Nun, ganz so schlimm wird es wohl nicht gewesen sein, immerhin sind Führungskräfte, was Maßnahmen anderen Marktteilnehmer angeht stets gut informiert. Speziell, wenn von der ehemals wertvollsten Versicherungsmarke der Welt die Rede ist. 2016 ist zwar schon etwas her, dafür waren es drei Siegesjahre in Folge mit einem damaligen Höchstwert von 18,6 Milliarden Euro. Im Vergleich zu Amazon zwar harmlos, aber dennoch logisch, dass die Allianz wertvoll sein muss, jeder kennt sie schließlich und ganze Stadien sind nach ihr benannt. Und mit acht Stadien weltweit haben sie einen weiteren Titel sicher. Damit nicht genug schon länger spielt man mit Sportclubs wie dem FC Bayern München und FC Barcelona in Sachen Sponsoring ebenfalls in der Liga der wertvollsten Marken. Nur, was hat das alles mit dem Relaunch zu tun? Einiges! Immerhin geht es um hohe Millionenbeträge die ein so umfangreicher Relaunch gekostet haben wird. Und nebenbei um meinen Spannungsbogen.

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Luigi Giovanni Dileone, Mitglied der Geschäftsleitung sum.cumo und verantwortlich für Visual Design und UXsum.cumoAber spielen wir noch das Szenario mit den Führungskräften weiter...sie laufen also hastig an ihren Computer, tippen die wertvolle Top-Level-Domain www.allianz.de in die Browserzeile ein, um dann – nach heutigen Frontend-Standards viel zu langer Ladezeit – was zu sehen? Wow, ein Stockbild (by the way, bei iStockphoto gefunden für nur 24 Euro. Gut und günstig...dachte sich auch die Raiffeisenbank München und lonely planet.

Da drauf, sehr zentral und nicht übersehbar, das neue Herzstück des gesamten Kundenportals und Einstieg in die Allianz-Welt: Die Suche. Wer die nunmehr veraltete Website des Münchener Versicherers noch kennt, weiß, dass sie schon dort ein zentrales und für den User sehr hilfreiches Element war. Vorbild ist wahrscheinlich Airbnb gewesen, die den User vor Zeiten zu einem ähnlichen Einstieg zwangen. Richtig gut! Aber das war es leider auch schon mit dem Lob. Ja, auch ich habe mich mit dem Relaunch beschäftigt und teile hier meine eigene Erfahrung, jedoch mit dem feinen Unterschied, den Test natürlich auf meinem Smartphone durchgeführt zu haben, immerhin lebe ich nicht in der Vergangenheit und denke mobile only.

Ich schaue mir also die vermeintlich neue Website der Allianz an, nicht nur, weil es zu meinem Job gehört, ich unsere Kunden berate und den Wert hinter einer Marke sehe, sondern auch weil ich der Meinung bin, Digitalisierung rein auf Technologie zu reduzieren grob fahrlässig ist. In dieser Branche sind Markenidentität und -versprechen so wichtig wie lange nicht mehr. Berechtigterweise setzen wir heute einen starken Fokus auf User Experience, vergessen jedoch zu oft das Thema mit der gleichen Priorität zu bearbeiten, obwohl es Hand in Hand gehen könnte.

Wer wie ich in den 80ern aufgewachsen ist, hat sicher eine ganz andere Beziehung zur Allianz. Internet, was ist das? Gab es nicht, dafür aber öffentliches Fernsehen und Werbung! Nicht so viel wie heute, aber sie war normal. So gehörte ich zu den Menschen, für die die Allianz dank hervorragendem Marketing über Jahrzehnte nur eines war: „Eine Allianz fürs Leben.“ Wer kennt die Spots nicht, die von kleinen und größeren Missgeschicken im Alltag erzählten? Mein Favorit ist und bleibt der wunderbar vor Klischees strotzende Spot mit dem roten VW Käfer in Neapel – herrlich. Da ich heute noch dran denke, frage ich mich nun viel mehr, wofür die Allianz eigentlich steht und was sie den Kunden versprechen? Und, woher bekommen sie neue Kunden ohne eine erlebbare Identität? Heute schaut die Jugend doch kein einfaches Free-TV wie ich damals, sie streamen per Flat...aber alle nutzen das Internet und landen früher oder später auf dem Kundenportal.

Ich kann mir also nicht vorstellen, dass man so viel Zeit und Geld investiert, um am Ende eine nicht ausgereifte Website zu veröffentlichen – und das in vielen Belangen. Die Stockbild-Wüste ist nur ein Thema, dazu kommen aus Altbeständen und Drittanbietern wild zusammengewürfelte Rechner und Antragsstrecken, die nicht nach heutigem Standard für mobile Endgeräte optimiert sind. Bestes Beispiel dafür sind zwei unterschiedliche Wege, sich in sein Kundenkonto bei der Allianz einzuloggen. Der erwartete Login findet natürlich im gleichen Browserfenster statt, der unerwartete öffnet nicht nur ein neues Fenster, sondern verlinkt zudem auf eine veraltete Desktop-Ansicht...und das auf einem Smartphone! Gutes Testing fängt das normalerweise ab. Schade.

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Dennoch sind nicht alle Versicherungskonzerne am Markt gleich, wohlgleich sie wahrscheinlich ähnliche Probleme haben. Die Axa beispielsweise hat es aus meiner Sicht geschafft den richtigen Weg einzuschlagen. Die Transformation zu einer digitalen Marke ist längst nicht vollzogen, jedoch erwartet mich als User und Kunde eine ganz andere Welt. To be continued also.