Wohngebäudeversicherung: Urteil zeigt hohe Haftungsrisiken bei Sturm
Der Herbst steht vor der Tür, Stürme drohen. Für Grundstücksbesitzer ist nun geboten, eigene Gebäude auf die Sturmsicherheit zu überprüfen. Denn ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt: Stürzen Teile eines Gebäudes durch falsche Bauweise oder fehlende Instandhaltung herab, haftet der Grundstücksbesitzer für entstandene Schäden – und kann hierbei auch durch Versicherungen in Regress genommen werden.
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Klimawandel: Haftungsrisiken drohen durch Sturm
Durch den Klimawandel wird die Häufigkeit und Intensität von Stürmen über West- und Mitteleuropa zunehmen, wie eine Seite des Deutschen Wetterdienstes (DWD) darlegt. Wer nun aber meint, er müsse bei schweren oder gar orkanartigen Stürmen nicht für entstandene Schäden durch das eigene Grundstück und die darauf befindlichen Gebäude haften, der sieht sich durch ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart (Az. 4 U 97/16) eines Besseren belehrt.
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Denn Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Grundstücksbesitzers sind hoch. Drohen von herabfallenden Gebäudeteilen doch „erhebliche Gefahren“ für die Gesundheit und das Eigentum Unbeteiligter. Nur ein fehlerfrei errichtetes und mit Sorgfalt gewartetes Gebäude entlässt den Besitzer folglich aus der Haftungspflicht. Das musste auch die evangelische Kirche in Stuttgart durch einen verlorenen Streit vor Gericht erfahren.
Altes Kirchturmdach: Herabfallende Ziegel führen vor Gericht
Ursache des Gerichtsstreits waren Folgen eines schweren Sturms: Am 31.3. 2015 wurde, auf einer Straße vor einem Kirchengebäude der Stadt, ein Auto geparkt. Weil an diesem Tag Windgeschwindigkeiten bis 100 km/h (10 Beaufort) herrschten, war jedoch das Kirchturmdach in 35 Metern Höhe dem Sturm nicht gewachsen. Etwa 60 Ziegel lösten sich, von denen einige auf das Auto stürzten. Ein Schaden von 6.666,54 Euro entstand. Dieser wurde dem Fahrer in der Folge zunächst durch dessen Kfz-Versicherung ersetzt.
Der Versicherer jedoch sah nun die Kirche in der Pflicht. Sei es doch Aufgabe der Kirche gewesen, die Sicherheit des Kirchengebäudes zu überwachen und auch Maßnahmen zu treffen, dass sich bei Sturm keine Teile vom Dach oder anderen Gebäudeteilen lösen. Demnach sollte nun die Kirche für den Schaden in Regress genommen werden. Die Kirche freilich verweigerte die Zahlung und sah sich als Opfer eines außergewöhnlichen Naturereignisses.
Folglich klagte die Versicherung vor dem Landgericht (LG) Stuttgart und erhielt mit Urteil vom 26.04.2016 Recht: Regressansprüche wurden unter Maßgabe des Paragraphen 836 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dem Versicherer zugesprochen (Az. 3 O 340/15). Der Wortlaut des Paragraphen erinnert im Übrigen daran, dass an dem besagten Tag noch Glück im Unglück herrschte. War doch nur Sachschaden durch 60 fallende Ziegel zu beklagen. Bei herabfallenden Gebäudeteilen haften Grundstückbesitzer jedoch auch, sobald „der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt“ oder sogar „ein Mensch getötet“ wird.
Kirche: geht in Berufung ... auf höhere Gewalt
Die Kirche jedoch nahm dieses Urteil nicht hin und legte vor dem Oberlandesgericht Stuttgart Berufung ein. Folgendes wollte Sie für ihren Berufungsvortrag geltend machen:
- Am Flughafen Stuttgart wurden am Tag des Unglücks 100 km/h an Windgeschwindigkeit gemessen. Da sich der Turm aber in 35 Metern Höhe befindet, müsse von wesentlich höheren Windgeschwindigkeiten ausgegangen werden. Windgeschwindigkeiten über 140 km/h hätten demnach das Abfallen der Dachziegel hervorgerufen.
- Zudem könne eine Windhose nach oben gestiegen sein und die Ziegel gelöst haben. Ein Reißverschlusseffekt hätte dann zum Abfallen der Ziegel geführt – und ein solches Schadenereignis könne durch Kontrollen nicht verhindert werden.
- Aufgrund eines vorangehenden Schadenfalls am Kirchendach hätte zudem am 28. Oktober 2014 eine Kontrolle stattgefunden, bei der auch das Kirchturmdach auf etwaige Schäden geprüft wurde.
- Zudem habe es keine Vorwarnungen wegen des Sturms gegeben, weswegen man das Gelände nicht vorher hätte absperren können.
Trotz dieser Versuche, sich zu entlasten, hielt jedoch das Oberlandesgericht die Berufung für unbegründet. Die Urteilsgründe des Gerichts verdeutlichen hierbei hohen Anforderungen, die an die Sicherheit von Gebäuden und Grundstücken gestellt werden. Verständlicherweise! Denn das Gericht führt aus: von herabfallenden Gebäudeteilen drohen „erhebliche Gefahren“. So hätte zum Beispiel eine Wetterwarnung Anlass sein müssen, ein nicht windsicheres Gebäude abzusperren. Und eine solche Wetterwarnung wurde, entgegen der Darstellung der beklagten Kirche, am Vortag des Sturmes durch den Deutschen Wetterdienst ausgesprochen.
Anscheinsbeweis legt hohe Beweislast auf
Hohe Anforderungen gelten jedoch nicht nur für die Sicherheitshandlungen der Grundstücksbesitzer, sondern in Folge auch für einen möglichen Entlastungsbeweis vor Gericht. Zunächst nämlich wird stets von der Schuld eines Grundstücksbesitzers ausgegangen, wenn es zu einem Schaden durch herunterfallende Gebäudeteile kommt. Bedingungen diktiert der so genannte „Anscheinsbeweis“.
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Demnach spricht das Ablösen von Gebäudeteilen grundsätzlich für eine fehlerhafte Errichtung des Bauwerks oder eine mangelhafte Unterhaltung, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Erst die ernsthafte Möglichkeit, dass das schädigende Ereignis auf einer anderen Ursache als der fehlerhaften Errichtung oder der mangelhaften Unterhaltung beruht, entlässt den Grundstückbesitzer aus seiner Haftung für den Schaden. Hierfür muss der Grundstücksbesitzer aber nachweisen, dass er seiner Sorgfaltspflicht bei Wartung des Grundstücks nachkam sowie dass andere Gründe – zum Beispiel ein außergewöhnliches Naturereignis – den Schaden hervorriefen.
Klimawandel: Gerichte verlangen Bauwerken mehr ab
Für die erforderliche Sorgfalt reicht aber nicht der Augenschein oder eine Kontrolle nur von Teilen des Gebäudes, wie die Richter betonten. Stattdessen muss eine Überprüfung „im Rahmen der technischen Möglichkeiten alle die Konstruktionselemente erfassen, bei welchen etwa auftretende Mängel zu einer Lösung von Gebäudeteilen führen können.“ So hätte die Kirche zum Beispiel in regelmäßigen Abständen das Kirchen-, aber auch das Kirchturmdach kontrollieren müssen – dies umso mehr, wenn es an anderen Teilen des Gebäudes schon zu Sturmschäden kam.
Mehr noch: Die drohende Gefahr durch herabfallende Ziegel hätte auch dazu führen müssen, dass die Kirche die Festigkeit jedes einzelnen Dachziegels sachgerecht kontrollieren lässt. Angemessen hierfür wäre zum Beispiel der Einsatz eines Hubsteigers gewesen. Mit Verweis auf unverhältnismäßige Kosten hielt die Kirche solche Maßnahmen jedoch nicht für geboten.
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Da der Kirche letztendlich nicht der Entlastungsbeweis gegen den Anscheinsbeweis unzulänglicher Instandhaltung und Kontrolle gelang, entschied das Gericht trotz der Einwände: Die Kirche hat in Regress für den Schaden zu haften.
Klimawandel: Haftungsrisiken steigen mit den Anforderungen
Besonders brisant in Zeiten des Klimawandels sind hierbei Ausführungen des Gerichts zu außergewöhnlichen Natur- beziehungsweise Windereignissen. Denn streng sind auch die Bedingungen, unter denen ein solches Ereignis Grundstückbesitzer aus der Haftung entlässt. So muss der Grundbesitzer sogar bei Windstärke 12 bis Windstärke 13 auf der Beaufort-Skala und damit sogar bei orkanartigem Sturm für herabfallende Gebäudeteile haften. Und das, obwohl ab Windstärke 12 schon „schwere Verwüstungen“ drohen, wie eine Seite des Deutschen Wetterdiensts zur Beaufort-Skala darstellt.
Das Oberlandesgericht verweist in seinem Urteil sogar darauf, dass in technischen Regelwerken für Bauwerke oft eine Begrenzung der Windlast auf Windstärken bis 12 vorgegeben ist. Aber das könnte für die Zukunft auch vor Gericht nicht mehr reichen. Gerade aufgrund des Klimawandels ist nicht ausgeschlossen, dass Gebäude zukünftig als fehlerhaft eingeschätzt werden, die einer größeren Windstärke nicht standhalten. Das hat seinen Grund, wie das Gericht ausführt: Größere Windstärken sind in Zeiten des Klimawandels nicht mehr als außergewöhnliches Naturereignis anzusehen.
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Der schwer zu widerlegende Anscheinsbeweis hingegen wird erst erschüttert ab Werten im mittleren Bereich von 14 Beaufort und demnach von mehr als 150 km/h, wie das Gericht unter Verweis auf weitere Urteile ausführt (zum Beispiel OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 749 oder OLG Koblenz NVwZ-RR 2004, 322 [323]). Erst ab solchen Windgeschwindigkeiten also werden die Grundstückseigentümer aus der Pflicht entlassen, einen Entlastungsbeweis gegen den Anscheinsbeweis zu leisten. Solche Windgeschwindigkeiten aber bedeuten wahrhaft extreme Wetterverhältnisse – wie das Beispiel von „Sturm Lothar“ zeigt, der zu Weihnachten 1999 tobte. Europaweit forderte der Sturm damals 110 Todesopfer.
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