Wer in den letzten Monaten die Wortmeldungen von Allianz-Chef Oliver Bäte verfolgt hat, der konnte sich auf der Jahreshauptversammlung am Mittwoch in München schnell langweilen. Was Bäte dort seinen Aktionären präsentierte, hatte er in vorherigen Interviews schon Stück für Stück preisgegeben. Zur Erinnerung: Fast allgegenwärtig schien der 54jährige Manager in den Medien und äußerte sich zu allen möglichen Themen: ganz gleich, ob er der ZEIT sagte, „Gerichtigkeit ist ein marxistischer Begriff“, im Handelsblatt die Naivität Europas angesichts allmächtiger Konzerne wie Google oder Amazon geißelte — oder auch afrikanische Staaten dafür lobte, dass dort teils mutiger digital gedacht wird als in Deutschland.

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Doch spannend kann manchmal auch sein, was in einer Rede bestätigt und wiederholt wird. Und so lässt sich schlussfolgern, dass Bäte am Mittwoch seine bisherige Strategie konsequent verteidigt hat und weiterhin an ihr festhält. So sehr, dass es auffällige Überschneidungen zu vorherigen Reden gab. „Einfachheit gewinnt!“, war ein zentraler Slogan seiner Präsentation. Unter diesem Motto stand auch schon sein Vortrag auf dem Capital Markets Day 2018 im Dezember letzten Jahres. Das Wort „einfach“ benutzte Bäte dann beinahe inflationär, damit es sich auch jedem einprägte. Er mag es einfach: einfach. Das Video der Rede kann auf der Webseite der Allianz verfolgt werden.

Schlankere Produktpalette, schlankere Prozesse

Was mit „einfach“ gemeint ist, veranschaulichte Bäte anhand seiner künftigen Ziele mit dem Konzern. Bis 2021 sollen konzernweit einheitliche Tarife und Prozesse bei den Münchenern Einzug halten. Doch genau das ist eben nicht so easy, wie Bäte es am Beispiel von Rechtsschutz-Policen verdeutlichte. Aktuell gebe es 60 verschiedene Rechtsschutz-Verträge im Konzern, erläuterte der Allianz-Chef, alle mit eigenem Bedingungswerk. Das überfordere nicht nur den Kunden, sondern auch die eigenen Mitarbeiter.

Diese verwirrende Vielfalt soll in den kommenden Jahren auf wenige Produktvarianten eingestampft werden. Das Vorbild hierfür findet er ausgerechnet im eigenen Haus: Die spanische Auslandstochter bietet genau zwei Kfz-Tarife an und keinen mehr (der Versicherungsbote berichtete).

Online-Tochter "Allianz Direct" soll Ende des Jahres starten

Neu war auch nicht, dass die Allianz mit einem neuen Digitalversicherer durchstarten will, wie Bäte berichtete, und zwar europaweit. Dieser soll Ende des Jahres anlaufen bzw. -fahren: zunächst sollen Autopolicen online gekauft werden können. „Allianz Direct“ soll das neue Vorzeigemodell heißen und zunächst in Deutschland, Spanien, den Niederlanden und Italien seine Verträge anbieten. Doch das ist nur der Startschuss: weitere Staaten und Versicherungsarten sind geplant, um Allianz Direct in die Erfolgsspur zu schicken.

Bäte hatte früher bereits durchblicken lassen, dass er den Direktversicherer auch als eine Art Produktlabor für den Rest des Konzerns betrachtet. Am Ende sollen einheitliche Tarife und Prozesse in allen 70 Staaten stehen, in denen der Versicherer agiert (der Versicherungsbote berichtete). So mag es kein Zufall gewesen sein, dass Bäte als Einstieg in die Rede die Geschäftserfolge der Türkei-Tochter vorstellte, um für seinen Kurs zu werben: "Erfolge gehen Hand in Hand", so der etwas kitschige Slogan dafür.

Ergebnisse der Allianz im Geschäftsjahr 2018. "Es war ein Jahr der Rekorde", kommentierte Oliver Bäteallianz.com

"Wir brauchen den Mut, Dinge abzuschalten"

Dennoch ist die weltweite Vereinheitlichung von Produkten und Prozessen keine unumstrittene Taktik: müssen die Tarife doch auch in unterschiedlichen (Wirtschafts)Kulturen, Aufsichtsregimes und Märkten funktionieren. Was verloren gehen könnte, ist eben die Produktvielfalt: damit auch Wahloptionen für den Kunden. Bäte kennt die Kritik. Der Konzern brauche Mut: "auch den Mut, Dinge abzuschalten", so der Vorstand.

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“Einfach, digital und skalierbar“ definierte Bäte folglich als Zielvorgaben für den Transformationsprozess im Konzern:

  • Einfach: Wenige und intuitive Produkte mit vereinfachtem Bedingungswerk sollen bewirken, dass die Allianz "die Sprache der Kunden spricht",
  • Digital: überlegene Technologie und Analytik sowie Rückgriff auf weltweite Daten soll für "herausragende Produktivität" sorgen und die Schadenkosten senken,
  • Skalierbar: Harmonisierte Produkte und Prozesse weltweit sollen bewirken, dass die Allianz ihre Größenvorteile besser nutzen kann — also die Allianz Gruppe auch international als ein Konzern auftritt, statt dass mehrere Versicherer und Systeme im Konzernbund nebeneinander agieren. Denn das verschlinge unnötig Ressourcen.

Thema Umweltschutz: Allianz setzt Klimaschutz auf Agenda

Aufhorchen ließ, dass Oliver Bäte dem Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz viel Zeit in seiner Rede einräumte. Bis 2050 soll das dreistellige Milliarden-Vermögen in Gänze "klimaneutral" angelegt werden, so versicherte der Allianz-Chef. Auch soll sich der komplette Stromverbrauch des Versicherers bis 2050 aus erneuerbaren Energien speisen.

„Ab sofort verzichtet die Allianz auf die Einzelversicherung von Kohlekraftwerken und Kohleabbau“, kündigte Bäte an. Schon bis 2040 solle es auch im Bestand "keine Art von Kohlerisiko mehr geben". Das Thema sei dem Konzern "sehr ernst", versicherte Bäte.

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Investment orientiert sich bereits neu

Wer jetzt mutmaßt, dass der Allianz-Chef auf den Hype um die "Fridays for Future"-Bewegung aufspringen will, irrt insofern, dass die Allianz auch zuvor schon das Thema Umweltschutz auf die Agenda setzte. Bereits im Mai 2018 hatte der Versicherer angekündigt, aus der Kohle auszusteigen und stärker auf Klimaschutz zu achten. Und im März hatte Investment-Chef Claus Stickler auf dem Versicherungstag in Leipzig berichtet, dass die Münchener sich auch in Sachen Geldanlage neu orientieren:

Für „alle Assetklassen, Portfolios und Versicherungssparten“ seien weltweit Schwellenwerte definiert worden, wonach ein bestimmter Mindestanteil der Gelder sozial und grün investiert werden muss, so Stickler vor zwei Monaten. Dabei orientiere man sich an sogenannten ESG-Kriterien, wobei ESG für „Environment Social Governance“ steht. Also Kriterien des Umweltschutzes, der sozialen Verantwortung und Unternehmensführung. Um Erfolge zu messen, kooperiere die Allianz mit Wissenschaft und NGOs. Eine nachhaltige Ausrichtung sei Teil eines "Paradigmenwechsels", durchaus nicht uneigennützig: Schmutzige Investments würden sich auch wirtschaftlich immer weniger rechnen (der Versicherungsbote berichtete).

Welche Schwellenwerte das sind, die ESG-Investments definieren, wollte Stickler in Leipzig aber nicht verraten. Auf die Frage: "Schließen Sie Unternehmen, die ESG-Kriterien derzeit nicht erfüllen, aus dem Underwriting aus?", antwortete der Allianz-Manager: "Ehrliche Antwort: nein". Auch Bäte ging am Mittwoch in seinem Vortrag nicht auf Schwellenwerte ein.

Dennoch: Die Allianz könnte ein Zeichen setzen. Weltweit verfügt der Versicherer über Kapitalanlagen in Höhe von 640 Milliarden Euro und verwaltet weitere 1,4 Billionen Euro Vermögen für externe Kunden, etwa über das Investmenthaus Pimco. Zum zweiten Mal sei man bereits die Nummer eins im Dow Jones Sustainability Index (DJSI) geworden, berichtete Bäte am Mittwoch: eine Familie von Aktienindizes, welche neben ökonomischen auch ökologische und soziale Kriterien berücksichtigt. Allerdings wurde an diese Indices schon der Vorwurf des Greenwashing herangetragen, da man unter anderem keine Unternehmen ausschließt, die Gewinne auch aus Naturausbeutung und Waffenhandel erzielen.

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11,5 Milliarden +/- 500 Millionen

Bäte kündigte an, für das Geschäftsjahr 2018 neun Euro Dividende pro Aktie auszuschütten: 13 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Für das laufende Geschäftsjahr peilte er ein operatives Ergebnis von 11,5 Milliarden Euro an: plus/minus 500 Millionen Euro. Den Anlegern versprach Bäte ein kontinuierliches Wachstum von fünf Prozent pro Jahr in den kommenden fünf Jahren, nachdem man in den letzten drei Jahren gar um durchschnittlich 7,1 Prozent wachsen konnte.

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