Mehrheit der Versicherer und Finanzdienstleister erwartet Stellenabbau im eigenen Unternehmen
Mehr als alle anderen Branchen rechnet die Branche der Banken und Versicherungen mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung. Das zeigt eine Umfrage unter Entscheidern und Führungskräften, die das F.A.Z. Institut zusammen mit der IT-Beratungsgesellschaft Sopra Steria durchführte. Digital gut aufgestellt sehen die Entscheider ihre eigenen Unternehmen noch nicht. Der Versicherungsbote hat sich ausgewählte Ergebnisse der Studie angesehen.
- Mehrheit der Versicherer und Finanzdienstleister erwartet Stellenabbau im eigenen Unternehmen
- Digitalisierung der Finanzdienstleister: Besonders hinterher?
Werden in der Finanz- und Versicherungsbranche durch die Digitalisierung Arbeitsplätze wegfallen? Eine Umfrage gibt erneut, wie bereits vorherige, Anlass zur Sorge. Und diese Studie leistet sogar einen Branchenvergleich. Wollten doch das F.A.Z. Institut und die IT-Beratungsgesellschaft Sopra Steria wissen, wie die digitale Transformation in Unternehmen aktuell abläuft und Erwartungen erfragen, die damit verknüpft sind.
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354 Entscheider wurden hierzu befragt – die meisten in der Position leitender Angestellter, ebenso aber auch Geschäftsführer und Vorstände. Aus der Finanz- und Versicherungsbranche kamen 43 Prozent der Befragten (zusammengefasst unter Finanzdienstleister). Weitere 36 Prozent der Umfrageteilnehmer sind im verarbeitenden Gewerbe tätig und 21 Prozent in dem Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen (zum Beispiel Energie- und Wasserversorgung).
Verarbeitendes Gewerbe und öffentliche Verwaltung: kein großer Arbeitsplatzabbau befürchtet
Die „Potenzialanalyse“ erlaubt Einblicke, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Vorstände verschiedener Branchen bei der Digitalisierung sehen. Eines der am wenigsten einheitlichen Bilder über alle Branchen hinweg zeigt sich für die Frage, wie sich die Digitalisierung „langfristig“ auf die „Zahl der Arbeitsplätze“ auswirken wird.
Die Branchen verarbeitendes Gewerbe sowie öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen küren eine übereinstimmende Top-Antwort auf diese Frage: Zwar würde die Digitalisierung "Tätigkeiten verändern", jedoch "kaum Einfluss auf die Zahl der Arbeitsplätze haben". 63 Prozent der Befragten aus dem verarbeitenden Gewerbe und 62 Prozent der Befragten aus dem Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen stimmen dieser Aussage zu: das sind die meisten Nennungen.
Nun spielt die Angst vieler Menschen, die Digitalisierung werde Arbeitsplätze vernichten, freilich auch für diese zwei Branchen eine Rolle. Entscheiden sich doch immerhin 26 Prozent der Befragten aus dem verarbeitenden Gewerbe und 34 Prozent aus dem Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen für die Antwort, die Digitalisierung werde langfristig die Zahl der Arbeitsplätze „reduzieren“. Und doch: Vergleicht man diese zwei Branchen mit den Finanzdienstleistern, ergibt sich ein beunruhigender Kontrast für alle Beschäftigten der Versicherer und Banken.
Finanzbranche gegenüber anderen Branchen: Fragen-Mehrheit vertauscht
Zunächst: Mit 67 Prozent und zudem mit 21 Prozentpunkten Vorsprung wird für die Finanzdienstleister ein noch deutlicherer Sieger gekürt als für die anderen Branchen. Die Top-Antwort: 67 Prozent der Entscheider aus Banken und Versicherungen gehen davon aus, langfristig werde die Digitalisierung die Zahl der Arbeitsplätze in ihrer Firma „reduzieren“.
Den Favoriten der anderen Branchen, dass sich zwar Tätigkeiten ändern, jedoch nicht die Zahl der Arbeitsplätze, wählt hingegen nur jeder Vierte (26 Prozent) der Finanzentscheider – das Verhältnis der Antworten ist also gegenüber den anderen Branchen geradezu vertauscht. Mehr Arbeitsplätze durch die Digitalisierung erwarten nur vier Prozent. Die Sicht der Mehrzahl von Entscheidern aus der Finanzbranche wird also mit der Studie deutlich: Durch die Digitalisierung werden Arbeitsplätze überflüssig und demnach wegfallen.
Über alle Branchen hinweg: Schlechte Noten für das eigene Unternehmen
Einheitlicher zeigt sich ein anderes und ebenfalls in seiner Deutlichkeit überraschendes Bild der Umfrage: Viele Entscheider sehen das eigene Unternehmen nur unzureichend für die Digitalisierung gewappnet. Zur Frage nämlich, wie das eigene Unternehmen „aus Ihrer Sicht für die digitale Transformation aufgestellt“ ist, erteilen immerhin 85 Prozent aller Umfrageteilnehmer ihrem Unternehmen ein „befriedigend“ oder gar die schlechtere Note „ausreichend“ oder "mangelhaft“.
Für die Branche der Finanzdienstleister meinen 42 Prozent der Entscheider, ihr Unternehmen sei nur „befriedigend“ aufgestellt. 16 Prozent der Branche sehen gar das eigene Unternehmen nur „ausreichend“ für die digitale Transformation gewappnet. Und zwölf Prozent der Befragten aus der Finanz-Branche geben sogar nur ein „mangelhaft“ – wieder ein Rekord-Wert im Branchen-Vergleich.
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Entscheider der anderen Branchen jedoch sehen die Situation ebenso kritisch: Beim verarbeitenden Gewerbe vergeben 13 Prozent die Note „ausreichend“ und 11 Prozent die Note „mangelhaft“. Die Branche öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen hat mit 18 Prozent für die Note „ausreichend“ und fünf Prozent für die Note „mangelhaft“ ebenfalls ein schlechtes Gesamtbild zu beklagen.
Digitalisierung der Finanzdienstleister: Besonders hinterher?
Die Branche der Banken und Versicherungen ist also jene Branche, in der häufiger als in den anderen Branchen die Note „mangelhaft“ für das eigene Unternehmen vergeben wurde; zudem ein erwarteter Verlust von Arbeitsplätzen – steht es demnach gemäß der „Potenzialanalyse“ besonders schlecht um die Digitalisierung der Finanzdienstleister? Eine solche mögliche Schlussfolgerung wird durch andere Ergebnisse der Studie auffallend kontrastiert. Denn für nicht wenige Fragen fällt ein Branchen-Kontrast zum Vorteil der Finanzdienstleister auf.
Um Beispiele zu nennen: Die Finanzdienstleister leiden laut Studie am wenigsten unter fehlendem Know-how in der Umsetzung der Digitalisierung. Denn nur 36 Prozent der Befragten aus der Branche benennen dieses fehlende Wissen als Problem. Dem stehen 59 Prozent der Befragten aus dem verarbeitenden Gewerbe und immerhin noch 56 Prozent der Befragten aus dem Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen gegenüber. Worin aber Finanzdienstleister gegenüber den anderen Branchen ein Hauptproblem sehen (57 Prozent Nennungen für die Branche stehen hier zum Beispiel 27 Prozent Nennungen für das verarbeitende Gewerbe gegenüber): In der mangelnden Flexibilität der IT.
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Mitarbeiter mit Expertenwissen finden: Kein Problem für Finanzdienstleister
Die öffentliche Verwaltung und die Versorgungsunternehmen klagen laut Studie hingegen insbesondere über mitarbeiterbasierte Herausforderungen bei der Digitalisierung, zum Beispiel die „Verunsicherung“ der Beschäftigten: 44 Prozent Nennungen für die Verwaltung und die Versorgungsbranche stehen hier 28 Prozent Nennungen für die Finanzbranche gegenüber.
Überhaupt hat wohl insbesondere die öffentliche Verwaltung Probleme, fähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden – die Studie begründet diese Feststellung mit der Konkurrenzsituation von Verwaltung und freier Wirtschaft. Denn „Probleme beim Recruiting von Mitarbeitern mit Expertenwissen“ sehen 43 Prozent der Entscheider aus dem Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen. Dem stehen nur 22 Prozent Entscheider gegenüber, die für die Finanzdienstleister diese Herausforderung sehen. Solche Vergleiche zeigen: Keineswegs gibt es für Finanzdienstleister nur Grund zur Klage – zumindest, wenn sich die Entscheider selbst einschätzen sollen.
Finanzunternehmen: Besonders "agil"
Überhaupt: Während nur 30 Prozent der Entscheider aus dem Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen und 34 Prozent der Entscheider aus dem verarbeitenden Gewerbe in der Umfrage angaben, Mitarbeiter in eigens für die Digitalisierung zuständigen Unternehmenseinheiten schulen zu können, verfügen immerhin schon 44 Prozent der Unternehmen aus der Finanzbranche laut Studie über diese Möglichkeit.
Auch wird so genanntes „agiles Projektmanagement“, das aus der Softwareentwicklung auch in andere Unternehmensbereiche Eingang fand – die Studie nennt Scrum und Kanban als Beispiele – von Finanzunternehmen schon häufiger angewandt als von Unternehmen anderer Branchen. Hier stehen 55 Prozent für die Finanzdienstleister 44 Prozent für das verarbeitende Gewerbe und nur 25 Prozent für den Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen gegenüber.
Fortschrittliche Methoden des Managements und der Unternehmensorganisation fanden also schneller ihren Weg von den IT-Experten zu Banken und Versicherungen als zu Unternehmen anderer Branchen. Solche Ergebnisse könnte man auch derart deuten, dass die Finanzbranche anderen Branchen in bestimmten Bereichen der Digitalisierung schon einige Schritte voraus ist.
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Hintergrund:
Die „Potenzialanalyse Transformation“ wurde durch die die IT-Beratungsgesellschaft Sopra Steria in Zusammenarbeit mit dem F.A.Z. Institut durchgeführt, hierfür nahem 354 Entscheider (leitende Angestellte aus Unternehmen, aber auch Geschäftsführer und Vorstände) im Februar 2019 an einer Online-Befragung teil. 147 Teilnehmer kamen aus der Finanzbranche. Das verarbeitende Gewerbe war mit 124 Studienteilnehmern vertreten, der Bereich öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen brachte es für die Studie auf 73 Teilnehmer. Ergebnisse der Analyse sind online auf der Seite des Beratungsunternehmens verfügbar. Nach Angabe persönlicher Daten kann auch die Studie kostenlos angefordert werden.
- Mehrheit der Versicherer und Finanzdienstleister erwartet Stellenabbau im eigenen Unternehmen
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