Wie geht es aktuell der Riester-Rente? Für eine Diagnose nutzten die Wissenschaftler des Instituts für Altersvorsorge (DIA) leitfadengestützte Experteninterviews. Gespräche wurden geführt mit Vertretern der Deutschen Rentenversicherung, mit Vermittlern, mit Verbraucherschützern sowie mit Anbietern von Riesterprodukten (wie Versicherungen, Fonds und Bausparkassen). Aussagen dienten zunächst der Problemanalyse. In einem zweiten Schritt wurden vorgeschlagene Lösungen für die Probleme gesammelt und kategorisiert. In einem dritten Schritt erarbeiteten dann die Studienmacher eine Empfehlung, wie aus ihrer Sicht Probleme des Riester-Sparens beseitigt werden können.

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Unterschieden wurde hierbei zwischen zwei Lösungswegen: Eine „Vereinfachung der bestehenden Förderdynamik“ gilt als gemäßigter Vorschlag der Wissenschaftler. Eine „neue Fördersystematik“ wird hingegen als „Big Bang“-Lösung angeboten und beinhaltet weniger Kompromisse zum derzeitigen "Status Quo".

Probleme, Probleme, Probleme: Das Riester-System zeigt Reformbedarf.

Keineswegs gehen die Wissenschaftler unkritisch an ihre Diagnose. Denn ein Teil der aktuell geäußerten Kritik ist aus Sicht des Autorenteams durchaus berechtigt. Ein Urteil der Experten lautet: Die Riester-Rente würde es vielen Recht machen wollen, aber oft allen das Sparen erschweren. Und Fakten, auf die Kritiker des "Riesterns" gern verweisen, gelten auch den Wissenschaftlerteam als Krisensymptom: Der Absatz bei Riester-Verträgen stagniert. So ist über das komplette Jahr 2018 der Bestand an Riester-Policen erstmalig seit der Einführung gesunken (der Versicherungsbote berichtete). Nur etwa die Hälfte aller Berechtigten deutschlandweit hält einen Vertrag. Zudem sind viele Altverträge beitragsfrei gestellt und werden aktuell nicht mit Beiträgen bedient.

Auffallend viele Neuverträge werden zudem laut Studie wieder nach kurzer Zeit gekündigt. Eine Tatsache aber macht den Wissenschaftlern besonders Sorgen: Auch viele ehemals interessierte Riester-Sparer würden mittlerweile dem Riestern den Rücken kehren, wie insbesondere Verluste des Betragsbestands bei Versicherungen und Banksparplänen zeigen. Worin aber begründet sich dieser Befund? Die Experteninterviews stellten wesentliche Grundsatzprobleme heraus, die neben der Verbreitung der Riester-Verträge die Problemfelder Transparenz und Rendite betreffen.

Kunden empfinden das Zulagensystem als Willkür

Ein Transparenz-Problem ergibt sich durch die komplexe Fördersystematik. Diese führt zu hohen Beratungs- und Betreuungskosten für Anbieter und Vermittler. Zudem schränkt sie für Kunden die Vergleichbarkeit von Produkten ein. Außerdem aber erweckt sie insbesondere dann den Eindruck von Willkür beim Kunden, wenn Sparer von Rückforderungen der Zulagen betroffen sind.

Müssen doch bestimmte Bedingungen erfüllt werden, um die volle Riester-Förderung zu erhalten. So müssen unmittelbar anspruchsberechtigte Riester-Sparer in der Regel eine notwendige Sparquote von vier Prozent des Bruttogehalts des Vorjahrs in einen förderfähigen Riester-Vertrag einzahlen. Ansonsten werden Zulagen anteilig gekürzt oder fallen ganz weg. Gebrochene Erwerbsbiographien oder ein schwankendes Einkommen können aber zu schwer verständlichen Rückbelastungen aufgrund zu hoher Zulagen führen, ebenso ein kurzzeitiger Wegfall des Kindergeldanspruchs (zum Beispiel, wenn ein Kind kurz vor dem Studium eine Erwerbstätigkeit aufnimmt). Kleine formelle Fehler beim Antrag, leicht gestiegenes Einkommen oder der Wegfall von Kinderzulagen führen laut Papier aber oft zu Kürzungen oder Rückforderungen, die der Sparer nicht versteht.

Erschwerend kommt eine lange Zeitspanne der Bearbeitung hinzu – eine Überprüfung der Zulagen erfolgt häufig erst zwei oder sogar drei Jahre im Nachhinein. Die Folge laut Forschungspapier: Das Zulagensystem wird, da nicht verstanden, von betroffenen Sparern als willkürlich wahrgenommen. Dies kann unter anderem zum Ruhend-Stellen oder gar Kündigen der Verträge führen.

Vermittler und Anbieter: Aufwand lässt Rendite schrumpfen

Das dahinter stehende Problem zu komplexer Förderbedingungen spiegelt sich aber auch in der Rendite für alle Beteiligten des Vorsorgesparens. Besonders Anbieter leiten unter hohen Fixkosten durch „die aufwändige, jährlich zu erbringende Prüfung der Förderberechtigung und Förderhöhe samt dadurch ausgelöster Kundenrückfragen“. Müssten doch jährlich Sparer geprüft werden auf Einkommensänderungen, Kindergeldanspruch, beruflichen Status. Zudem machten ständige kleine gesetzliche Anpassungen im System durch den Gesetzgeber viele kostenträchtige Veränderungen in der IT notwendig. Fehlende Transparenz für die Sparer führt zusätzlich zu einer hohen Beratungsintensität.

Aufgrund derartiger Kosten geht aus Sicht der Studie auch eine Kritik fehl, die den Anbietern pauschal vorwirft, sie würden hohe Renditen einfahren, während die Sparer nur von der Zulage profitieren. Stattdessen treibt das Verfahren die Kosten bei vergleichsweise niedrigen Durchschnittsbeiträgen. Ein zunehmender Rückzug von Anbietern aus dem Riester-Markt wäre schon jetzt eine Folge des Problems.

Vermittler: Die Blitzableiter des Systems

Die notwendige Beratungsintensität bekommen natürlich auch die Vermittler zu spüren, die laut dem Papier insbesondere dann als eine Art Blitzableiter zwischen Anbietern, Versicherten und der für die Zulagen zuständigen Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) wirken, sobald etwas schief geht. Beratungsintensiv wäre die Riester-Rente auch aufgrund vieler Formulare und zahlreicher Durchführungswege. Diesem Beratungsaufwand stehen jedoch kleine Volumina und betragsmäßig unterdurchschnittlicher Provisionen gegenüber. Aus diesem Grund ist laut Studie das derzeitige Riester-System auch für Vermittler „unattraktiv“.

Hohe Absicherungskosten schmälern Rendite

Zum Rendite-Problem zählen auch hohe Absicherungskosten aufgrund der Bruttobeitragsgarantie. Denn wer eine staatlich geförderte Riester-Rente abschließt, dem garantiert der Gesetzgeber mindestens die eingezahlten Prämien plus staatliche Zulagen. Doch diese Beitragsgarantie ist in Zeiten des Niedrigzins enorm teuer: Sie verpflichtet die Anbieter, große Teile der eingesammelten Beiträge in festverzinsliche Wertpapiere zu stecken. Und diese werfen derzeit kaum etwas ab.

„Riester-Deckel“ als Problem

Ein zusätzliches Problem sehen die Studienmacher in dem jährlichen Höchstbetrag von 2.100 Euro je Riesterberechtigten – Einzahlungen in die Verträge sind nur bis zu diesem Höchstbetrag förderfähig. Als im Jahre 2002 die Riester-Rente eingeführt wurde, entsprach dieser Betrag vier Prozent der damaligen Bemessungsgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung. Während aber die Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung seitdem kontinuierlich stieg – und damit jener Betrag, an dem sich der maximal zu entrichtende Beitrag für Gutverdienende in der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert – blieb der geförderte Höchstbetrag der Riester-Förderung seit 2002 beim gleichen Wert gedeckelt. Das Deckeln kommt demnach einer Entwertung der Förderung für einen Teil der Vorsorgesparer gleich.

In der Folge würden immer mehr Riester-Sparer an diesen Deckel stoßen und könnten deswegen nicht ihre Vorsorgelücke schließen. Denn die vier Prozent dienten bei Einführung der Riester-Rente als gerundeter Wert für ein Auffüllen dieser Lücke. Deswegen würden aber auch Überzahlungen der Verträge zunehmen. Und diese verursachen zusätzlichen Aufwand: Anbieter müssen für betroffene Kunden zwei Konten führen, eines für gefördertes und eines für nicht gefördertes Kapital.

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Hohe Verwaltungskosten auch für den Staat

Nicht zu vergessen aber: Die Riester-Rente verursacht laut Papier auch hohe Verwaltungskosten für den Staat. Denn viele öffentliche Verwaltungen sind eingebunden – die Rentenversicherungsträger samt der für die Förderung zuständigen Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen, die Kindergeldstelle aufgrund der Kinderzulage sowie das Finanzamt aufgrund der Günstigerprüfung (das Finanzamt berechnet im Rahmen der sogenannten Günstigerprüfung automatisch, ob für die eingezahlten Beiträge über die Zulage hinaus eine zusätzliche Steuerermäßigung besteht). Hinzu kommen das Arbeitsamt für die Prüfung der Zulagen für Arbeitslose und das Zentralamt für Steuern. All diese Behörden prüfen Ansprüche der Riester-Sparer, und zwar jährlich. Deswegen kommen die Studienmacher auch zu dem Fazit: Die Gesamtkosten dieser Prüfungsarbeiten dürften – wiewohl nicht ermittelt – „beträchtlich“ sein.

Verbesserungsvorschläge: Einfacher und transparenter ... und die Verbreitung sichern

Was aber empfiehlt das Autorenteam der Studie für eine „Revitalisierung“ ihres Patienten "Riester-Rente"? Wie soll das Riester-System bei all diesen Problemen gesunden? Zunächst muss aus Sicht der Studienmacher dringend die Fördersystematik vereinfacht werden. Und ein Weg zu diesen Vereinfachungen führt nur über das Zulagensystem. Wichtiger Schritt hierfür: Zulagenrückforderungen müssen „so weit wie irgend möglich“ verhindert werden. Eine Ausweitung des Anspruchs auf alle unbeschränkt Einkommenssteuerpflichtigen könnte hierbei ebenso helfen wie die Koppelung der Kinderzulage an das Kindesalter anstatt des Kindergelds.

Wurzel des Übels angehen: keine späte Prüfung der Zulagen mehr

Noch besser aber wäre, die Wurzel des Übels anzugehen – nämlich die späte Prüfung der korrekten Zulagenhöhe. Stattdessen sollte dringend eine Prüfung vor Auszahlung der Zulage erfolgen. Würden Förderbedingungen vereinfacht, könnte zudem das Prüfverfahren wesentlich beschleunigt werden. Das Autorenteam nennt als Richtwert eine Bearbeitungszeit von vier Monaten.

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Dynamisierung des Höchstbetrags

Damit keine Entwertung der geförderten Beträge in Relation zur Beitragsbemessungsgrenze stattfindet, empfehlen die Experten zudem eine Dynamisierung des förderfähigen Höchstbetrags. Der Höchstbetrag soll sich hierbei direkt an der Bemessungsgrenze orientieren und vier Prozent der jährlichen Bemessungsgrenze statt vier Prozent eines statischen Wertes von 2.100 Euro betragen.

Auch schlagen die Autoren vor, Überzahlungen wie gefördertes Vermögen zu behandeln und durch diesen Weg ein besseres Ausgleichen von Einkommensschwankungen zu ermöglichen – Überzahlungen wären dann außerdem „Hartz-IV-sicher“, denn der Staat könnte nicht auf diese Gelder zugreifen. Durch Gleichbehandlung von Überzahlungen mit gefördertem Vermögen würde auch das Problem zweier Konten für gefördertes und für nicht gefördertes Vermögen beseitigt.

Abschaffung der Bruttobeitragsgarantie

Einer der Verbesserungsvorschläge ist keineswegs neu, sondern führte in der Vergangenheit schon zu einer Petition an den Bundestag (der Versicherungsbote berichtete): Die teure Bruttobeitragsgarantie, die eine Rendite des Vorsorgesparens mindert und zu hohen Absicherungskosten führt, soll durch die Riester-Sparer freiwillig abwählbar sein. So soll zwar eine Variante mit einer 100-prozentigen Beitragsgarantie auch weiterhin als Standard angeboten werden. Zugleich aber sollen sich die Sparer für Möglichkeiten entscheiden dürfen, die einen geringeren Prozentsatz für eingezahlte Beiträge und Zulagen aussprechen, zum Beispiel 80 Prozent. Erwähnt wird sogar eine Möglichkeit, ganz auf Garantien zu verzichten.

„Big Bang“: Alle rein, Zulagen weg

Freilich: Derartige Vorschläge stellen aus Sicht des Autorenteams aber nur Kompromisse dar für eine Vereinfachung der bestehenden Fördersystematik. Besser wäre, eine neue Fördersystematik zu schaffen. Und diese geht weit über die „gemäßigten“ Vorschläge hinaus.

Riestern als Pflicht

Erster Vorschlag des "Big Bang": Ein obligatorisches und damit verpflichtendes Riester-Sparen für alle soll eingeführt werden, wenigstens jedoch eine Opt-Out-Variante des Herauskommen aus dem Riestern einzig über Widerspruch. Damit umginge man die Notwendigkeit der Zulagen, um Anreize zu schaffen. Denn Zulagen könnte man laut Studie gut und gerne ganz abschaffen – hätte der Gesetzgeber mit Einführung der Riester-Rente doch zwei Ziele unglücklich verquickt, die Umverteilung (Zielerfüllung durch Zulagen) sowie die Steuerneutralität (Zielerfüllung durch nachgelagerte Besteuerung und damit einhergehende Steuervorteile). Für die Autoren aber ist eine Lösung denkbar, die einzig bei der Steuerneutralität ansetzt. Eine solche Lösung freilich würde zu einem Problem führen, welches dem Expertenteam der Studie sehr bewusst ist. Und deswegen erfolgt dann doch ein Kompromiss-Vorschlag im (eigentlich kompromisslosen) "Big Bang":

Zulagen nur noch für Geringverdiener

Denn für die Riester-Förderung hat sich die Faustregel etabliert: Sparer mit geringen Einkommen profitieren besonders von den Zulagen, Riester-Sparer mit besserem Einkommen hingegen eher von Steuervorteilen. Eine Riester-Förderung ohne Zulagen würde demnach von vielen Menschen als ungerecht empfunden werden (zumal als verpflichtendes Vorsorgesparen). Ein Problem, für das eine einfache Lösung durch die Experten angeboten wird:

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Würde doch die Überprüfung des Zulagen-Anspruchs weit weniger komplex, wenn Anspruch auf Zulagen nur für Geringverdiener bestünde – zum Beispiel bis zu einem Jahreseinkommen von 20.000 Euro für Alleinstehende, 40.000 Euro für Verheiratete und mit weiteren 5.000 Euro pro Kind. Alle anderen Sparer jedoch, die nicht zu diesen Geringverdienern zählen, „sollten in der Lage sein, ihre Altersvorsorge auch ohne Subventionen selbst zu finanzieren“, wie die Wissenschaftler pointieren.

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