Altersvorsorge: Selbstständige fürchten Finanzlücken im Alter
Die Mehrheit der Selbstständigen in Deutschland sorgt sich um ihre Altersvorsorge. Das ergab eine aktuelle YouGov-Umfrage. Unter selbstständigen Frauen ist die Sorge vor finanziellen Engpässen im Alter besonders groß. Viele setzen auf den Verkauf ihres Unternehmens oder familiäre Lösungen, um den Lebensabend zu sichern.
- Altersvorsorge: Selbstständige fürchten Finanzlücken im Alter
- Niedergelassene Ärzte haben genauere Vorstellungen
Fast zwei Drittel der Selbstständigen und Freiberufler in Deutschland (62 Prozent) haben Bedenken, kein auskömmliches Alterseinkommen erzielen zu können. Sie beantworten die Frage: „Machen Sie sich Sorgen um Ihre finanzielle Absicherung im Alter?“ mit „ja“. Dabei zeigt sich, dass Frauen weit häufiger dieser Frage zustimmen: 68 Prozent der Unternehmerinnen und 59 Prozent der Unternehmer bejahen, dass sie derartige Sorgen umtreibt. Das ist Ergebnis einer bundesweiten Befragung von insgesamt 1.008 Selbständigen und Freiberuflern in Deutschland inklusive niedergelassener Ärzte mit eigener Praxis, die repräsentativ nach Alter und Geschlecht ausgewählt wurden.
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Hierbei gilt es zu bedenken: Zwischen Selbstständigen und Freiberuflern gibt es rechtliche Unterschiede. So müssen Freiberufler in der Regel keine Gewerbesteuer zahlen und sich nicht bei einer Handelskammer registrieren. Bestimmte Berufe berechtigen laut § 18 des Einkommensteuergesetzes (ESTG) zu einer freiberuflichen Tätigkeit: etwa Schriftsteller, Schauspieler oder beratende Betriebswirte, aber auch Berufe mit eigenen Versorgungswerken wie Steuerberater, Rechtsanwälte oder Ärzte. Die Studie scheidet diese Begriffe nicht, hat aber Ärzte mit eigener Praxis gesondert ausgewertet (siehe Seite 2).
Nachfolge: familieninterne Lösungen gern gesehen
Trotz der Bedenken würden fast neun von zehn Selbstständigen und Freiberuflern (86 Prozent) sich heute wieder selbstständig machen, wenn sie die Wahl hätten. Auf ihren Lebensabend bereiten sich aber die wenigsten aktiv vor oder nur diffus: vor allem mit Blick auf die eigene Nachfolge. Fast jeder Dritte (28 Prozent) würde die Firma innerhalb der eigenen Familie verschenken. Wenn es innerhalb der Familie zu einem Verkauf käme, würden Selbstständige und Freiberufler im Mittel um etwa die Hälfte günstiger als zum Marktwert verkaufen (45 Prozent).
23 Prozent kann sich einen Verkauf außerhalb der Familie vorstellen, am ehesten an einen heutigen Kollegen (12 Prozent) oder Partner (11 Prozent). Dem entgegen haben 31 Prozent noch gar keine Idee, ob und an wen sie ihre Firma veräußern.
Zugleich aber geben die Befragten zu Protokoll, dass ihnen die Firma einen Großteil des Alterseinkommens sichern soll. So sollten sie auch den ungefähren Anteil in Prozent angeben, wie viel der potentielle Verkaufserlös zum Alterseinkommen beitragen soll bzw. als Rücklage zum Alterseinkommen beisteuert. Das Ergebnis: Im Mittel schätzen die Befragten die Bedeutung des Verkaufspreises für ihre Firma auf fast die Hälfte (48 Prozent) aller ihrer bisherigen Rücklagen zur Alterssicherung (siehe Grafik).
„Die Begeisterung der Selbständigen für ihren Beruf beruht auf einem Lebensgefühl und einer unternehmerischen Grundeinstellung“, kommentiert Karl Matthäus Schmidt, Gründer und Vorstandschef der Berliner Quirin Privatbank, die diese Studie in Auftrag gegeben hat. „Zugleich überraschen die hohen Erwartungen der Unternehmer an Verkaufspreise für ihre Firmen, wenn man sieht, wie wenig planvoll sie demgegenüber den Verkauf betreiben.“
Niedergelassene Ärzte haben genauere Vorstellungen
In der Studie gesondert ausgewertet wurden die Antworten für niedergelassene Ärzte mit eigener Praxis: ohne, dass hier eine genaue Zahl genannt wird, wie viel Mediziner befragt wurden. Dennoch zeigt diese Berufsgruppe innerhalb der befragten Selbständigen und Freiberufler mit eigener Firma Besonderheiten.
Während 37 Prozent der Mediziner den Verkauf ihrer Praxis an jemanden außerhalb der Familie am ehesten für denkbar halten, sind es unter allen Selbständigen nur 23 Prozent, so berichtet der Pressetext. Auch würde ein Verkauf fast der Hälfte der Ärzte „sehr oder eher leicht fallen“. Unter allen Selbständigen sagt das nur rund ein Drittel. Darüber hinaus kalkulieren drei von zehn Ärzten (30 Prozent) schon von Beginn der Selbständigkeit an mit einem möglichen Verkaufserlös zur eigenen Altersvorsorge. Auf die anderen Selbstständigen und Freiberufler trifft das nur zu 20 Prozent zu.
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Gender Pension Gap auch in der Altersvorsorge
Die Studie konnte eine Gender Pension Gap auch in der Altersvorsorge von Selbstständigen und Freiberuflern feststellen. Selbständige Frauen besitzen zur Altersvorsorge von allen Anlageformen weniger als selbständige Männer. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied bei Fonds und Aktien: 34 Prozent der Männer besitzen Fonds, aber nur 22 Prozent der Frauen. Bei "einzelnen Aktien" beträgt der Unterschied 25 Prozent zu 13 Prozent (siehe Grafik 2).
Ab wann mit Nachfolgeregelung beginnen?
Mit Blick auf die Studie muss man jedoch einschränken: in der Umfrage enthalten sind Unternehmer und Freiberufler von 18 bis 65 Jahren, wie aus der repräsentativen Auswahl hervorgeht. Also auch solche, die ihre Firma erst aufbauen und noch gar nicht einschätzen können, wie sich ihr Unternehmertum künftig entwickelt und welchen Wert die Firma einmal haben wird. Nicht unüblich ist es zudem, dass Unternehmer während ihrer Berufslaufbahn wieder in ein Angestelltenverhältnis zurückkehren oder hin und her wechseln, auch wenn Statistiken hierzu fehlen.
Zwar ist es richtig und wichtig, sich zeitig über die Situation Gedanken zu machen, dass man den eigenen Betrieb, zum Beispiel aufgrund von Krankheit, nicht mehr weiterführen kann und auch entsprechende Vorkehrungen zu treffen: etwa zu regeln, wer die Geschäfte dann weiterführt und zu welchen Bedingungen. Dennoch scheint es diskussionswürdig zu kritisieren, dass sich Freiberufler in einer frühen oder mittleren Phase ihres Unternehmertums noch keine Gedanken darüber gemacht haben, ob und an wen sie ihre Firma im Alter veräußern. Hier hätte die Studie stärker differenzieren müssen, wie sich die Antworten nach Altersgruppen unterscheiden.
Mit Blick auf die Branche: Vertriebsexperte Matthias Beenken rät Versicherungsmaklern, spätestens zehn Jahre vor dem geplanten Ruhestand konkrete Schritte zu ergreifen, um die Übergabe des Unternehmens zu gewährleisten. Der Wissenschaftler und Journalist hat eine Studie zur Nachfolgeregelung in Maklerbetrieben geleitet (der Versicherungsbote berichtete).
DIW-Studie: 700.000 ohne ausreichenden Schutz
Ein weiterer Punkt, der die Aussagekraft der Studie einschränkt: Es handelt sich bei Selbstständigen und Freiberuflern um teils sehr heterogene Gruppen mit deutlichen Unterschieden bei Einkommen und Vermögen. Auch sogenannte Soloselbstständige fallen darunter: Freiberufler ohne Angestellte, die oft kaum eigenes Vermögen besitzen und oft auch keine Altersvorsorge. Viele Solo-Selbstständige sind bereits mit den Beiträgen zur Krankenversicherung überfordert (der Versicherungsbote berichtete).
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Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) von 2016 haben rund 700.000 Selbstständige keine oder nur eine unzureichende Altersvorsorge (der Versicherungsbote berichtete). Anrecht auf Grundsicherung haben die Betroffenen dennoch, auch wenn sie nie in die Rentenkasse eingezahlt haben. Deshalb bereitet die Bundesregierung aktuell ein Gesetz vor, das auch Unternehmer zur Vorsorge verpflichten soll: ein erster Gesetzentwurf wird frühestens nach der Europawahl erwartet, voraussichtlich gegen Ende des Jahres.
- Altersvorsorge: Selbstständige fürchten Finanzlücken im Alter
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