Lang lebe die Berufsunfähigkeits-Versicherung, oder: Wie wichtig ist die Absicherung der Berufsfähigkeit?
Die Berufsunfähigkeits-Versicherer sind in einem Dilemma gefangen: einerseits sollen sie als wirtschaftliche Unternehmen möglichst viel Gewinn machen. Andererseits haben sie auch eine soziale Verantwortung, denn möglichst viele Menschen, auch mit teuren Risiken, brauchen den wichtigen Schutz. Hier steht die Branche auch vor der Herausforderung, notfalls über neue Produkte mehr Menschen Schutz zu bieten, kommentiert Versicherungsmakler und Biometrie-Experte Philip Wenzel.
Wenn ich über die Qualität einer Berufsunfähigkeits-Versicherung schreiben möchte, muss ich zunächst zwischen dem Leistungsversprechen und der tatsächlichen Leistung unterscheiden.
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Verspricht der Tarif den Verzicht auf abstrakte Verweisung, kann das für einen Mechatroniker durchaus interessant sein. Denn je nach tatsächlicher Ausprägung seiner täglichen Tätigkeiten und der gesundheitlichen Einschränkung, wäre es durchaus möglich, eine gleichwertige Arbeit zu finden, die ihn weder unter- noch überfordert und in Ansehen und Bezahlung gleichwertig ist.
Ein Meister ist schon wesentlich schwieriger zu verweisen, da nicht so ohne Weiteres ein Beruf zu finden ist, der das gleiche Ansehen hätte. Dazu müsste er ja erst in dem neuen Job wieder auf diesen Ausbildungsgrad gelangen. Von der Bezahlung mal zu schweigen.
Und bei den allermeisten, wenn nicht sogar allen, Akademikern ist eine abstrakte Verweisung überhaupt nicht mehr möglich. Die Berufsunfähigkeits-Versicherung sichert also eigentlich nicht mehr meinen Beruf ab, sondern eben den letzten möglichen Verweisungsberuf, den es am allgemeinen Arbeitsmarkt gibt.
Deswegen ist bei Akademikern eine Berufsunfähigkeit auch vergleichsweise unwahrscheinlicher und genau deswegen ist die BUV bei Akademikern auch so günstig.
Aus versicherungsmathematischer Sicht ist das gerecht. Großes Risiko/hoher Beitrag, geringes Risiko/niedriger Beitrag. Hinzu kommt, dass zwar das Leistungsversprechen in den Bedingungen gleich ist, aber der tatsächliche Leistungsumfang bei einem Akademiker geringer ist.
Aber aus Gründen wie Moral und sozialer Verantwortung ist es ungerecht. Akademiker, die gutes Geld verdienen, zahlen im Verhältnis zum Einkommen gleich nochmal weniger als die teureren, körperlich geprägten Berufe.
Es wäre denkbar, dass die Prämie der Berufsunfähigkeitsversicherung in Relation zum Gehalt gerechnet wird. Dann würden Besserverdiener die anderen subventionieren. Aber es wäre aus Sicht der sozialen Verantwortung gerecht.
Recht schnell würden dann ein Versicherer oder ein Start-Up ums Eck kommen und online einen Tarif für Akademiker zur risikogerechten Prämie anbieten. Deswegen kann das auch keine Lösung sein.
Ein Vergleich: Dass der Versicherer hier soziale Verantwortung übernimmt, darf eigentlich nicht gefordert werden, solange das Billigfleisch im Supermarkt nicht echte Bio—Qualität hat. Billigfleisch sollte sogar überhaupt nicht mehr angeboten werden. Aber die Absicherung der Berufsfähigkeit hat ihre Berechtigung.
Es müsste also der Staat eingreifen und den Versicherern auferlegen, unwirtschaftlich zu handeln. Es bliebe abzuwarten, wie viele der Versicherer das überleben würden.
Am einfachsten dürfte es sein, ein neues Produkt einzuführen, dass die Lücke zwischen der Berufsunfähigkeits- und der Erwerbsunfähigkeits-Versicherung schließt.
In meinen Augen wäre es am sinnvollsten, das Leistungsversprechen da abzuholen, wo die Leistung im bezahlbaren Segment der Berufsunfähigkeits-Versicherung aufhört.
Der Versicherer leistet also, wenn ich in jedem Beruf am allgemeinen Arbeitsmarkt BU bin. Das wäre dann quasi die Rückkehr der abstrakten Verweisung. Rückschritt ist selten gut. Es sei denn, man will Anlauf nehmen.
Logisch ist, dass eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes auch zu einer Beitragsersparnis führen müsste. Das ist gut, aber das Leistungsniveau muss dem Kunden immer noch helfen.
Deswegen muss ich zwei Szenarien abdecken. Im ersten Szenario ist eine Verweisung derzeit aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Dann muss der Versicherer leisten. Und zwar so lange der Gesundheitszustand anhält.
Zum anderen, und das ist das zweite Szenario, benötige ich Geld, um eine Umschulung zu finanzieren. Die Umschulung selbst kostet in der Regel nichts, aber ich verdiene als Azubi deutlich weniger. Diese Lücke muss gedeckt werden.
Der Versicherer sollte, aus seiner sozialen Verantwortung heraus, aber auch einfach nur deshalb, weil er sicherlich um ein positives Image bemüht ist, drei Dinge bereitstellen:
- Unterstützung, um wieder gesund zu werden.
- Unterstützung, um eine Möglichkeit zur Umschulung oder Weiterbildung zu finden.
- Unterstützung, um geeignete Unterstützung für den Leistungsfall zu finden.
Die ersten beiden Punkte sollte der Versicherer schon aus Eigeninteresse verfolgen. Wer wieder gesund ist oder einen neuen Beruf hat, ist kein Leistungsfall mehr. Aber niemand ist sauer, weil nicht mehr geleistet wird, sondern alle sind glücklich, weil sie wieder gesund oder in Lohn und Brot stehen.
Der letzte Punkt vermeidet langwierige Leistungsbeantragungen und Streitereien. Zwar dürfen wir in den Leistungsabteilungen der Versicherer durchaus Kompetenz vermuten. Allerdings wäre ein unabhängiger Versicherungsberater, wie z.B. der BU-Expertenservice, für den Kunden vertrauenserweckender. Und Streitigkeiten sind leider bei einem neuen Produkt wie diesem zu erwarten, da mehr Verweisbarkeit eben auch mehr Möglichkeit zur Leistungsverweigerung bietet.
Durch eine kompetente Begleitung im Leistungsfall würde dieses Risiko aber gleich wieder minimiert werden.
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Unterm Strich ist es egal, ob die alte Berufsunfähigkeitsversicherung sterben muss, um einen neuen Produkt Platz zu machen, es beide Produkte parallel geben wird oder ob die BUV eine neue Tarifgestaltung gebiert. Wichtig ist, dass möglichst schnell wieder große Teile der Bevölkerung bezahlbar und sinnvoll versicherbar sind.