittrich, Mitglied der softfair-Geschäftsleitung, sah sich deswegen gegenüber dem Versicherungsboten sogar zu einer Feststellung gezwungen: Es gehe den Machern der Studie nicht um „Streit mit der Branche“, sondern darum, konkrete Empfehlungen „für die Priorisierung der stets knappen IT-Ressourcen“ zu geben. Stecken doch selbst jene Versicherer, die schlechte Ergebnisse im Test zeigten, oft sehr viel Geld in Services und Produkte – und entwickeln Prozesse dennoch an den Bedürfnissen der Vermittlerarbeit vorbei.
softfair-"Prozess-Siegel": Was wurde gemacht?
Die durch Versicherungsunternehmen geleistete (oder auch nicht geleistete) Prozessqualität sollte für neun Versicherungszweige bzw. -Bereiche getrennt erfasst werden:
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1.) Private Voll- und Zusatzkrankenversicherung
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2.) Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherung
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3.) Private Altersvorsorge
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4.) Betriebliche Altersvorsorge
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5.) Privat- und Tierhalterhaftpflicht
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6.) Hausrat- und Wohngebäudeversicherung
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7.) Unfallversicherung
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8.) Rechtsschutzversicherung
- 9.) Kraftfahrzeugversicherung
Für jeden der Zweige wurde hierzu ein eigener Anforderungskatalog definiert. Den Schwerpunkt der Analyse bildeten Kriterien, die einen konkreten Bezug auf Prozesse und auf deren technische Umsetzung herstellten und die häufig für traditionelle Ratings nicht bedacht werden. Um ein Beispiel für die Private Voll- und Zusatzkrankenversicherung zu nennen:
Bereits neun von 25 Anforderungskriterien bezogen sich auf die Bereitstellung von Webservices durch ein Versicherungsunternehmen, diese müssen zum Beispiel eine Daten- und Informationsübertragung und Weiterverarbeitung nach gewissen Standards gewährleisten (zum Beispiel nach BiPro Norm 430 für die Krankenversicherung). Die Webservices müssen hierzu verschiedene Funktionen erfüllen, wie zum Beispiel die periodische Übermittlung eines Änderungsbestands für vertragsbezogenen Daten und Dokumente. Auch flossen Dinge wie die Unterzeichnung eines Softwareüberlassungsvertrags oder die Verfügbarkeit eines technischen Ansprechpartners ins Rating ein.
Zwischen 24 und 27 Anforderungen je Versicherungszweig führten zur Vergabe von Punkten. Die Anforderungen wurden jedoch nicht gleich gewichtet, sondern die maximal zu erreichenden Punktzahl unterschied sich für jeden Unterpunkt des Anforderungskatalogs. So wurden gering gewichtete Kriterien mit nur zwei Punkten bedacht (zum Beispiel das Zur-Verfügung-Stellen und Liefern von Testfällen für angebundene Produkte und Tarife). Stark gewichtete Kriterien brachten für die Bewertung jedoch sieben oder gar acht zu erreichende Punkte ein (z.B. das Bereitstellen eines Webservice, der unter bestimmten Standards zur einmaligen oder periodischen Übermittlung eines Stichtagsbestandes dient).
In der Summe führten die Punkte aller Anforderungskriterien zur Gesamtpunktzahl und damit zu einer Endnote. Maximal waren für jeden Versicherungszweig 100 Punkte als bestes Ergebnis für ein Versicherungsunternehmen möglich. Die Punkte wurden in einem zweiten Schritt in Noten (von "mangelhaft" bis "hervorragend") übersetzt. Ergebnisse wurden für jeden Versicherungszweig getrennt erhoben und erscheinen demnach in neun Teilratings, so dass ein Versicherer mehrfach mit unterschiedlicher Prozessqualität in verschiedenen Zweigen erscheinen kann.
Die Ergebnisse: „Prozess-Siegel“ wird zum kritischen Branchen-Spiegel
Folgt man den Testergebnissen, dann bieten viele Versicherer keine gute Unterstützung für Vermittler bei der Prozessqualität und lassen aufgrund schlecht abgestimmter Prozesse die Vermittler im sprichwörtlichen Regen stehen – mit einem teuren, aber arg löchrigen Schirm als unterstützende Ausstattung. Denn viele Versicherungsunternehmen sind zwar durchaus gewillt, Unterstützung zu leisten – die Studienmacher heben mehrfach hervor, dass es nicht am gutem Willen der Unternehmen mangelt. Auch lassen die Unternehmen sich ihr technisches Instrumentarium einiges kosten. Jedoch: Erreicht wird nicht, was erreicht werden soll oder muss.
Gesamtstudie: 177 mal "ausreichend", 13 mal "mangelhaft"
Die Studienmacher pointieren im Vorwort zu ihrer Analyse: „Häufig erleben wir in der Praxis, dass mit hohem Zeit- und Kosteneinsatz von Versicherungsgesellschaften entwickelte Services und Produkte an den eigentlichen Bedürfnissen des Partners vorbei entwickelt wurden und die Ergebnisse (Prozesse/Produkte) in der Folge im Maklermarkt kaum Akzeptanz finden.“ Zwar gilt ein solches Fazit nicht für alle Unternehmensergebnisse innerhalb bestimmter Versicherungszweige – zwei mal wurde sogar ein "Hervorragend" vergeben (beide Male für die Rhion Versicherung AG in den Bereichen Privat- und Tierhalterhaftpflicht sowie Unfallversicherung). Auch brachte die gesamte Studie in der Summe 49 "sehr gute" Testergebnisse. Und dennoch fällt die Bilanz des Gesamtfeldes der Unternehmen insbesondere für folgende fünf Zweige äußerst ernüchternd aus:
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- Bei der Privaten Voll- und Zusatzkrankenversicherung erhalten von 34 getesteten Versicherern zwar fünf Versicherer ein „Gut“, jedoch: 22 Versicherer erhalten nur ein „Ausreichend“, sieben Versicherer gar nur ein „Mangelhaft“.
- Bei der Privat- und Tierhalterhaftpflicht erhält zwar ein Versicherer der 73 getesteten Versicherer sogar ein „Hervorragend“ und erhalten neun Versicherer ein „Sehr gut“ sowie 25 Versicherer ein „Gut“, jedoch: 36 Versicherer erreichen nur ein „ausreichend“, zwei erreichen gar nur ein „Mangelhaft“.
- Bei der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung erhalten zwar sechs der 65 getesteten Versicherer ein „Sehr gut“ sowie 20 Versicherer ein „Gut“, jedoch: 37 Versicherer erreichen nur ein „Ausreichend“, zwei Versicherer gar nur ein „Mangelhaft“.
- Bei der Unfallversicherung erhält zwar ein Versicherer der 54 getesteten Versicherer ein „Hervorragend“ und erhalten zwei Versicherer ein „Sehr gut“ sowie 12 Versicherer ein „Gut“, jedoch: 38 Versicherer erreichen nur ein „Ausreichend“, ein Versicherer erhält ein „Mangelhaft“.
- Bei der Rechtsschutzversicherung erreichen zwar zwei der 34 getesteten Versicherer ein „Sehr gut“ und erreichen acht der Versicherer ein „Gut“, jedoch: 23 Versicherer erreichen nur ein „Ausreichend“, ein Versicherer ein „Mangelhaft“.
Eine große Zahl an Versicherungsunternehmen bringt es in bestimmten Bereichen demnach gerade einmal zu einer "ausreichenden" Prozessqualität. Die Häufigkeit der Note "Ausreichend" über alle neun Zweige hinweg spricht umso mehr Bände: 177 mal mussten die Tester ein "Ausreichend" in der gesamten Studie vergeben. Dreizehn Mal hagelte es sogar ein "Mangelhaft" für die Prozessqualität eines Unternehmens innerhalb eines bestimmten Versicherungszweigs.
Fazit: Lösungen mit dem Vermittler entwickeln!
Was aber ist bei derartigen Testergebnissen zu tun? Bessere Unterstützung bei den Prozessen durch die Versicherungsunternehmen und damit auch eine größere Akzeptanz durch den Maklermarkt setzt im Grunde einen ersten notwendigen Schritt voraus: Mit dem Partner (und damit dem Vermittler und Makler) statt an dessen Bedürfnissen vorbei Lösungen der Prozessoptimierung zu entwickeln. Und hier schafft die Studie eine wichtige Erkenntnis: Es gibt noch viel Handlungsbedarf an der Schnittstelle von Versicherungsunternehmen und Vermittlern!
Hintergrund: Dem Rating zum softfair-Prozess-Siegel 2019 liegt eine ausführliche Auswertung von Daten zugrunde, über die das Unternehmen durch seine Tätigkeit als IT- und Ratingexperte verfügt. Obwohl bei gutem Abschneiden auch ein Qualitätssiegel durch die Versicherer kostenpflichtig erworben werden kann, verfolgt der Test nach Eigenaussage von softfair keine finanziellen Interessen. Stattdessen will das Unternehmen im Interesse der eigenen Kundschaft die Prozessqualität verbessern (und damit im Interesse von Vermittlern, die IT-Lösungen von softfair zur Prozessoptimierung nutzen).
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Ein indirektes finanzielles Interesse freilich liegt dennoch auf der Hand: Der IT-Experte will auch die eigenen Expertise (und damit letztendlich die eigenen Produkte) bewerben – denn wenn schlechte Rating-Ergebnisse einen Bedarf signalisieren, hat das Unternehmen die passenden Produkte bei der Hand. Ein solches Interesse hinter Testergebnissen aber ist legitim und ist zudem bei Branchenratings keine Seltenheit ... und sollte dennoch bei expliziter Zurückweisung finanzieller Interessen nicht übersehen werden.
Das Unternehmen hat eine Dokumentation ausgewählter Methoden ihres "Prozess-Siegels" und eine Tabelle mit allen Gesamtergebnissen der Versicherer öffentlich verfügbar gemacht. In dem Dokumentations-Dokument erfolgt aber auch der Hinweis: Weitere Details der Bewertung sind ausschließlich vom jeweiligen Versicherer einsehbar, und zwar in einem geschlossenen Online-Bereich.
- Studie stellt Versicherern schlechte Noten bei Prozessqualität aus
- Fazit: Lösungen mit dem Vermittler entwickeln!