„Für Existenzgründer im Vertrieb sind 30 Tage Urlaub mehr als illusorisch“
Peter Brandmann ist Unternehmercoach, spezialisiert auf Versicherungsvermittler und Führungskräfte für die Versicherungswirtschaft. Mit seinem Unternehmen pb beratung & training begleitet der studierte Betriebswirt auch Existenzgründer, die sich mit einer Agentur oder einem Maklerbüro selbstständig machen. Der Versicherungsbote hat mit Brandmann darüber gesprochen, was die Neugründer antreibt, welche Schwierigkeiten sich ihnen bieten und ob der Versicherungsvertrieb überhaupt eine Zukunft hat.
- „Für Existenzgründer im Vertrieb sind 30 Tage Urlaub mehr als illusorisch“
- ...brauchen Gründer viel Startkapital?
Versicherungsbote: Sie sind Unternehmercoach für Versicherungsvermittler. Die Branche hat ein Nachwuchsproblem, der Altersschnitt nähert sich den 50 Jahren an. Haben Sie junge Unternehmen in der Gründungsphase betreut? Und was läuft da eigentlich schief in der Branche?
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Peter Brandmann: Ja ich betreue Versicherungsvermittler, also Vertreter, Agenturinhaber und Makler, im Bereich der Existenzgründung. Zudem habe ich einen Lehrauftrag an der DHBW Baden-Württemberg in Heidenheim. Die Vermittlerbranche krankt zum einen unter ihrem schlechten Ruf und ich denke, dass die Branche die positiven Errungenschaften nicht entsprechend vermitteln und in die Breite tragen kann. Manch junger Gründer vergisst neben dem durchaus vorhandenen fachlichen Know-how die unternehmerischen Aspekte als Unternehmer/ Selbstständiger.
Zunächst das Positive: Was versprechen sich junge Gründer, wenn Sie in den Versicherungs- und Finanzvertrieb gehen? Was sind ihre Motive?
Zunächst einmal spielt durchaus die Aussicht auf ein attraktives Einkommen eine Rolle. Ob dieses erzielt werden kann, hängt natürlich von vielen Faktoren ab. Einem Selbstständigen wird nichts geschenkt – so sind 30 Tage Urlaub, die oftmals einem Angestellten zustehen, mehr als illusorisch. Aber auch die Aussicht auf eigene Entscheidungsgewalt und das Durchsetzen von eigenen Ideen spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle.
…und was sind häufige Ängste und Sorgen, wenn junge Vermittler eine eigene Agentur oder ein eigenes Maklerbüro gründen?
Ängste und Sorgen basieren in der Regel auf einer nicht überlebensfähigen Unternehmensstruktur. Also die Frage: Kann ich genügend Einnahmen erzielen, um meinen Lebensunterhalt bedienen zu können? Gerade wenn der junge Vermittler vorhat eine eigene Familie zu gründen, steht das Thema Finanzen ganz oben auf der Tagesordnung. Daher ganz wichtig – eine fundierte Planung mit Experten (Steuerberater, Berater, IHK-Gründungsberater) erstellen und Chancen und Risiken abwägen.
Leider erlebe ich aber auch ab und zu, dass junge Gründer eine falsche Vorstellung von der zu investierenden Arbeitszeit haben. Den „geregelten“ Arbeitstag gibt es in dieser Branche nicht, wie auch generell nicht in der Selbstständigkeit.
Früher fanden viele Vermittler über die Familie oder als Quereinsteiger den Weg in die Branche: zum Beispiel, weil die Eltern Versicherungen vermittelten. Wie sehen heutige Berufseinstiege aus? Hat sich das geändert?
Mann kann eigentlich nicht sagen, dass sich dies grundsätzlich geändert hat. Ich habe erst vor kurzem wieder einen Gründer betreut, der die Agentur des Vaters übernimmt. Aber dieser hat auch die besten Voraussetzungen. Es handelt sich um einen gut eingeführten Betrieb mit einem gewachsenen Kundenstamm. Und der junge Nachfolger hat das Handwerk von Grund auf gelernt – allerdings nicht im väterlichen Betrieb, sondern extern. Somit steigt er jetzt gut vorbereitet ein. Er weiß genau, was auf ihn zukommt und ist vertrieblich, fachlich aber auch kaufmännisch bestens gerüstet.
Ein Aspekt, der nicht zu vernachlässigen ist, ist die Ausbildung im Maklerbetrieb. Dies ist nach wie vor ein guter Zugangsweg, um Vermittlernachwuchs zu rekrutieren. Ich habe mit Mandanten in den letzten Jahren gute Erfolge in diesem Bereich erzielen können. Natürlich heißt das nicht generell, dass der ausgelernte Azubi dann im Betrieb bleibt, aber die Chancen sind nicht unrealistisch.
Empfehlen Sie einen möglichst hohen Bildungsabschluss, wenn man als Vermittler tätig werden will? Wenn ja, welche bieten sich an?
Ich bin nicht der Meinung, dass der Bildungsabschluss eine entscheidende Rolle spielt. Als wichtig sehe ich eigentlich Kompetenzen an, die man nicht lernen kann oder nur erlernbar ist wenn eine gewisse Grundbegabung vorhanden ist. Hierzu zählt für mich vor allem die soziale Kompetenz – eben der Umgang mit Menschen.
Aber ohne Weiterbildung, neben der gesetzlich vorgeschriebenen Weiterbildung, geht es auch in der Vermittlerbranche nicht. Grundsätzlich ist eine Höher- oder Weiterqualifikation jederzeit möglich, natürlich verbunden mit dem entsprechenden Zeitaufwand. Hierzu gibt es auf dem Markt eine ganze Reihe von sehr gut qualifizierten Weiterbildungsanbietern.
Entsprechend Ihrer Webseite betreuen Sie sowohl Agenturen als auch freie Makler bei der Existenzgründung. Angenommen, ein junger Gründer weiß noch nicht, ob er Makler oder Vertreter werden will: Wo sind hier die wesentlichen Unterschiede?
Das ist ein sehr schwieriger Aspekt. Grundsätzlich ist eine Entscheidung, die der Gründer auch auf Grund seiner eigenen Ausrichtung treffen muss. Will ich mich an ein Unternehmen binden und deren Erfüllungsgehilfe sein oder will ich als freier Vermittler auf Seiten des Kunden stehen, verbunden mit allen Risiken, die sich daraus ergeben?
Natürlich hängt dies auch vom Markt ab. Und hier befinden wir uns in einem Verdrängungswettbewerb. Auf den Punkt gebracht, würde ich es keinem Existenzgründer in dieser Branche empfehlen, wenn er vorhat sich als Makler niederzulassen, ohne einen schon vorhandenen Kundenstamm oder Bestand zu gründen. Die sogenannte „Gründung auf der grünen Wiese“ ist mit sehr vielen Risiken verbunden, die nicht abschätzbar sind.
Der Gründer als gebundener Vermittler (also Ausschließlichkeit) tut sich in diesem Falle etwas leichter. Gesellschaften vergeben Bestände und unterstützen zum Teil auch finanziell. Aber die Entscheidung, in welche Richtung ich gehen will, hängt von vielen Faktoren ab und erfordert somit eine sorgfältige Planung und einen intensiv ausgearbeiteten Business-Plan.
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...brauchen Gründer viel Startkapital?
Versicherungsbote: Braucht die Existenzgründung als Vermittler eigentlich viel Startkapital? Woher bekommt man es?
Peter Brandmann: Auch das hängt natürlich von der Form der Gründung ab. Will ich als Makler meine Selbstständigkeit aufbauen und einen Kundenbestand eines verkaufswilligen Mitbewerbers übernehmen, brauche ich in der Regel finanzielle Mittel, um dies realisieren zu können. In anderen Fällen halten sich die Investitionskosten in Grenzen. Büroeinrichtung, technische Ausstattung und vielleicht noch ein Kfz (was dann in der Regel geleast wird) sind Investitionen, die anfallen.
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Gerade bei gebunden Vermittlern helfen zum Teil wieder die Gesellschaften. Ist dies nicht der Fall, bleibt in der Regel der Gang zur Bank — und dieser will sehr gut vorbereitet sein. Denn eine Existenzgründung und dann noch in der Branche der Versicherungsvermittlung löst bei den Kreditinstituten nicht gerade Begeisterungsstürme aus.
Vertrauen ist ein wichtiges Kapital; doch der Ruf der Branche insgesamt schlecht, wie Umfragen immer wieder bestätigen. Was können denn gerade junge Vermittler tun, um das Vertrauen der Kundinnen und Kunden zu gewinnen?
Ich denke, dass die gesamte Branche mehr für die Verbesserung des Rufes unternehmen muss. Die Regulierungen der letzten Jahre haben dazu beigetragen, dass der Berufsstand der Versicherungsvermittler mehr Qualität erfahren hat. Als Vermittler sollten speziell die Existenzgründer sich bei Ihren Kunden eine Vertrauensbasis aufbauen. Gerade aus Empfehlungen heraus lassen sich wieder notwendige Neukunden gewinnen. Eine seriöse und vor allem bedarfsgerechte Beratung ist hierbei das A und O.
…können Sie — unabhängig von Ihrer Expertise — Netzwerke und Anlaufstellen empfehlen, wo sich junge Vermittler vernetzen und austauschen können? Wer leistet Starthilfe?
Hier unterstützen durchaus verschiedene Vermittlerverbände, der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) oder auch die Industrie- und Handelskammern. Den Besuch eines Existenzgründerseminars halte ich durchaus für empfehlenswert. Eine interessante Möglichkeit ist auch die Nutzung der Existenzgründerplattform „startothek“. Hier kann der Gründer einen Fahrplan mit relevanten Informationen erhalten und ist somit, was die Voraussetzungen betrifft, bestens gerüstet. Hier gibt es auch einen Fachartikel zum Thema Gründung in der Versicherungsbranche.
Macht es aus Ihrer Sicht Sinn, Altbestände aufzukaufen — auch wenn man selbst vielleicht bisher wenig Erfahrung hat?
Diese Frage ist nicht einfach und auch nicht in wenigen Sätzen zu beantworten. Gerade der Bestandskauf ist mittlerweile ein schwieriges Unterfangen, bei dem es viele Parameter zu berücksichtigen gilt. Das geht natürlich vom Kaufpreis über die technische Aufbereitung bis hin zu den rechtlich sauberen Voraussetzungen. In jedem Falle sollte sich hier professionelle Hilfe geholt werden.
Unterstützen die Versicherer aus Ihrer Sicht die Existenzgründung von Vertriebskräften ausreichend? Was könnte besser funktionieren?
Es gibt sicherlich immer Optimierungsbedarf. Es muss aber auch die Frage gestellt werden, inwieweit dies eine Aufgabe des Versicherers ist. Gehen wir auf die Ausschließlichkeit ein, dann unterstützen die Versicherer durchaus mehr oder weniger die Schritte in die Selbstständigkeit. Hier ist die Notwendigkeit erkannt und Versicherungsgesellschaften bedienen sich interner oder externer Coaches. Beim Maklernachwuchs liegt der Fall etwas anders. Praktisch können hier die Versicherer nicht unterstützen, da der Makler ja als unabhängiger Vermittler, als Sachwalter des Kunden agiert. Somit ist der „Maklergründer“ mehr auf sich selbst angewiesen, kann sich aber hier Unterstützung durch Maklerverbände oder spezialisierte externe Berater holen.
Bei externen Beratern würde ich immer darauf achten, dass dieser aus der Branche kommt und diese auch intensiv kennt. Wir zum Beispiel beraten ausschließlich Versicherungsvermittler (Agentur/Vertreter und Makler). Die Branche ist sehr komplex und mit vielen Fallstricken gerade bei der Gründung versehen.
Beratungsfirmen wie Adcubum prophezeien einen baldigen Vermittlerschwund, weil digitale Technik die Berater ersetzen könnte: Alexa berät statt Herr Kaiser. Wie bewerten Sie die Chancen für Berufseinsteiger, langfristig einen guten Job zu haben? Macht es aus Ihrer Sicht überhaupt noch Sinn, in der Branche tätig zu werden?
Ich halte die Branche nach wie vor interessant und auch für die Zukunft lebensfähig, mit einer vernünftigen Ertrags-/Gewinnspanne. Sicherlich werden einfache Versicherungsprodukte immer stärker in den Direktabschluss gehen. Dies ist betriebswirtschaftlich auch sinnvoll, denn hier ist die Rentabilität für den Vermittler (Kosten-Ertragsbetrachtung) nicht mehr gegeben. Erklärungsbedürftige und komplexe Lösungen brauchen nach wie vor einen fachlich kompetenten Vermittler, der eine Lösung – zugeschnitten auf die jeweilige Problematik - findet.
Nicht ganz außer Acht lassen dürfen wir bei dieser Betrachtung den Gesetzgeber. Wie entwickelt sich die Zukunft? LVRG II oder Provisionsdeckel sind ja in aller Munde und können Auswirkungen auf die Ertragssituation der Vermittler haben.
Der Vermittlerschwund laut Vermittlerregister hat in den letzten Jahren ja bereits auf allen Ebenen eingesetzt – hier entsteht durchaus eine gesunde Marktbereinigung. Sicherlich geht der Trend in den nächsten Jahren hin zu größeren Vermittlerbetrieben. Zusammenschlüsse, um Synergieeffekte zu erzielen sind hierfür ein adäquates Mittel. Also weg vom Einzelvermittler – hin die Gemeinschaftsagenturen oder größeren Maklerbetrieben.
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Die Fragen stellte Mirko Wenig
- „Für Existenzgründer im Vertrieb sind 30 Tage Urlaub mehr als illusorisch“
- ...brauchen Gründer viel Startkapital?