Deutsche Rentenversicherung nutzt IT aus den 70er Jahren
Die Deutsche Rentenversicherung hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Teile der IT-Technik stammen sogar noch aus den 70er Jahren, so geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervor. Eine einheitliche digitale Infrastruktur haben die Träger ebenfalls nicht.
Die deutsche Rentenversicherung arbeitet teils mit Software aus einer Zeit, in der noch Schwarzweiß-Fernsehgeräte in den meisten deutschen Wohnzimmern flimmerten, ein Faxservice der Deutschen Post noch Zukunftsmusik war und Steve Wozniak in der heimischen Garage seinen Prototyp „Apple 1“ mit vier Kilobyte Arbeitsspeicher zusammenschraubte: der erste Heimcomputer. Das musste nun das Bundesarbeitsministerium auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag einräumen (Drucksache 19/11729 vom 17.07.2019).
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Zwar sei die Kernanwendung der Deutschen Rentenversicherung (rvSystem) bis Ende 2017 bei allen Rentenversicherungsträgern eingeführt und mehrfach überarbeitet worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung mit Berufung auf die Deutsche Rentenversicherung Bund. „Teile der Anwendung stammen jedoch aus den 1970er bzw. 1980er Jahren“.
Was die Regierung dann an neuen Features der letzten Jahre auflistet, liest sich wie etwas, was bei einer derart bedeutsamen Einrichtung inzwischen selbstverständlich sein sollte: eine elektronische Akte sei eingeführt worden sowie elektronische Archive, des Weiteren „Scan-Straßen und elektronische Postkörbe“. Nun werden also auch die dicken Papierordner digitalisiert.
Digitaler Nachholbedarf bei einer wichtigen Datensammlerin
Damit zeigt eine der wichtigsten deutschen Körperschaften deutlichen Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung. Immerhin 70.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (entspricht 60.468 Vollzeitstellen) zählt die Rentenversicherung Stand Juli 2018, sie betreuen mehr als 50 Millionen Versicherte und enorme Datenmengen. Allein im Vorjahr musste die Rentenkasse mehr als 1,64 Millionen Rentenanträge bearbeiten.
Bald gehen die Babyboomer-Generationen in den Ruhestand: Sehr bewusst fragte die FDP auch deshalb nach, weil sie fürchtet, dass die IT dem hohen Andrang dann nicht mehr gewachsen ist. Denn auch die Rentenkasse plagt ein demografisches Problem: Der Altersschnitt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Trägern liegt laut Drucksache bei stolzen 48,2 Jahren. Es ist zu erwarten, dass viele Fachkräfte in den nächsten Jahren ausscheiden.
Keine einheitliche Infrastruktur
Doch damit nicht genug. Ebenfalls fehlt eine einheitliche IT-Infrastruktur für die regionalen Träger der Rentenkasse. Insgesamt 16 regionale Träger sind unter dem Dach der DRV organisiert, die früheren Landesversicherungsanstalten: im Grunde handelt es sich um eigenständige regionale Versicherungen, die selbstverwaltet agieren. Das wirkt sich auch auf die digitale Agenda der Träger aus.
Zwar würden alle regionalen Sacharbeiter dieselbe „Kernanwendung“ nutzen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung: eben besagtes rvSystem. Auch dieses wurde erst schrittweise vereinheitlicht, nachdem zuvor bundesweit vier verschiedene Systeme genutzt worden: 2017 war der Prozeß abgeschlossen. Mit diesem Tool werden Beiträge verbucht, Rehabilitationsleistungen bewilligt sowie Renten berechnet und ausgezahlt: die wichtigsten Prozesse.
Die zugrundeliegende Informationstechnik und Infrastruktur (Clients, Server, Host, Archive) unterscheidet sich je nach Rechenzentrum hingegen stark, muss die Bundesregierung berichten: Außerhalb des Kernbereichs kommen "teils unterschiedliche Programme diverser Hersteller" zum Einsatz. Das zeigt auch ein Blick auf die konkreten Dienstleister:
Vier verschiedene Rechenzentren sind derzeit unter dem Dach der Rentenversicherung beschäftigt, teils haben sie eigene GmbHs für die IT gegründet. Doppelte Strukturen, die im Zweifel nicht nur extra Geld verschlingen - sondern sogar den Austausch von Daten erschweren. So existieren auch verschiedene Schnittstellen nebeneinander, was dazu führen kann, dass Systeme nicht miteinander harmonieren.
„Leidtragende sind die Mitarbeiter, die mit veralteten Prozessen und Systemen zu kämpfen haben, sowie die Versicherten und Rentner, denen kein einheitlicher Service angeboten werden kann, der eigentlich im Zeitalter der Digitalisierung angemessen wäre“, sagt Johannes Vogel, rentenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, dem „Handelsblatt“.
Rentenkasse baut um
Das bedeutet freilich nicht, dass sich die Politik und die Rententräger auf dem Status Quo ausruhen. Es sei bereits einiges versucht und angestoßen worden, muss auch Vogel einräumen: etwa die bereits erwähnte Vereinheitlichung des Kernsystems. Und auch andere Anwendungen sollen standardisiert werden sowie bis 2024 ein einheitliches Rechenzentrum für alle Körperschaften entstehen, berichtet die Bundesregierung. Auch die Rentenkasse befindet sich im digitalen Umbau.
Die Gründe für das Chaos? Historisch gewachsen, so geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor. Die Vorteile einer regionalen Selbstverwaltung bedeuten eben auch, dass bisher die regionalen Träger auch eigenständige Strukturen schufen und sich nicht ausreichend abstimmten. Das deutsche Rentensystem ist höchst komplex.
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Damit ist auch fraglich, wie schnell ein zentrales Vorhaben der Bundesregierung umgesetzt werden kann: eine säulenübergreifende Renteninformation ähnlich wie in Schweden. Sie soll den Bürgern aufzeigen, welche Ansprüche sie aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Rente im Alter erwarten können, um so eine mögliche Vorsorgelücke besser zu verdeutlichen. Die Bundesregierung kündigt einen baldigen "Relaunch des Internetangebotes" an, auch die Webseite soll übersichtlicher werden. Bisher wird sie immerhin rund 27 Millionen Mal im Monat aufgerufen - doch Dienste wie digitale Rentenanträge nutzen pro Jahr deutlich weniger als 100.000 Personen, so geht aus den DRV-Daten hervor.