Versicherungsbote: Liest man Meldungen zur neuen Versicherungsvermittlungsverordnung (VersVermV), scheinen die Auswirkungen widersprüchlich. So erklärte der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW) zu Jahresbeginn aufgrund einer Umfrage: Für fast jede zehnte Vermittlerin bzw. jeden zehnten Vermittler könnten die IDD-Reformen ganz das Aus bedeuten. Welche Personen sind hier besonders gefährdet?

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Matthias Beenken: Die VersVermV selbst ist meines Erachtens kein Grund für eine Geschäftsaufgabe. Sie legt ja nur aus, was die Gewerbeordnung verlangt. Aber wahrscheinlich ist tatsächlich der gesamte Themenkomplex „Umsetzung der IDD“ gemeint. Hier kann man schon Veränderungen beobachten, aber nicht so sehr bei der Klientel des AfW. Im vergangenen Jahr – sozusagen dem Jahr 1 nach IDD – hat es vor allem die gebundenen erlaubnisfreien Vertreter „erwischt“. Es sind erneut fast 19.000 von den Versicherern ausgetragen worden. Man kann nur spekulieren, aber es scheint durchaus plausibel, dass das mit der Weiterbildungspflicht nach IDD zusammenhängt. Jedenfalls für Nebenberufler dürfte dies zu aufwendig sein. Aufschlussreich ist, dass zeitgleich die Zahl der produktakzessorischen Vertreter um ungewöhnliche knapp 700 Eintragungen gestiegen ist – diese Vermittlerkategorie ist aber von der Pflicht zur regelmäßigen Weiterbildung frei.

Zugleich gaben 42,8 Prozent der Befragten an, aufgrund der IDD-Umsetzung hätte es bei ihrer Arbeit überhaupt keine Veränderung gegeben. Hier werden die Auswirkungen eher minimal geschätzt. Eine gesunde Gelassenheit – oder werden die Auswirkungen hier unterschätzt?

Beides dürfte häufig vorkommen. Denn meines Erachtens sind die Auswirkungen der IDD keineswegs so gravierend, dass deshalb Panikmache angezeigt ist. Aber es gibt, so glaube ich, auch zunehmend Vermittler, die regulierungsmüde sind und sich einfach gar nicht mehr damit beschäftigen. Das ist fahrlässig. Wir haben das gerade am Beispiel Fernabsatz gesehen, wo sich gut die Hälfte der von uns untersuchten Vermittler offensichtlich keinerlei Gedanken gemacht hat, was denn Beratungs- und Dokumentationspflicht im Internet bedeutet. Hier werden serienmäßig künftige Schadensersatzansprüche produziert.

Abschnitt 4 der neuen VersVermV definiert unter anderem die neuen Anforderungen an die Geschäftsorganisation. Erfährt die Vermittlertätigkeit durch neue Anforderungen wesentliche Veränderungen? Werden die neuen Anforderungen stark in den Arbeitsalltag der Vermittler eingreifen?

Es kommen wieder ein paar bürokratische Pflichten hinzu. Flapsig gesprochen, sollen die Aktenschränke mit einigen weiteren Ordnern gefüllt werden. In diesem Fall geht es um die Produktfreigabe-Informationen der Versicherer, die gesammelt werden müssen, um Überprüfung und Dokumentation der interessenskonfliktarmen Vergütung und Steuerung der Mitarbeiter sowie ein „Logbuch“ der Beschwerden. Das ist lästig, aber nicht schwer umzusetzen. Wer in der glücklichen Lage ist, Mitarbeiter zu haben, sollte sich mit diesen kurz zusammensetzen, die Anforderungen durchsprechen, einen Prozess und den oder die Verantwortliche dafür bestimmen und in größeren Abständen die Einhaltung kontrollieren. Dann ist das Ganze schnell betriebliche Übung und genauso in Fleisch und Blut übergegangen wie zum Beispiel das Prüfen, Sortieren und Aufbewahren der Kontoauszüge.

Dass Vermittler aufgrund der neuen VersVermV das Aus befürchten, scheint keineswegs unbegründet. Sie diagnostizierten in einem Ihrer Artikel: „IDD hinterlässt tiefe Spuren im Vermittlerregister“. Nun klagt zwar die Branche seit Jahren über einen Rückgang der Vermittlerzahlen. Ein Rückgang durch strengere Bildungsanforderungen aber könnte zum Beispiel auch die Expertise in der Branche stärken. Wie bewerten Sie den aktuellen Schwund im Vermittlerregister?

Wie oben schon erwähnt, vermute ich, dass verstärkt Nebenberufler aufgrund nicht zumutbarer Bildungsanforderungen ausscheiden. Möglicherweise beschleunigt die IDD auch den einen oder anderen Ruhestandsplan bei Maklern und Mehrfachvertretern, wo es 2018 auch zu leichten Rückgängen der Anzahl der Registrierungen gekommen ist. Aber Sie haben Recht, das muss man nicht nur negativ sehen. Die Vermittlerschaft in Deutschland ist bereits seit längerem auf einem Weg, der von einer Vielzahl semiprofessioneller Geschäftsmodelle hin zu konzentrierten, professionellen Geschäftsmodellen führt. Diesen Weg sind auch andere Branchen lange vorher gegangen. Es gab mal in jedem Stadtteil eine Tankstelle, einen Bäcker, einen Metzger etc. Das ist heute alles anders. Trotzdem wird getankt, werden Brötchen und Würstchen gekauft. Warum also nicht auch Versicherungen?

Aufpassen muss die Branche allerdings schon, dass sie ein zentrales Alleinstellungsmerkmal nicht unterschätzt und leichtfertig aufgibt: die persönliche Nähe zum Menschen. Ich denke, selbst die jungen Kunden wollen ihre Vorsorge weiterhin noch mit einem Menschen und nicht mit einem Chatbot oder mit einer plappernden Blechbüchse eines amerikanischen Internetkonzerns in der eigenen Wohnung besprechen.

Gibt es aus Ihrer Sicht negative Auswirkungen der neuen Verordnung? Zum Beispiel, weil mit bestimmten Geschäftsmodellen auch die Produktvielfalt abnehmen könnte?

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Nein, solche Auswirkungen sehe ich nicht.

"Beschwert sich ein Kunde, kümmert man sich darum"

Versicherungsbote: Stichwort Beschwerdemanagement: Zwar fordert Paragraph 17 VersVermV explizit eine Beschwerdemanagementfunktion, „die Beschwerden untersucht und dabei mögliche Interessenskonflikte feststellt und vermeidet.“ Die Begründung zur Verordnung jedoch verweist auf einen „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, ohne zu definieren, ab welcher Betriebsgröße ein Beschwerdemanagement vorzuhalten ist. Was raten Sie – wie sollen insbesondere einzelne Vermittler und kleine Betriebe nun reagieren? Und sehen Sie in dieser fehlenden Bestimmung ein Problem der Umsetzbarkeit?

Matthias Beenken: Die Aussage in der Begründung ist in der Tat wenig hilfreich. Aber die Umsetzung ist, glaube ich, nicht schwer: Vermittler ohne Mitarbeiter brauchen sich keine Gedanken über die Einrichtung einer „Funktion“ zu machen – der Inhaber oder die Inhaberin ist für alles selbst zuständig. Sind Mitarbeiter hingegen vorhanden, die mehr als nur die Ablage im Büro machen, dann würde ich empfehlen, einen solchen Mitarbeiter per Stellenbeschreibung mit der Aufgabe „Beschwerdemanagement“ zu betrauen und auf der Homepage namentlich zu nennen.

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Alle Vermittler sollten einen Prozess festlegen, der sicherstellt, dass jede – egal, auf welchem Kanal geäußerte – Beschwerde erfasst und der weitere Umgang damit dokumentiert wird. Das sollte in jedem gut geführten kaufmännischen Betrieb, der zudem von der Erbringung von Dienstleistungen lebt, eine Selbstverständlichkeit sein: Beschwert sich ein Kunde, kümmere man sich darum. Nur dass dieses „Kümmern“ auch aufgeschrieben werden soll. Da reicht es wahrscheinlich, in einer Art Logbuch zu notieren, wer sich wann und warum beschwert hat, wie die Beschwerde weiter behandelt und beantwortet oder an wen sie weitergeleitet wurde, und ob sie erledigt werden konnte. Bei einer Weiterleitung – meist wird das an den Versicherer sein – sollte eine Wiedervorlage angelegt und im Bedarfsfall die Erledigung angemahnt werden.

Sehen Sie die Rechtssicherheit durch die neue Verordnung gestärkt? Und gibt es Punkte, in denen die VersVermV neue Unsicherheiten schafft?

Es gibt in der ganzen IDD-Umsetzung sehr viele Unsicherheiten, die teils schon von der Richtlinie verursacht wurden, teils aber auch vom deutschen Gesetzgeber. Wie schon bei der Umsetzung der Vermittlerrichtlinie, wird es auch diesmal viele Jahre dauern, bis die Rechtssprechung die eine oder andere Rechtsfrage geklärt hat. Besonders schwierig sind immer unbestimmte Rechtsbegriffe, die in jedem Einzelfall ausgelegt werden müssen.

Paragraph 19 der neuen VersVermV regelt die Vergütung. So darf die Zuwendung nicht die Verpflichtung des Gewerbetreibenden beeinträchtigen, im besten Interesse des Versicherungsnehmers ehrlich, redlich und professionell zu handeln. Erwarten Sie, dass bestimmte Vergütungsformen nun eingestellt werden, die diese Bedingung nicht erfüllen? Welche Formen der Vergütung werden durch die neue Verordnung in Frage gestellt?

Da finde ich die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2359 zu Informations- und Wohlverhaltenspflichten beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten sehr aufschlussreich. Die gilt übrigens unmittelbar für jeden Versicherer und jeden Vermittler – ich erlebe derzeit in Veranstaltungen, dass nahezu niemand diese Verordnung überhaupt nur einmal gelesen hat. Das ist fahrlässig!

Auch wenn sich die Verordnung nur mit Versicherungsanlageprodukten befasst, sind deren Regeln doch auf alle Versicherungen übertragbar, weil es sonst zu neuen Interessenkonflikten kommen kann, wenn nur diese eine Produktkategorie konfliktfrei, andere hingegen weiter konfliktreich angereizt und vertrieben werden. Besonders empfehlen kann ich den Artikel 8 dieser Verordnung, der mehrere recht konkret beschriebene Sachverhalte benennt, die das Risiko des Fehlanreizes erhöhen. Danach dürften insbesondere Geschäftspläne und Wettbewerbe nicht mehr vorkommen, in denen ausschließlich einzelne Produkte gepusht werden, die aber in bestimmten Bedarfssituationen eines Kunden gar nicht optimal sein werden. Auch Produkte, bei denen 50 Prozent und mehr der Prämie als Provision kalkuliert sind, sollten dann wohl nicht mehr vertrieben werden. Ebenso wenig Lebens- und Krankenversicherungen ausschließlich gegen Abschlussprovision und nicht auch wenigstens in Teilen gegen eine laufende Provision. Sehr problematisch scheinen schließlich Staffelvergütungen und ähnliche Modelle zu sein, bei denen eine erhebliche Mehrvergütung durch Überspringen eines Schwellenwertes erzielt wird. Vor allem das Alles-oder-nichts-Prinzip dabei ist kritisch, wenn also zum Beispiel ein einziger zusätzlicher Euro Neugeschäftsprämie entscheidet, ob es eine Zusatzvergütung auf das Gesamtneugeschäft gibt.

Paragraph 18 VersVermV geht auf die „Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten“ ein. In einem Artikel, in dem Sie Ratschläge zur neuen Verordnung gaben, schrieben Sie dazu: “Der beste Schutz vor dem Vorwurf, sich von Interessenkonflikten beeinflussen zu lassen, ist eine gute Beratung und eine dazu passende Beratungsdokumentation.“ Sehen Sie das Ziel durch die neue VersVermV erreicht, gute Beratung zu stärken? Und sehen Sie auch verpasste Chancen oder sogar Regelungen, die das Gegenteil bewirken könnten?

Mit Beratung hat die VersVermV eher wenig zu tun. Das ist ein Thema des VVG und damit von Regeln, die schon im IDD-Umsetzungsgesetz Anfang 2018 angepackt worden sind. Wirklich gelungen sind diese Regeln allerdings nicht. Der Gesetzgeber hat vergeblich versucht, die IDD-Regeln in eine andersartige Struktur des VVG mit Gewalt hineinzusetzen, anstatt die Struktur der §§ 6 und 61 VVG zu ändern. Nun sind die Verwirrung und die Chance groß, in gutem Glauben an deutsches Recht gegen das höherrangige Europarecht zu verstoßen. Das kann man in der eben erwähnten Untersuchung des Fernabsatzes von 67rockwell gut erkennen – viele Versicherer und auch viele Vermittler verleiten die Kunden leichtfertig zum Verzicht auf alle ihre Rechte, selbst da, wo die Richtlinie keine Wahl gelassen hat: Wer Versicherungen vertreibt, muss der Frage nachgehen, ob die Versicherung zum Wunsch und zum Bedarf des Kunden passt. Hier ist eine große Chance verpasst worden, und die Gerichte werden nun wieder als Reparaturbetrieb missbraucht werden.

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Die Fragen stellte Sven Wenig

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