Lemonade wird den deutschen Versicherungsmarkt aufwirbeln, aber nicht erschüttern
Lemonade wird es in Deutschland nicht einfach haben. Davon ist Christian Wiens überzeugt. Im Interview verrät uns der Geschäftsführer und Co-Gründer von Getsafe, warum der Markteintritt von Lemonade positiv ist und welche Versicherer bald den Kürzeren ziehen könnten.
Vier Wochen ist es her, seit das US-amerikanische Insurtech Lemonade mit einem großen Knall seinen Markteintritt in Deutschland bekannt gab. Waren Sie überrascht?
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Kenner der Branche dürfte diese Nachricht nicht gewundert haben. Schon im November 2018 hatte CEO Daniel Schreiber seine Expansionspläne nach Europa verkündet; und Deutschland ist eben der größte Markt auf dem alten Kontinent.
Erfährt Lemonade Ihrer Meinung nach zu Unrecht das große Medienecho?
Ja und nein. Lemonade ist ein vielversprechender neuer Spieler in der Versicherungswelt: Laut, selbstbewusst, mit einem beeindruckenden Markenauftritt und einer klaren Botschaft. Und mit starken Investoren im Rücken, die es Lemonade möglich machen, sich in die Märkte einzukaufen. Aber Lemonade wird es in Deutschland nicht einfach haben. Denn einerseits ist der Markt reguliert und komplex. Andererseits stehen die heimischen Insurtechs Lemonade insbesondere technologisch in Nichts nach - ganz im Gegenteil.
Können Sie das konkretisieren?
Ich werde den Eindruck nicht los, dass in den kulturellen Klischees von extrovertierten, visionären US-Amerikanern und introvertierten, bodenständigen Deutschen ein Fünkchen Wahrheit steckt. Die Amerikaner sind gut darin, eine große Geschichte zu erzählen, laut zu trommeln und schnell zu wachsen. Die technische Infrastruktur aufzubauen oder das Produkt zu optimieren sind hier nachgelagerte Prozesse. Die bescheidenen Deutschen agieren dagegen umgekehrt: Sie tüfteln, bauen als gute Ingenieure und Entwickler erst eine exzellente Infrastruktur auf, und vernachlässigen teilweise, dass ein gutes Produkt allein ebenfalls nicht ausreicht, um Kunden zu gewinnen. Es braucht auch eine gute Geschichte.
Die deutschen Insurtechs können also auch von Lemonade lernen?
Absolut. Für die deutschen Insurtechs ist der Markteintritt der US-Amerikaner ein wichtiger Impuls, der die Digitalisierung der Branche weiter vorantreibt.
Sie machen sich also keine Sorgen wegen der Konkurrenz?
Nein. Der Markt in Europa ist groß genug und immer mehr junge Kunden suchen nach digitalen Lösungen suchen, die besser in ihre Lebenssituation passen. Das größere Problem sehr ich daher bei etablierten Versicherern, und zwar nicht bei Versicherungsriesen wie Allianz oder Axa, sondern bei den mittelständischen Versicherern. Sie sind einerseits zu groß, um ihre veraltete Infrastruktur schnell auf den neuesten Stand zu bringen, und andererseits zu klein, um größere finanzielle Durststrecken überstehen zu können.
Doch auch die etablierten Versicherer setzen auf digitale Angebote. Da sind Sie nicht die Einzigen...
Das ist richtig. Eine Versicherung anbieten, die Kunden binnen drei Minuten online abschließen können, das können mittlerweile viele Versicherer. Doch das Versprechen der Insurtechs geht weit darüber hinaus und lässt sich nicht so schnell imitieren. Ihr technologischer Ansatz beinhaltet, dass Kunden ihre Daten in Echtzeit melden und verändern können; dass sich der Versicherungsschutz flexibel an die persönlichen Bedürfnisse des Kunden anpasst; dass Schäden unkompliziert gemeldet und diese Schäden schnell reguliert werden.
Also ziehen Sie mit Lemonade an einem Strang?
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Wir haben das gleiche Interesse und die gemeinsame Vision, Versicherung wieder sexy und kundenfreundlich zu machen. Das vereint fast alle Insurtechs. Dafür braucht es vor allem die Bereitschaft, Versicherungen von Grund auf anders zu denken als bisher. Gemeinsam werden wir die Branche umkrempeln und den „Versicherungskuchen" neu aufteilen. Den Kürzeren ziehen dabei jene Unternehmen, die an alten Strukturen, Prozessen und Produkten festzuhalten versuchen.