Berufsunfähigkeit: Wie bedarfsgerecht sind vermeintliche BU-Alternativen?
Bestimmte Berufsgruppen wie Dachdecker oder Handwerker müssen für eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) enorm hohe Kosten zahlen. Wer sich das nicht leisten kann, wird von Vermittlern oft auf Ausweichprodukte wie Grundfähigkeits-, Multirisk- oder Dread-Disease-Policen verwiesen. In einem Blogbeitrag kritisiert nun Versicherungsmakler Gerd Kemnitz, ein solcher Rat sei in vielen Fällen nicht bedarfsgerecht: Es handle sich schlicht nicht um eine Absicherung der Arbeitskraft.
- Berufsunfähigkeit: Wie bedarfsgerecht sind vermeintliche BU-Alternativen?
- bedarfsgerechte Beratung - oder Verkaufsgespräch?
Wenn Menschen ihre Arbeitskraft absichern wollen, dann ist eine private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) hierfür erste Wahl. Sie allein sichert Status und Einkommen des zuletzt ausgeübten Berufes ab. Doch weil die Policen teuer sind und Vorerkrankungen sich oft negativ auswirken, empfehlen viele Vermittler vermeintliche Ausweichprodukte. In der Regel sind das Grundfähigkeits-, Dread Disease- und Multirisk-Verträge.
Anzeige
Dass diese Policen als Alternative nicht taugen, weil sie kaum ein vergleichbares Absicherungsniveau bieten, wurde in der Branche schon oft kritisiert. Einer der Mahner ist Gerd Kemnitz, Versicherungsmakler aus Stolberg und Biometrie-Experte. In einem umfangreichen Blogbeitrag versucht Kemnitz nun aufzuzeigen, warum der Rat zu vermeintlichen Alternativen oft gegen die Grundsätze einer bedarfsgerechten Beratung verstoßen könnte. Zugleich kritisiert er die Versicherungsbranche scharf: gerade jene, die ihre Arbeitskraft am ehesten schützen müssten, finden oft kein geeignetes Produkt.
Mangel, Bedarf, Nachfrage
Um seine Argumente zu stützen, betrachtet Kemnitz zunächst vier Begriffe gemäß ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Bedeutung: "Mangel", "Bedürfnis", "Bedarf" und „Nachfrage“. Sein Argumentationsweg soll hier stark vereinfacht nachgezeichnet werden.
Zunächst gehe es darum, dem Verbraucher einen Mangel aufzuzeigen, im Fall der BU also die fehlende oder unzureichende finanzielle Absicherung der Arbeitskraft bei Krankheit oder nach einem Unfall. Dies weckt beim Kunden das Bedürfnis, den erkannten Mangel zu beseitigen, also eine Berufsunfähigkeits-Police in angemessener Höhe und Dauer abzuschließen. Beim Bedürfnis findet noch keine Berücksichtigung, ob derjenige Vorerkrankungen, eine eingeschränkte Kaufkraft oder einen besonders riskanten Beruf hat. Ganz gleich, ob Bürokaufmann oder Fließenleger: es geht erst einmal um den Wunsch, den Mangel abzustellen.
Nun aber kommt der Bedarf ins Spiel: gemeint ist die Suche nach einem geeigneten und eben bedarfsgerechten Produkt. Hier geht es nun darum, den Wunsch des Verbrauchers mit seinen individuellen Voraussetzungen und der Kaufkraft in Einklang zu bringen. Damit werden all jene Dinge relevant, die den Abschluss eines BU-Vertrages erschweren. Also Vorerkrankungen, Alter, Risikoberufe und riskante Hobbies wie Reiten oder Klettern. Und nicht zuletzt, wenn der Kunde eine eher kleine Lohntüte hat.
Mangel aufzeigen — und das passende Produkt
Dem Vermittler kommt es nun zu, dem Kunden den Mangel aufzuzeigen — und das passende Produkt zu empfehlen, eben bedarfsgerecht zu beraten. Klingt einfach, ist es aber gerade mit Blick auf BU-Risiken nicht. Kemnitz betont zunächst die Notwendigkeit, schon früh für das Risiko der Berufsunfähigkeit zu sensibilisieren. Die Gründe sind bekannt. Junge und gesunde Menschen ohne Vorerkrankungen bekommen von den Versicherern leichter einen BU-Schutz als jene, bei denen der Rücken schon schmerzt oder die sich in dauerhafter psychologischer Behandlung befinden. Das Problem: Gerade diese Menschen können sich oft kaum vorstellen, einmal Job und Einkommen zu verlieren. Das Thema ist noch sehr weit weg.
Anzeige
Das zweite Problem, vor dem Vermittler mit Blick auf den BU-Schutz stehen, ist ein Marktversagen. Kemnitz nennt das in seinem Text nicht explizit so. Zeigt aber Symptome hierfür auf. Denn „gerade die Berufsgruppen, die am meisten von Berufsunfähigkeit bedroht sind, können sich eine umfassende Berufsunfähigkeitsversicherung kaum leisten“, schreibt der BU-Experte. Menschen also, die einen risikoreichen Beruf haben, riskante Hobbies oder bereits Vorerkrankungen. „In diesen Fällen stellt die Versicherungsbranche häufig keine sinnvollen Lösungen bereit. Mögliche Absicherungen sind dann entweder zu teuer oder decken das Bedürfnis nur sehr eingeschränkt ab“, so der Makler.
bedarfsgerechte Beratung - oder Verkaufsgespräch?
Das Problem vieler Vermittler ist nun, dass sie auf die schwierige Marktsituation reagieren müssen. Oder anders formuliert: Während ein dringender Bedarf für fast alle Berufstätigen besteht, den drohenden Verlust der Arbeitskraft abzusichern, werden sie vielen Kunden keinen passenden Schutz anbieten können. Mögliche Absicherungen sind entweder zu teuer oder sichern den Bedarf nur bedingt ab.
Hier geraten die Vermittler nun in die Versuchung, eben nicht bedarfsgerecht zu beraten, gibt Gerd Kemnitz zu bedenken. Er identifiziert zwei Ausweichmanöver. Entweder wird das Bedürfnis nach Absicherung der Arbeitskraft erst gar nicht aufgezeigt, weil der Vermittler im Grunde weiß, sein Kunde wird nur schwer und teuer einen Schutz bekommen. Also wird der Blick auf ein anderes Problem gelenkt, um Alternativprodukte zu vermitteln. Wer seinem Kunden das Risiko aufzeigt, an einer schweren Krankheit zu erkranken, kann dann zum Beispiel sogenannte Dread-Disease-Versicherungen verkaufen. Bei diesen erbringt der Versicherer eine Leistung, wenn der Versicherungsnehmer an einer jener Krankheiten erkrankt, die genau im Vertrag definiert sind. Die Einstiegshürden für solch einen Vertrag sind niedriger, auch wenn sie teils ebenfalls recht teuer sind.
Anzeige
“Häufig orientieren sich Vermittler nicht am Bedürfnis des Verbrauchers, sondern an den Vermittlungschancen“, kritisiert der Makler. „Dadurch wird das Gespräch verkaufsorientiert. Der Vermittler hebt genau ein Produkt als Alternative hervor, obwohl dieses das Bedürfnis nur extrem eingeschränkt stillt“. Ohne im Detail darauf einzugehen, seien hier nur die wichtigsten Nachteile genannt, weshalb Dread Disease zur Absicherung der Arbeitskraft kaum taugt: Psychische Krankheiten sind oft gar nicht versichert oder nur mit einer sehr niedrigen Summe. Genau diese sind mit 37 Prozent aller neuen BU-Fälle aber häufigste Ursache, weshalb jemand seinen Beruf aufgeben muss.
Was hat eine Grundfähigkeits-Police mit der Arbeitskraft zu tun?
Das zweite Manöver von Anbietern und Vermittlern besteht darin, das Bedürfnis nach Absicherung der Arbeitskraft sehr wohl aufzuzeigen: Aber dann eine Police zu empfehlen, die den Bedarf nicht oder nicht ausreichend deckt, ohne über deren Schwächen aufzuklären. Kemnitz verdeutlicht dies an einer Werbung der HUK-Coburg für eine Grundfähigkeits-Police. Darin wird darauf hingewiesen, dass jeder vierte Deutsche seinen Beruf nicht bis zur Rente ausüben kann, damit die Existenz bedroht ist. „Denn was macht ein Tischler, der nur noch eine Hand bewegen kann? Oder eine Krankenschwester, die nicht mehr schwer heben kann? Im schlimmsten Fall stehen sie alle ohne Einkommen da. Eine günstige Absicherung der Grundfähigkeiten ist deshalb für alle Berufsgruppen unerlässlich“, schreibt die HUK.
Aus Sicht von Kemnitz ist das schlicht Verbrauchertäuschung. Die Grundfähigkeitsversicherung zahlt eben nicht, wenn jemand berufsunfähig wird, sondern nur dann, wenn bestimmte Grundfähigkeiten (wie Sehen, Hören, Gehen, Sprechen oder Denken) verloren gehen. Die Kriterien für den Leistungsfall sind zudem sehr streng. Für den Sehverlust definieren zum Beispiel viele Anbieter ein Restsehvermögen von 5 Prozent: Man muss schon ziemlich blind sein, um die Leistung zu erhalten. Wenn die Krankenschwester zehn Prozent Restsehkraft auf beiden Augen hat, wird sie ihren Beruf ganz sicher nicht mehr ausüben können: die Grundfähigkeits-Police zahlt dann aber noch lange nicht.
"Es ist nicht Ihre Aufgabe, schlechte Produkte schönzureden!"
„Warum zeigt der Versicherer nicht einfach auf, wie viele Personen vor Erreichen des Rentenalters den Verlust einer versicherten Grundfähigkeit erleiden?“, fragt Kemnitz. Hier könnte man spöttisch anmerken: Weil dann die Zielgruppe und das Interesse an dem Produkt deutlich schrumpfen würden.
Anzeige
Gerd Kemnitz empfiehlt Vermittlern, hier nicht am Bedarf vorbeizuberaten. „Es ist nicht Ihre Aufgabe, schlechte Produkte schönzureden“, schreibt er auf der Webseite an Kolleginnen und Kollegen adressiert. Das bedeutet auch ein erhebliches Haftungsrisiko, Stichwort: Falschberatung. Es gebe mehrere Notlösungen, wenn der Vertrag tatsächlich zu teuer ist, argumentiert Kemnitz: zum Beispiel eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit reduzierter BU-Rente oder eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Aber: "Eine bedarfsgerechte Beratung muss auch die Nachteile der Alternativen und Notlösungen aufzeigen und darf diese keinesfalls kleinreden."
- Berufsunfähigkeit: Wie bedarfsgerecht sind vermeintliche BU-Alternativen?
- bedarfsgerechte Beratung - oder Verkaufsgespräch?