Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verhandelt aktuell über das „ewige Rücktrittsrecht“ bei Lebensversicherungen — und könnte in diesem wichtigen Punkt die Rechte der Verbraucher stärken. Laut einem Bericht der „Tiroler Tageszeitung“ vom Freitag stützt ein Gutachten der Generalanwältin am EuGH, Juliane Kokott, dieses ewige Rücktrittsrecht, wenn der Verbraucher nicht oder fehlerhaft über seine Rechte zum Vertragsrücktritt aufgeklärt wurde.

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Das Rücktrittsrecht beginne demnach auch dann nicht automatisch zu laufen, wenn der Versicherte irgendwie selbst von seinem Rücktrittsrecht erfährt. Offen sei aber noch, ob die Richter am EuGH den Schlussanträgen folgen werden.

Auch Anspruch auf Rückabwicklung, wenn Vertrag bereits gekündigt wurde

Interessant ist das erwartete Urteil auch mit Blick auf den deutschen Markt. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits bestätigt, dass Verbraucher ein zeitlich unbefristetes Widerspruchsrecht haben, wenn sie falsch über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sind (u.a. Urteil vom 07. Mai 2014, Az.: IV ZR 76/11). Allerdings „sprechen weiter einige Gerichte von Verwirkung“, sagt helpcheck.de, ein auf Rückabwicklungen spezialisiertes Legal Tech aus Düsseldorf, dem „Handelsblatt“.

Eine weitere Klarstellung: Laut dem Rechtsgutachten der Generalanwältin können frühere Kundinnen und Kunden auch dann auf Rückabwicklung des Vertrages bestehen, wenn sie diesen bereits gekündigt haben und der Versicherer den Rückkaufswert schon ausgezahlt hat. Der Vorteil: Im Gegensatz zu einer Kündigung darf der Versicherer dann zum Beispiel nicht die Abschluss- und Verwaltungskosten in Rechnung stellen, die Ausgeschiedenen können nachträglich mehr Geld fordern (siehe unten).

Das Urteil des europäischen Gerichtshofes würde nun eine willkommene Klarstellung bedeuten, kommentiert der Sprecher von helpcheck.de. Die Versicherungen „müssen nun einfach akzeptieren, dass eine fehlerhafte Belehrung nicht durch Zeitablauf oder Auszahlung aus der Welt zu schaffen ist“.

Österreich beschneidet Kundenrechte

Konkret verhandelt werden vor dem obersten EU-Gericht die Klagen von österreichischen Kundinnen und Kunden. Die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte in ihrer Amtszeit ein umstrittenes Gesetz zu Lebensversicherungen verabschiedet, das die Rechte der Verbraucher stark einschränkte. Das Rücktrittsrecht sollte demnach nach fünf Jahren verjährt sein: selbst bei mangelhafter Beratung des Kunden.

Ist der Vertrag älter als fünf Jahre, so sollten die Lebensversicherungs-Kunden in der Alpenrepublik nicht mehr auf eine Rückabwicklung des Vertrages bestehen können, wie es bei einem erfolgreichen Widerruf bisher angedacht gewesen ist. Stattdessen sollten die Verträge so behandelt werden, als seien sie einfach gekündigt worden. Für die Verbraucher würde das erhebliche finanzielle Verluste bedeuten:

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  • Bei einer erfolgreichen Rückabwicklung bekommen die Kunden sämtliche eingezahlten Beiträge zuzüglich Nutzungszinsen zurück. Das beinhaltet auch die Aufwendungen für Abschluss- und Verwaltungskosten. Lediglich die Kosten für den Versicherungsschutz tragen sie selbst und, bei einer fondsgebundenen Leben-Police, das Verlustrisiko aus den Fonds.
  • Dem entgegen bekommen die Kunden bei einer Kündigung des Vertrages nur den jeweiligen Rückkaufswert ausgezahlt: also den Wert der Lebensversicherung zum jeweiligen Zeitpunkt. Der Versicherer stellt dabei alle angefallenen Abschluss- und Verwaltungskosten in Rechnung und verlangt weitere Stornokosten in nicht unbeträchtlicher Höhe.

Das im Vorjahr novellierte österreichische Gesetz würde gegen Europarecht verstoßen, falls der EuGH dem Gutachten von ihrer Chef-Anwältin Kokott folgt. Welche Teile in Deutschland dem Kunden zugestanden werden müssen, wenn ein Vertrag rückabgewickelt wird, hat ebenfalls bereits der Bundesgerichtshof entschieden (u.a. BGH, Urteil vom 11.11.2015, Az.: IV ZR 513/14)