Wer seine Arbeitszeit aus familiären Gründen von Vollzeit zu Teilzeit reduziert, dem drohen in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) massive Nachteile. Der Versicherer wird nun anhand der neuen Arbeitszeit prüfen, ob eine Berufsunfähigkeit vorliegt, so dass die Hürden deutlich steigen. Branchenüblich ist, dass der zuletzt ausgeübte Beruf zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausgeübt werden kann, so wie er ohne gesundheitlichen Schaden ausgestaltet war. Stark vereinfacht: Während ein in Vollzeit Erwerbstätiger schon als berufsunfähig gilt, wenn er nicht länger als vier Stunden am Tag arbeiten kann, greift der Schutz bei einer Teilzeitkraft erst, wenn er weniger als zwei Stunden in seinem Job arbeitsfähig ist.

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Starre BU-Verträge: vor allem für Frauen ein Problem

Vor allem Frauen werden durch diese Regel benachteiligt, und zwar im doppelten Sinne. Sie sind es noch immer, die ihre Arbeitszeit für die Erziehung der Kinder und die Pflege von Angehörigen reduzieren, dabei deutliche Einbußen bei Lohn, Rente und Karriere akzeptieren müssen. Beispiel Pflege: 65 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Frauen, nur 35 Prozent Männer, so zeigen Studien der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung. Mehr als ein Drittel davon pflegt mindestens zwei Stunden am Tag. Und nun müssen sie auch noch deutlich stärker gesundheitlich beeinträchtigt sein, um Anspruch auf BU-Rente zu haben: Selbst, wenn sie später in Vollzeit zurückkehren wollen.

Eine weitere Zahl: Frauen, die arbeiten, minderjährige Kinder haben und in einer Partnerschaft leben, sind laut Mikrozensus aus dem Jahr 2017 zu 71 Prozent in Teilzeit beschäftigt, so berichtet die "Zeit". Von den Vätern sind es lediglich sechs Prozent. Aber: Rund 40 Prozent der Mütter planen laut einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums, später wieder Vollzeit zu arbeiten, wenn das Kind groß genug ist. Wir haben es nicht mit einem Nischenthema zu tun, sondern mit einem Massenphänomen.

Zugespitzt ließe sich sagen: In der Versicherungswirtschaft, wo immer noch neun von zehn Vorständen Männer sind, ist eben auch eine wichtige Versicherungsart wie die BU ganz auf die Bedürfnisse einer männlichen Arbeitswelt zugeschnitten. Vermeintlich, denn auch immer mehr Männer wollen ja ihre Arbeitszeit reduzieren, um für die Familie dasein zu können. Und auch die Arbeitswelt wandelt sich, wird flexibler, die Arbeitszeit fluider: Beispiel Home Office. Hier spiegeln BU-Verträge oft noch die Arbeitswelt der BRD in den 70er und 80er Jahren wieder: wenig flexibel, starr, mit Stechuhr (der Versicherungsbote berichtete).

Teilzeitklausel — die vermeintliche Rettung

Just in dieser Situation kommen die beiden Versicherer Württembergische Leben und Condor Leben mit einer vermeintlichen Produktneuheit daher, die sich als Ausweg aus dem Dilemma präsentiert: die sogenannte Teilzeitklausel. Sie hat den Anbietern viel Beifall eingebracht, auch der Versicherungsbote äußerte sich positiv. Eine Eignungs-Empfehlung des Berliner Fachjuristen Hans-Peter Schwintowski fällt euphorisch aus. „Die CONDOR-Teilzeitklausel sorgt – erstmals – dafür, dass Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten nicht diskriminiert, sondern gleichbehandelt werden“, schreibt der Rechtswissenschaftler. Da fragt man sich, warum nicht schon früher jemand darauf gekommen ist.

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Aber die Teilzeitklausel hat ein Problem, ein fundamentales: Sie verstößt möglicherweise gegen das Versicherungsvertragsgesetz. Genauer gesagt gegen § 172 VVG, in dem die Berufsunfähigkeit allgemein definiert wird. Darauf macht Hendrik Scherer, Geschäftsführer bei PremiumCircle Deutschland, in einem Kommentar für die „Finanzwelt“ aufmerksam. Der Haupteinwand: die Klausel steht im Widerspruch dazu, dass sich ein Anspruch auf BU-Rente auf den „zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war“, beziehen muss. Denn sie ist so allgemein und schwammig formuliert, dass man grundsätzlich nicht sagen kann, auf welche Arbeitszeit sie sich bezieht.

Was bezieht sich worauf und wenn ja, wie genau?

Um Hendrik Scherers Argumente nachzuvollziehen, weshalb die Teilzeitklausel womöglich gesetzwidrig und intransparent ist, soll kurz ein Blick auf den konkreten Vertragstext geworfen werden. In den AGB der Condor heißt es unter Paragraph 2, "Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen?":

„Reduziert die versicherte Person während der Versicherungsdauer ihre vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit, bleibt für die Beurteilung einer Berufsunfähigkeit die während der Versicherungsdauer höchste vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit maßgebend (Teilzeitklausel). Nachweise über die jeweiligen Arbeitszeiten sind uns vorzulegen. Entsprechendes gilt, wenn die Arbeitszeitreduktion vom Arbeitgeber angeordnet wird (z. B. Kurzarbeit)."

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Nach Einschätzung von Scherer lässt sich die Klausel nur auf Personen anwenden, die ihre wöchentliche Arbeitszeit während der Vertragsdauer reduzieren. Ansonsten werfe der Vertragstext aber mehr Fragen auf, als er beantworte:

  • Unklar sei, ob sich der Vertragstext auf eine Vollzeittätigkeit bezieht oder ob jede Reduzierung der Arbeitszeit ausreicht, um die Klausel zu nutzen — unabhängig von der ursprünglichen Wochenarbeitszeit. So ist ja zum Beispiel denkbar, dass die Arbeitszeit im Laufe des Erwerbslebens mehrfach reduziert wird.
  • Unklar sei auch, welche Arbeitszeit laut Text zu Grunde gelegt werde. Die höchste Arbeitszeit, die jemals laut Vertrag erreicht wurde? Die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit laut Arbeitszeitgesetz? Anhand welcher Kriterien werde dies entschieden?
  • Unklar sei darüber hinaus, welche Nachweise vorgelegt werden müssen, damit der Anspruch auf BU-Rente nach einer früheren Arbeitszeit geprüft werden kann.

Für die Kunden bedeutet dieses hohe Maß an Vagheit nichts Gutes, wissen sie doch schlicht nicht, worauf sie im Rahmen der Klausel einen Anspruch haben. Schlimmer noch: ob sie überhaupt auf irgendwas einen Anspruch haben. Es wäre folglich zu erwarten, dass ein Gericht die Klausel wegen Intransparenz kippt, wenn sich der erste Versicherungsnehmer mit seinem Versicherer streitet, weil dieser nicht die Rente aufstocken will.

Verstoß gegen Versicherungsvertragsgesetz?

Das wichtigste Argument aber, wie bereits erwähnt: möglicherweise ist der konkrete Vertragstext nicht mit Paragraph 172 des Versicherungsvertragsgesetzes vereinbar. Demnach gilt als berufsunfähig, „wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann“.

Nach Ansicht von Hendrik Scherer geht hier der Grundsatz verloren, wonach der BU-Anspruch laut Gesetz anhand der zuletzt ausgeübten Tätigkeit geprüft werden muss. "Wenn im Leistungsfall auf die höchste vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit abgestellt wird, die irgendwann einmal während der Vertragsdauer galt, geht die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung verloren", schreibt der Geschäftsführer (Hervorhebung bereits im Originaltext).

Prüft der Versicherer, ob der nötige Grad an Berufsunfähigkeit erreicht ist, bewertet er dies nicht allein auf Basis der Arbeitszeit, gibt Scherer zu bedenken: laut Gesetz müsse das komplexe Tätigkeitsprofil mitsamt seinen Kernmerkmalen betrachtet werden. Dieses Profil verändere sich aber, wenn man auf einen früheren Zeitpunkt zurückblicke: genau das "verspricht" ja die Teilzeitklausel. Damit gehe auch die konkrete Ausgestaltung des Berufes zugunsten einer abstrakten Analyse verloren. Es spielt nun eben keine Rolle, was genau der Versicherte zuletzt tat und in welchem Umfang.

Haftungsfalle BU und Teilzeit?

Auf ein weiteres Problem macht den Versicherungsboten Fachmakler Frank Dietrich in einer Mail aufmerksam. Er unterscheidet drei Gruppen: Teilzeitkräfte, die schon immer in Teilzeit tätig waren, jene, die dauerhaft in Teilzeit wechseln wollen sowie eine dritte Gruppe, die aus privaten, meist familiären Gründen für eine gewisse Zeit in Teilzeit gehen will. Die Teilzeitklausel, so seine Einschätzung, ist nur für letztgenannte Zielgruppe relevant — aber eben nicht als Lösung geeignet.

Das Problem Bedarfsgerechtigkeit: Der Kunde würde eine zu hohe Prämie zahlen

Dietrich macht auf einen Fakt aufmerksam, aus dem sich auch konkrete Beratungspflichten für Makler ergeben können. Denn wer in Teilzeit wechselt, verdient auch weniger Geld und bekommt mitunter andere Tätigkeiten im Beruf zugewiesen. Der Versicherungsschutz müsste entsprechend angepasst werden.

Der neue Absicherungsbedarf ergibt sich aus dem Charakter der Teilzeitarbeit selbst, wie Dietrich erklärt. Denn oft fallen beim Herabsetzen der Arbeitszeit Kerntätigkeiten weg, etwa bestimmte Aufgaben und Befugnisse. Es ist dann eben nicht mehr exakt dieselbe Tätigkeit wie früher, nur mit reduziertem Stundenumfang, sondern, zugespitzt formuliert: ein "neues" Berufsprofil. Ein Beispiel: Reduziert der Mitarbeiter eines Maklerbüros seine Arbeitszeit von acht auf vier Stunden, so ist er vielleicht nicht mehr im Außendienst eingesetzt und berät Kunden, sondern übernimmt Verwaltungsaufgaben im Büro.

Hier stellt sich die Frage, wie im Rahmen der Teilzeitklausel das Restleistungsvermögen des Betroffenen gegenüber den gesunden Tagen berechnet werden soll: in welchem Umfang sich also Ursachen wie Unfall, Krankheit oder Kräfteverfall negativ auswirken. "Eine bei Vollzeittätigkeit bestehende Kerntätigkeit hätte Leistungsauslöser bei Berufsunfähigkeit sein können, fällt aber oftmals bei der Teilzeittätigkeit weg. Welche Tätigkeit genau wird in ihrer Ausgestaltung dann geprüft?", fragt Dietrich. Die Teilzeitklausel von Condor berücksichtigt nur einen Teilaspekt, nämlich die Arbeitszeit. Auch andere Auslöser im Sinne der Bestimmungen müssten einbezogen werden, mahnt der Fachmakler. Ähnlich wie auch Hendrik Scherer ist damit indirekt der Vorwurf verbunden, dass die Klausel der Komplexität einer Leistungsprüfung nicht gerecht werden kann.

Stattdessen präferiert Dietrich eine andere Lösung. “Schauen wir uns den konkreten Fall an, dass jemand vorübergehend aus dem Beruf ausscheidet“, schreibt er an den Versicherungsboten. „Bei einigen Versicherern ist von Beginn an, also mit dem ersten Tag der Elternzeit, um ein Beispiel zu nennen, der Beruf nicht mehr versichert. Das ist nachteilig für den Kunden, scheint hingegen viele Marktbeobachter nicht zu interessieren. Bei den qualitativ hochwertigeren Bestimmungen ist eine genaue Zeit definiert, in der die Beruf versichert bleibt, auch wenn ich ihn vorübergehend nicht ausübe. Ich sehe auf dieser Basis die Lösung für Teilzeitkräfte, nicht aber in der vorgelegten Klausel.“

Warum nicht Wechsel in Teilzeit über die Nachversicherungsgarantie regeln?

Wechselt ein Versicherungsnehmer in Teilzeitarbeit, bringt das, wie bereits angesprochen, auch Beratungspflichten für Makler mit sich. Sie müssen ihre Kunden über den sich ändernden Absicherungsbedarf aufklären: zumindest, wenn er dauerhaft seine Arbeitszeit reduzieren will. Das macht die Sache nicht weniger kompliziert. Denn weiß die Versicherungsnehmerin bzw. der Versicherungsnehmer bereits, ob sie oder er dauerhaft in Teilzeit wechseln will — oder nur vorübergehend? Es ist zu erwarten, dass eine nicht unbedeutende Zahl an Menschen sich diese Frage offen hält beziehungsweise keine genauen Vorstellungen für die spätere Berufsbiographie hat. Das dürfte speziell für jungen Berufstätige in Zeiten der Familiengründung gelten.

Hier zeigt sich eine weitere Haftungsfalle. Denn die Vermittler müssten auch darüber aufklären, dass es bei vielen Versicherern eben nicht möglich ist den Schutz wieder aufzustocken, nachdem er einmal aufgrund von Teilzeit nach unten korrigiert wurde. Nach stichprobenhaften Recherchen des Versicherungsboten geht dies oft nicht ohne eine neue Gesundheitsprüfung bei der Rückkehr in Vollzeit. Hier zeigt sich die Branche, wie bereits erwähnt, starr, unflexibel und den Bedürfnissen der heutigen Arbeitswelt unzureichend angepasst.

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Eine Lösung könnte sein, die Teilzeitarbeit bei den Nachversicherungs-Garantien stärker zu berücksichtigen. Und zwar nicht nur derart, dass die Garantien erlauben, unter genau definierten Bedingungen bei Rückkehr von Teilzeit- in eine Vollzeitarbeit den Schutz wieder um einen bestimmten Betrag aufzustocken. Sondern auch, dass die Garantien es ermöglichen, den Schutz für ein bestimmtes Zeitfenster nach unten zu korrigieren, wenn eine Frau oder ein Mann in Teilzeit wechseln will. Auch hierfür könnten Fristen und genaue Bedingungen definiert werden, etwa ein maximales Zeitfenster von drei Jahren ab Geburt eines Kindes.

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