Beamte gesetzlich krankenversichern? Bayern schießt gegen Wahlfreiheit
Sollen sich Beamte auch gesetzlich versichern können und dann eine Pauschale zum Krankenkassen-Beitrag erhalten? Die Bayerische Landesregierung lehnt dieses Modell radikal ab. Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) befürchtet „unkalkulierbare Mehrkosten für den Staat“ — auch wenn er Zahlen hierfür schuldig bleibt.
Wahlfreiheit — oder unkalkulierbares Kostenrisiko? Seit dem 1. August 2018 können sich Beamte in Hamburg gesetzlich versichern und erhalten eine Pauschale zur gesetzlichen Krankenversicherung ausgezahlt. Damit will Hamburg erreichen, dass die Beamten frei wählen können, ob sie sich privat oder gesetzlich versichern.
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Der Hintergrund: Bisher lohnte es sich für Beamte kaum, einer Krankenkasse beizutreten: Sie mussten dann Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil allein stemmen. Wenn sie sich privat versichern, erstattet ihnen der Dienstherr hingegen 50-70 Prozent der Gesundheitskosten als Beihilfe. Das Geld kommt direkt vom Steuerzahler.
Bayerns Finanzminister: „unkalkulierbares Kostenrisiko“
Während mehrere Bundesländer dem Hamburger Modell folgen wollen, unter anderem planen Thüringen, Brandenburg, Bremen und Berlin eine ähnliche Pauschale, kommt nun aus Bayern eine deftige Abfuhr. Dort hat sich der Bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU) gegen die Wahlfreiheit ausgesprochen. Das Hamburger Modell sei „mit unkalkulierbaren Haushaltsmehrbelastungen für den Staat verbunden“, sagte der frühere Landwirt der „Augsburger Allgemeinen“ am Dienstag. Zahlen nennt Füracker für seine These nicht.
Das Argument überrascht — waren doch gerade die hohen Beihilfe-Zahlungen ein Grund für Hamburg, nach Alternativen zum Status Quo zu suchen. Denn Bund und Länder müssen seit Jahren steigende Beihilfen erstatten. Allein der Bund gab im Jahr 2018 nach vorläufigen Zahlen 10,279 Milliarden Euro für Beihilfen und die Gesundheitsversorgung von Beamten und Pensionären aus, wie aus Zahlen des Bundesfinanzministeriums hervorgeht: 736 Millionen Euro bzw. 7,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Hier sind die Ausgaben der Bundesländer noch gar nicht eingerechnet.
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung werden sich die jährlichen Ausgaben von Bund und Ländern für die Krankenversorgung der Beamten, Pensionäre und beihilfeberechtigten Familienangehörigen bis 2030 fast verdoppeln, auf mehr als 20 Milliarden Euro. Die Bundesländer sind hiervon besonders betroffen. Während Vater Staat nur ein Plus von 46 Prozent stemmen muss, sind es bei den Ländern gar bis zu 83 Prozent Aufschlag.
Grund für die Kostenexplosion ist, dass Bund und Länder speziell in den 70er und 80er Jahren viele Personen verbeamtet haben, die nun im Alter hohe Gesundheitskosten erzeugen. Viele Beamte stehen kurz vor der Pensionierung: 1,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst werden bis 2030 in den Ruhestand gehen. Die Länder müssten schon jetzt ein Fünftel ihres Budgets für ihre Beamten ausgeben, warnt auch der Ökonom Bernd Raffelhüschen aus Freiburg gegenüber "Focus Online", wobei hier Pensionen und Beihilfen eingerechnet sind. Der Wert werde sich „fast verdoppeln, so dass irgendwann gar nichts mehr übrig bleibt für andere Ausgaben“.
“Vorteils-Hopping“ bzw. Verfassungsbruch?
Umso mehr überrascht nun das Argument des bayrischen Finanzministers, es seien durch Beamte im GKV-System höhere Kosten zu erwarten. Um die These von Albert Füracker nachzuvollziehen, muss man aber möglicherweise einen Schritt weiter denken — oder sogar mehrere. Das Hamburger Modell benötigt nämlich eine Art „Sicherheitspuffer“ gegen steigende Kosten. Wenn sich ein Beamter einmal gesetzlich versichert hat, so soll er nicht mehr in das Beihilfesystem zurückkehren können.
Mit dieser Restriktion soll verhindert werden, dass die Beamten zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung hin- und herwechseln: je nachdem, wie es für sie gerade vorteilhaft ist. Ein Beispiel: Beamte mit mehreren Kindern könnten sich gesetzlich versichern, solange der Nachwuchs kostenfrei in der Familienversicherung der Krankenkassen unterkommt, um später wieder in das PKV-System zurückzukehren, wenn die Option nicht mehr besteht.
Hier befürchtet die bayrische Landesregierung schlicht, dass man den Beamten die Rückkehr nicht verweigern kann. „Der Ausschluss einer Rückkehr in die Beihilfe widerspricht dem in Artikel 33 Grundgesetz verankerten Fürsorgeprinzip und kann sich als Falle für die Betroffenen erweisen, weil es keine Reaktionen des Einzelnen auf familiäre und berufliche Veränderungen zulässt“, heißt es in einer Stellungnahme des bayrischen Finanzministeriums, aus dem die „Augsburger Allgemeine“ zitiert. Folge dessen wäre ein „„Vorteils-Hopping“, das am Ende auch die Beiträge der Kassenmitglieder belasten würde.
So sei bei Einführung eines Wahlrechts davon auszugehen, dass sich gerade Beamte mit vielen Kindern oder auch mit Vorerkrankungen unabhängig von der Höhe ihres Einkommens vermehrt in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln, warnt das Ministerium. Dadurch erhöhe sich die Gefahr steigender Kassenbeiträge.
"Erster Schritt zur Einheitskasse"
Letztendlich aber geht es auch um grundsätzliche Positionen. Eine Wahlfreiheit zwischen PKV und GKV „würde den ersten Schritt zu einer Einheitsversicherung bedeuten und einen ideologisch motivierten Angriff auf das duale Gesundheitssystem sowie das Berufsbeamtentum in Deutschland darstellen“, argumentiert Füracker. „Die Bayerische Staatsregierung bekennt sich ohne Wenn und Aber zum Berufsbeamtentum und einem starken Staat im Interesse unserer Bevölkerung“, betonte er. „Dazu gehört auch die Beihilfe.“ Rund 85 Prozent aller Beamten in Deutschland sind aktuell privat krankenversichert, wie aus Zahlen des PKV-Verbandes hervorgeht: Sie stellen fast die Hälfte aller PKV-Vollversicherten.
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In Hamburg haben sich im ersten halben Jahr rund 1.000 Beamte für den Wechsel ins gesetzliche Kassensystem entschieden, so berichtet die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) Hamburg. Vor allem Beamte mit kleinem Einkommen und Kindern seien gewechselt, für sie ist die Krankenkasse attraktiv. Fast 50 Prozent der Wechsler stammen aus dem allgemeinen Verwaltungsdienst und dort speziell aus einer unteren Besoldungsgruppe, so berichtet nun die Hamburger Gesundheitsbehörde. Je nach Entgeltgruppe und Dienstjahren sind hier Bruttoeinkommen von deutlich unter 2.000 Euro möglich (der Versicherungsbote berichtete).